„Iaso!"
In der engen Lafnergaffe ist von allen Geschäften nur
noch -er Laden der Krämerin Birkle erleuchtet; denn längst
ist die Zeit über die obrigkeitlich festgesetzte Stunde des Laden-
schlusses hinaus. Ab und zu kommt auch noch ein später Kunde
in die Krämerei und wird nicht abgewiesen. And so ist es
immer bei Frau Birkle. Wär' kein Wunder, wenn diese fort-
währende Gesetzesverletzung endlich einmal der Konkurrenz, wie
der Polizei zu dumm würde. Gleiches Recht und gleiche Pflicht
für alle! And überdies: an Verwarnungen und Drohungen
von Polizei wie Konkurrenz hat es nicht gefehlt. Warum also
mit der obrigkeitlichen Gerechtigkeit noch zögern?
Da, endlich: ein Schutzmann, Polizeioberwachtmeister
Faßmann, betritt den Laden. Die Ahr zeigt auf halb zehn, die
Türglocke bimmelt so willensstark die Strenge des Gesetzes
nimmt ihren Lauf. „O Gott, o Gott, die Polizei!" flüstert
Frau Birkle für sich, da sie durch die Glastür des rückwärti-
gen Ladenzimmers den Schutzmann gewahrt, und schon im
nächsten Augenblick steht sie vor ihm.
„Lerr Oberwachtmeister," sagt sie mit der versöhnenden
Demut einer großen Sünderin, „Lerr Oberwachtmeister, ich
weiß, es ist nicht recht, aber die Leute lassen sich nicht abweisen.
Lerr Oberwachtmeister, ich kann nichts dafür. Wie gern tät
ich meinen Laden schon um sieben schließen! aber — die Fenster-
scheiben klopft man mir ein, wenn ich nicht ausmache. Die
Anvernunft der Menschen, Lerr Oberwachtmeister, ist zu groß.
Keiner hält sich mehr an Ordnung und Gesetz. Jeder tut, was
ihn freut. And dann, Lerr Oberwachtmeister, ich bitte und
beschwöre Sie: seit zehn Jahren ist mein Mann verschollen,
fünf unmündige Kinder muß ich ganz allein ernähren, vor
Lasten und Abguben, unbezahlten Rechnungen und Außen-
ständen weiß ich oft nimmer, wo mir der Kopf steht. Ich bin
ruiniert, wenn mich auch nur die geringste Strafe trifft. Lerr
Oberwachtmeifter, haben Sie ein fühlendes Lerz! Denken Sie
nur selber ein bisserl nach, Lerr Oberwachtmeister, und sagen
Sie offen: was wollen Sie denn von mir, einer so bemitleidens-
werten Witfrau?"
Der Oberwachtmeister Faßmann besinnt sich aber über-
haupt nicht, sondern sagt ganz leger und selbstverständlich:
„Zehn Stück Memphis."
„Iasoo!-L. I.
Ein kleiner Verlust
Zellstoff mußte an dem ländlichen Bahnübergang halt
machen. Der junge Mann, der dort schon seit längerer Zeit
herumlungerte, ließ prüfende Blicke über Zellstoffs Auto gleiten.
Dann kam eine mehr in die Luft gesprochene Aeußerung: „Ja,
det is schon manchem passiert, wo ich begegnet bin."
„Was ist passiert? Was meinen Sie?" Zellstoff hat sein
Auto noch nicht lange, aber er weiß, daß an solch einer Ma-
schine sehr viel passieren kann, und darum wird er jetzt unruhig.
Der junge Mann sieht Zellstoff an, als bedauere er ihn
ein wenig. „Wird ja keen jroßer Verlust sein, aber ärjern
wer'n Se sich doch, wenn se futsch is'."
„Was wird futsch sein? Was werde ich verlieren?" Zell-
stoff bangt vor hundert Möglichkeiten. Der junge Mann mag
ja entdeckt haben, daß irgend eine Schraube locker ist.
„Ja, ich bin nu' beinah' sicher, det se futsch jehn wird."
„Aber dann tun Sie doch den Mund auf und sagen Sie
mir Bescheid!" Zellstoff ist entrüstet.
Der junge Mann streckt die Land aus. „Jeden Se mir
'ne Mark!"
Fortsetzung Sette 37b»
Zeichnung von L. Kirchner
Pupatzky,
jetzt Geschäfte gemacht wie 'ne Biene."
r drüben si
„So fleißig?"
„Ree-aber zum Winter wird er wohl 'ne Zelle beziehen."
372
In der engen Lafnergaffe ist von allen Geschäften nur
noch -er Laden der Krämerin Birkle erleuchtet; denn längst
ist die Zeit über die obrigkeitlich festgesetzte Stunde des Laden-
schlusses hinaus. Ab und zu kommt auch noch ein später Kunde
in die Krämerei und wird nicht abgewiesen. And so ist es
immer bei Frau Birkle. Wär' kein Wunder, wenn diese fort-
währende Gesetzesverletzung endlich einmal der Konkurrenz, wie
der Polizei zu dumm würde. Gleiches Recht und gleiche Pflicht
für alle! And überdies: an Verwarnungen und Drohungen
von Polizei wie Konkurrenz hat es nicht gefehlt. Warum also
mit der obrigkeitlichen Gerechtigkeit noch zögern?
Da, endlich: ein Schutzmann, Polizeioberwachtmeister
Faßmann, betritt den Laden. Die Ahr zeigt auf halb zehn, die
Türglocke bimmelt so willensstark die Strenge des Gesetzes
nimmt ihren Lauf. „O Gott, o Gott, die Polizei!" flüstert
Frau Birkle für sich, da sie durch die Glastür des rückwärti-
gen Ladenzimmers den Schutzmann gewahrt, und schon im
nächsten Augenblick steht sie vor ihm.
„Lerr Oberwachtmeister," sagt sie mit der versöhnenden
Demut einer großen Sünderin, „Lerr Oberwachtmeister, ich
weiß, es ist nicht recht, aber die Leute lassen sich nicht abweisen.
Lerr Oberwachtmeister, ich kann nichts dafür. Wie gern tät
ich meinen Laden schon um sieben schließen! aber — die Fenster-
scheiben klopft man mir ein, wenn ich nicht ausmache. Die
Anvernunft der Menschen, Lerr Oberwachtmeister, ist zu groß.
Keiner hält sich mehr an Ordnung und Gesetz. Jeder tut, was
ihn freut. And dann, Lerr Oberwachtmeister, ich bitte und
beschwöre Sie: seit zehn Jahren ist mein Mann verschollen,
fünf unmündige Kinder muß ich ganz allein ernähren, vor
Lasten und Abguben, unbezahlten Rechnungen und Außen-
ständen weiß ich oft nimmer, wo mir der Kopf steht. Ich bin
ruiniert, wenn mich auch nur die geringste Strafe trifft. Lerr
Oberwachtmeifter, haben Sie ein fühlendes Lerz! Denken Sie
nur selber ein bisserl nach, Lerr Oberwachtmeister, und sagen
Sie offen: was wollen Sie denn von mir, einer so bemitleidens-
werten Witfrau?"
Der Oberwachtmeister Faßmann besinnt sich aber über-
haupt nicht, sondern sagt ganz leger und selbstverständlich:
„Zehn Stück Memphis."
„Iasoo!-L. I.
Ein kleiner Verlust
Zellstoff mußte an dem ländlichen Bahnübergang halt
machen. Der junge Mann, der dort schon seit längerer Zeit
herumlungerte, ließ prüfende Blicke über Zellstoffs Auto gleiten.
Dann kam eine mehr in die Luft gesprochene Aeußerung: „Ja,
det is schon manchem passiert, wo ich begegnet bin."
„Was ist passiert? Was meinen Sie?" Zellstoff hat sein
Auto noch nicht lange, aber er weiß, daß an solch einer Ma-
schine sehr viel passieren kann, und darum wird er jetzt unruhig.
Der junge Mann sieht Zellstoff an, als bedauere er ihn
ein wenig. „Wird ja keen jroßer Verlust sein, aber ärjern
wer'n Se sich doch, wenn se futsch is'."
„Was wird futsch sein? Was werde ich verlieren?" Zell-
stoff bangt vor hundert Möglichkeiten. Der junge Mann mag
ja entdeckt haben, daß irgend eine Schraube locker ist.
„Ja, ich bin nu' beinah' sicher, det se futsch jehn wird."
„Aber dann tun Sie doch den Mund auf und sagen Sie
mir Bescheid!" Zellstoff ist entrüstet.
Der junge Mann streckt die Land aus. „Jeden Se mir
'ne Mark!"
Fortsetzung Sette 37b»
Zeichnung von L. Kirchner
Pupatzky,
jetzt Geschäfte gemacht wie 'ne Biene."
r drüben si
„So fleißig?"
„Ree-aber zum Winter wird er wohl 'ne Zelle beziehen."
372
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Da drüben sitzt Pupatzky..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1929
Entstehungsdatum (normiert)
1924 - 1934
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 170.1929, Nr. 4376, S. 372
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg