94 Der Llnch de
ein elendes Gewerbe, das Allah in seinem Zorn geschaffen hat.
von früh bis spät schleppe ich den schweren Krug durch
die Straßen und werde von den Käufern ausgescholten, wenn
das Wasser nicht kühl ist. Die Unverständigen! wie sollte
es kühl bleiben in einem Kruge, der immerfort von dem
goldenen Tagesgestirn bestrahlt wird. So ist mir das Leben
eine Last — und wenn ich nachmittags an den Kaffeehäusern
vorbeikoimne, wo die Reichen sitzen und im Schatten ihre wasser-
pfeife rauchen, dann denke ich, so müßte es wohl in den Gärten
Ulohammeds sein, und ich sehne mich, diese seligen Freuden
auch hier schon einmal kosten zu dürfen, wenn ich also einen
Wunsch äußern dürfte, so wäre es der, immer so viel Geld zu
besitzen, um ein geinächliches Leben führen zu können."
„Dein Wunsch sei Dir gewährt!" sagte die Lee lächelnd.
„Du wirst in Deiner Tasche hundert Goldstücke finden, ihre
Zahl wird immer die gleiche bleiben, so viel Du auch davon
ausgeben inagst. Aber eine Bedingung knüpfe ich daran!"
„welche ist's?" fragte Ulustapha gespannt.
„Du darfst nie mehr eine bewußte Lüge sprechen!" erwiderte
die Lee. „In dem Augenblick, in dein Du eine Unwahrheit
sagst, weicht das Gold von Dir und ebenso alles, was Du damit
erworben hast!"
„Ts wird mir eilt leichtes sein, Du Strahlende, diese
Bedingung zu erfüllen!" rief Ulustapha erfreut. „Ich war stets
der heiligen Wahrheit zugetan und werde es auch ferner so
halten."
„Denk' daran!" sagte die Lee. Bei diesen Worten er-
hob sich ein leichter Nebel und als er sich wieder senkte, war
Ulustapha allein.
ftastig griff er in seine Tasche und zog einen seidenen
Beutel hervor, in dein sich wohlgezählte hundert Goldstücke
befanden. Ulustapha inachte einen Lreudensprung; dann ergriff
er den Wasserkrug und die Trinkbecher, zerschellte sie an einem
Stein und schritt hastig der Stadt zu. Im ersten Basar kaufte
er sich ein vornehmes Gewand und einen gestickten Turban,
bekleidete sich damit und suchte auch für Latine, seine Geiiiahlin,
einen prächtigen Gürtel und einen feinen Schleier aus. Draußen
zählte er seine Barschaft nach und sieh, es waren wieder
hundert vollgewichtige Goldstücke int Beutel, obgleich er mehr
als zwanzig davon in dein Basar bezahlt hatte.
Als er gemächlich die Straße entlang schritt, wie es sich
für einen Ulann seines Äußern gezieinte, kamen auf der anderen
Seite zwei Wasserverkäufer, Ali und Ibrahim, alte Bekannte
von ihm, des Weges. Ali stieß seinen Begleiter an und rief,
auf Ulustapha weisend: „Schau, Ibrahim, wie Allah doch
zuweilen die Menschen gleich bildet I ksätte ich nicht noch heute
früh Ulustapha in seinen alten Lumpen und mit dem Wasser-
kruge gesehen, ich wollte schwören, er käme dort drüben im
Gewände eines vornehmen Mannes daher."
„wahrhaftig", sagte Ibrahim, „er gleicht ihm aufs lhaar!"
— „Aber", fügte er, schärfer blickend hinzu, „siehst Du nicht das
schwarze Mal unter seinem linken Auge?"
„Beim Bart des Propheten, es ist Ulustapha selbst!" rief
Ali. Sie eilten beide über die Straße und bestürmten Mustapha
mit Lragen über seine plötzliche Verwandlung. Doch er hatte
keine Neigung, diesen Schwätzern sein Geheimnis zu offen-
baren, und da er eine falsche Auskunft nicht geben durfte,
schritt er schweigend weiter.
,,^e", rief Ibrahim ergrimmt, „ist Dir das Maul zuge-
r kV a h r h e i t.
wachsen? Glaubst Du, weil Du eiuen guten Mantel trägst,
Deine alten Lreunde verachten zu dürfen? Oder waren wir Dir
nicht immer gute Lreunde, he?"
