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Falkenhausen, Susanne von
KugelbauVisionen: Kulturgeschichte einer Bauform von der Französischen Revolution bis zum Medienzeitalter — Bielefeld, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.20550#0039
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Paris 1793

Damit sind die Koordinaten abgesteckt für eine Genealogie der Ku-
gelmetapher und ihrer Derivate Grotte, Gruft und Tumulus in ihrem
historischen Verlauf und in den Veränderungen ihrer semantischen
Bezüge.

Die Kuppel in Boullees Tempel der Vernunft/Natur markiert den
Ausgangspunkt dieser Genealogie (Abb. 18): Sie ist glatt, ungeglie-
dert - anders als die gerippten Kuppeln der bisherigen sakralen
Kultbautradition. Das unterstreicht ihre geometrische Reinheit und
Perfektion als Baukörper. Für Boullee bewirkt dies Ordnung und Sym-
metrie und folglich Schönheit - wohingegen Felsmulde und Grotte in
der unteren, erdnahen Sphäre aus unregelmäßigen Körpern bestehen,
die Boullee bezeichnenderweise »corps obscurs«49 nennt, also dunkle
Körper, deren »Gestalt (sich) unserem Verständnis entzieht«.50 Da-
gegen haben die regelmäßigen Körper, insbesondere die Kugel, für
Boullee den ästhetischen Vorteil, auf einen Blick erfassbar zu sein.
Er sucht in der Architektur also Ordnung als Garanten für einen ver-
stehenden Blick, dem nichts entgeht. Unübersichtlichkeit ist ihm
verhasst. Das wird wohl auch der Grund sein, warum vergleichbare

49 Zit. nach Rosenau 1976, S. 121. Rosenau übersetzt sie nicht wörtlich, son-
dern übernimmt bereits den später im Traktat von Boullee gebrauchten Ausdruck der
»corps irregulier«, wenn sie diese »dunklen« Körper mit »irregulär volumes« über-
setzt (S. 86). Boullees Wortwahl an dieser Stelle halte ich jedoch für aufschlussreich,
da sie verdeutlicht, wie er seine Formenlehre mit den Passionen der damaligen Wahr-
nehmungslehre auflädt und so Formen metaphorisch besetzt. In der deutschen Aus-
gabe (Boullee 1987) wird »corps obscurs« übersetzt mit »Körper von unbestimmter
Form« und für das französische Original »corps bruts« (S. 55), hässliche Körper, ange-
geben, was auf einem redaktionellen Fehler beruhen mag. Inhaltlich sind die Varian-
ten kaum von Bedeutung, obwohl ich die der »obskuren« Körper vorziehe, da sie die
Aufklärungsmetaphorik von licht als schön, vernünftig usw. kontra dunkel als häss-
lich, unvernünftig, wie sie Boullee hier rhetorisch nutzt, adäquat überträgt.

50 Boullee 1987, S. 56.

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