Schon wollte Ulustapha, uin die Zudringlichen los zu werden,
diese Lrage bejahen; aber da fiel ihm die von der Lee gestellte
Bedingung ein und er sagte mißmutig: „Wohl habt Ihr
Euch immer meine Lreunde genannt, aber Eure Handlungen
waren böse, Habt Ihr nicht meinen Kunden gesagt, mein
Wasser sei unrein? Habt Ihr nicht heimlich Würmer in
nreine Tonne geschüttet? Geht und laßt mich in Lrieden; denn
Ihr habt gegen mich nicht gehandelt wie Lreunde, sondern
wie Leinde."
„was", schrie Ali wütend, „Du Tagedieb, Du willst
uns beschimpfen? warte, ist Dir mit dem neuen Kleid, das
Du irgendwo gefunden oder gestohlen hast, der Hochmut in
die faulen Glieder gefahren, so wollen wir ihn Dir wieder
austreiben."
Er fiel über Ulustapha her und Ibrahim unterstützte ihn
wacker, wie Schmiedehäminer sausten ihre Läuste auf den Un-
glücklichen nieder, und sie ließen erst von ihin ab, als ihre
Arme erlahmten. Dann gingen sie schimpfend und drohend
davon.
sinkend und alle Bekanntschaft verwünschend, schlich Ulu-
stapha heim. Seine Latine erstaunte nicht wenig, als er, gekleidet
wie ein vornehmer, ins Haus trat; aber ihr Staunen ver-
wandelte sich in große Lreude, als Ulustapha ihr unter dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit von seiner unerschöpflichen
Goldquelle und ihrem Ursprung Mitteilung machte. Entzückt
legte sie den Gürtel an, wand den Schleier uin ihr Haupt und
schritt, so geschmückt, in: Zimmer auf und ab, wobei sie allerlei
zierliche Wendungen und Drehungen versuchte und unaufhörlich
ihre Schönheit pries.
„wie wird die schmutzige Mirza sich ärgern, wenn sie
mich morgen in diesem Schmuck sieht!" rief sie. „Die Lrau des
ein elendes Gewerbe, das Allah in seinem Zorn geschaffen hat.
von früh bis spät schleppe ich den schweren Krug durch
die Straßen und werde von den Käufern ausgescholten, wenn
das Wasser nicht kühl ist. Die Unverständigen! wie sollte
es kühl bleiben in einem Kruge, der immerfort von dem
goldenen Tagesgestirn bestrahlt wird. So ist mir das Leben
eine Last — und wenn ich nachmittags an den Kaffeehäusern
vorbeikoimne, wo die Reichen sitzen und im Schatten ihre wasser-
pfeife rauchen, dann denke ich, so müßte es wohl in den Gärten
Ulohammeds sein, und ich sehne mich, diese seligen Freuden
auch hier schon einmal kosten zu dürfen, wenn ich also einen
Wunsch äußern dürfte, so wäre es der, immer so viel Geld zu
besitzen, um ein geinächliches Leben führen zu können."
„Dein Wunsch sei Dir gewährt!" sagte die Lee lächelnd.
„Du wirst in Deiner Tasche hundert Goldstücke finden, ihre
Zahl wird immer die gleiche bleiben, so viel Du auch davon
ausgeben inagst. Aber eine Bedingung knüpfe ich daran!"
„welche ist's?" fragte Ulustapha gespannt.
„Du darfst nie mehr eine bewußte Lüge sprechen!" erwiderte
die Lee. „In dem Augenblick, in dein Du eine Unwahrheit
sagst, weicht das Gold von Dir und ebenso alles, was Du damit
erworben hast!"
„Ts wird mir eilt leichtes sein, Du Strahlende, diese
Bedingung zu erfüllen!" rief Ulustapha erfreut. „Ich war stets
der heiligen Wahrheit zugetan und werde es auch ferner so
halten."
„Denk' daran!" sagte die Lee. Bei diesen Worten er-
hob sich ein leichter Nebel und als er sich wieder senkte, war
Ulustapha allein.
ftastig griff er in seine Tasche und zog einen seidenen
Beutel hervor, in dein sich wohlgezählte hundert Goldstücke
befanden. Ulustapha inachte einen Lreudensprung; dann ergriff
er den Wasserkrug und die Trinkbecher, zerschellte sie an einem
Stein und schritt hastig der Stadt zu. Im ersten Basar kaufte
er sich ein vornehmes Gewand und einen gestickten Turban,
bekleidete sich damit und suchte auch für Latine, seine Geiiiahlin,
einen prächtigen Gürtel und einen feinen Schleier aus. Draußen
zählte er seine Barschaft nach und sieh, es waren wieder
hundert vollgewichtige Goldstücke int Beutel, obgleich er mehr
als zwanzig davon in dein Basar bezahlt hatte.
Als er gemächlich die Straße entlang schritt, wie es sich
für einen Ulann seines Äußern gezieinte, kamen auf der anderen
Seite zwei Wasserverkäufer, Ali und Ibrahim, alte Bekannte
von ihm, des Weges. Ali stieß seinen Begleiter an und rief,
auf Ulustapha weisend: „Schau, Ibrahim, wie Allah doch
zuweilen die Menschen gleich bildet I ksätte ich nicht noch heute
früh Ulustapha in seinen alten Lumpen und mit dem Wasser-
kruge gesehen, ich wollte schwören, er käme dort drüben im
Gewände eines vornehmen Mannes daher."
„wahrhaftig", sagte Ibrahim, „er gleicht ihm aufs lhaar!"
— „Aber", fügte er, schärfer blickend hinzu, „siehst Du nicht das
schwarze Mal unter seinem linken Auge?"
„Beim Bart des Propheten, es ist Ulustapha selbst!" rief
Ali. Sie eilten beide über die Straße und bestürmten Mustapha
mit Lragen über seine plötzliche Verwandlung. Doch er hatte
keine Neigung, diesen Schwätzern sein Geheimnis zu offen-
baren, und da er eine falsche Auskunft nicht geben durfte,
schritt er schweigend weiter.
,,^e", rief Ibrahim ergrimmt, „ist Dir das Maul zuge-
r kV a h r h e i t.
wachsen? Glaubst Du, weil Du eiuen guten Mantel trägst,
Deine alten Lreunde verachten zu dürfen? Oder waren wir Dir
nicht immer gute Lreunde, he?"
Schon wollte Ulustapha, uin die Zudringlichen los zu werden,
diese Lrage bejahen; aber da fiel ihm die von der Lee gestellte
Bedingung ein und er sagte mißmutig: „Wohl habt Ihr
Euch immer meine Lreunde genannt, aber Eure Handlungen
waren böse, Habt Ihr nicht meinen Kunden gesagt, mein
Wasser sei unrein? Habt Ihr nicht heimlich Würmer in
nreine Tonne geschüttet? Geht und laßt mich in Lrieden; denn
Ihr habt gegen mich nicht gehandelt wie Lreunde, sondern
wie Leinde."
„was", schrie Ali wütend, „Du Tagedieb, Du willst
uns beschimpfen? warte, ist Dir mit dem neuen Kleid, das
Du irgendwo gefunden oder gestohlen hast, der Hochmut in
die faulen Glieder gefahren, so wollen wir ihn Dir wieder
austreiben."
Er fiel über Ulustapha her und Ibrahim unterstützte ihn
wacker, wie Schmiedehäminer sausten ihre Läuste auf den Un-
glücklichen nieder, und sie ließen erst von ihin ab, als ihre
Arme erlahmten. Dann gingen sie schimpfend und drohend
davon.
sinkend und alle Bekanntschaft verwünschend, schlich Ulu-
stapha heim. Seine Latine erstaunte nicht wenig, als er, gekleidet
wie ein vornehmer, ins Haus trat; aber ihr Staunen ver-
wandelte sich in große Lreude, als Ulustapha ihr unter dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit von seiner unerschöpflichen
Goldquelle und ihrem Ursprung Mitteilung machte. Entzückt
legte sie den Gürtel an, wand den Schleier uin ihr Haupt und
schritt, so geschmückt, in: Zimmer auf und ab, wobei sie allerlei
zierliche Wendungen und Drehungen versuchte und unaufhörlich
ihre Schönheit pries.
„wie wird die schmutzige Mirza sich ärgern, wenn sie
mich morgen in diesem Schmuck sieht!" rief sie. „Die Lrau des
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Fluch der Wahrheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1907
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1912
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 127.1907, Nr. 3239, S. 94
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg