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Die Weissagung

Viele, viele Jahre später streifte ein französischer Abbe,
die Büchse in der Hand, über die endlosen Prärien des
westlichen Amerikas. Zeiten blutiger Kämpfe und Kriege
waren jenem obcnbeschriebenen Ucberfall gefolgt, die Urein-
wohner des Landes erlagen der Kriegskunst der Weißen; die
jene blutigen Kämpfe Ueberlebendcn wurden weit nach Westen
zurückgedrängt. Jetzt herrschte wieder Friede zwischen den Weißen
und den Rothhäuten, und der französische Reisende konnte
darum ungefährdet auf den unermeßlichen Prärien der Büfsel-
jagd obliegen, mit welcher er übrigens mancherlei Beobach-
tungen des Landes, seiner Naturerzeugnisse und seiner Ein-
wohner verband. Ein Indianer begleitete den unerschrockenen
Mann als Dolmetscher. Der Abend begann über die weiten
Ebenen der Prärie seine Schatten auszubreitcn, als der
ermüdete Jäger ein indianisches Dorf erreichte. Die Friedens-
pfeife wurde angebotcn und angenommen, der Fremde konnte
nun sicher mitten unter den Rothhäuten weilen. In der
Hütte des Häuptlings findet er und sein Begleiter gast-
freundliche Herberge.

Am nächsten Morgen, als der weiße Gast sich zum
Abschied rüstete und neugierigen Blickes die Hütte durch-
musterte, erblickte er in einem Winkel ein Buch in buntem
Umschlag, und dasselbe öffnend, sah er eine Menge wunder-
licher unbehilflicher Zeichnungen.

Er dnrchblättert das seltsame Heft, und in seinen
Mienen zeigt sich eine freudige Ueberraschung. „Hat mein
Bruder diese Bilder gemalt?" fragte der Fremde durch den
Dolmetscher seinen Wirth. Trotz aller Selbstbeherrschung,
die den Indianern in so hohem Grade eige n ist, konnte
dieser Verlegenheit und Bcsorgniß nicht ganz verbergen und
gab eine verneinende Antwort. „Haben meines Bruders Vor-
fahren diese. Dinge gemalt?" ließ der Abbo darauf von
neuem fragen, und der Indianer bejahte, um nur den lästigen
Frager zu befriedigen.

„Will mein Bruder seinem weißen Bruder dieß Buch
schenken?" fragte darauf der Abbö weiter. Der Indianer
war augenscheinlich besorgt und bedenklich, lange stand er
sinnend und nachdcnkend da, endlich erwiederte er: „Wird
der weiße Mann seinen Brüdern nicht schaden wollen durch
diese Bilder?" Der Abbö begriff zwar nicht, wie er dies
zu Wege bringen könnte, versprach aber eifrig, daß dies auf
keine Weise geschehen solle. Es galt noch ein langes Hin-
und Herreden. Es war deutlich wahrzunehnien, daß der
Indianer jenes Heft nur ungern auö den Händen gab, er
konnte aber endlich den Gegengaben, die der Franzose anbot,
nicht widerstehen; als dieser zu dem schönen Jagdmestcr noch
ein Pulverhorn und eine Korallenkctte legte, willigte er in
den Tausch und vergnügt nahm der Franzose Abschied. Wenn
zwei Leute von ganz verschiedenen Anschauungen sich nur
unvollkommen durch einen Dolmetscher unterhalten können,
sind Mißverständnisse kaum zu vermeiden. Der Indianer
war der Sohn jenes Häuptlings, der einst das uns bekannte
Dorf überfallen. Nazis Bilderbuch war mit den Znrück-
weichenden nach Westen gewandert, der Sohn aber wußte,

der Zigeunerin.

wie dasselbe in des Vaters Wigwam gekommen. Unruhigen
Sinnes schaute er dem weiterwandernden Abbe nach und
sagte vor sich hin: „Warum habe ich dieses Ding nicht längst
weggeschafft, ich konnte es dem weißen Mann nicht länger
verweigern, er hatte es einmal gesehen. Warum wollte er die
Bilder haben? Ist er ein Sohn oder Nachkomme jener
Weißen, die mein Vater damals überfallen, und wird er nun
mit Anderen wiederkommen, um die Seinen zu rächen?"

Der Franzose dachte nicht von fern an so etwas. Des
Abends schrieb er vielmehr in sein Reisetagebnch: „Heute
machte ich einen höchst wicktigen Fund; in der Hütte eines
Indianers fiel mir ein Buch in die Hände mit unbehilflichen
aber höchst originellen Zeichnungen, offenbar von Jndianerhand
stammend. Es gelang mir, mich in den Besitz desselben zu
setzen, obschon der Besitzer nur widerwillig sich von demselben
trennte. Es mag wohl eine Chronik seines Stammes sein
in der naiven Bilderschrift dieser Naturkinder. Es schien,
als ob zugleich religiöse Interessen den Besitzer nüt diesen
Bildern verknüpften, denn mehrmals fragte derselbe besorgt,
ob ich dies Buch auch nicht zu seinem Verderben benützen
würde? Erst nach wiederholten Versicherungen, daß dies nicht
geschehen würde, kam ich in den Besitz des Buches. Der
Preis, den ich dafür zahlen mußte, gab einen Beweis davon,
welch hohen Werth der Indianer auf diese Bilderchronik seines
Stammes legte."

Wie ein unschätzbares Gut trug der Abbe Nazis
Buch davon, und als er nach dem Vaterlande heimgekehrt
war, nahm dasselbe in der Sammlung indianischer Merk-
würdigkeiten, die er sich angelegt hatte, den vornehmsten Platz
ein, als ein interessantes, einziges Document der Bilderschrift
der Rothhäute. Er vermachte dasselbe bei seinem Sterben
der Arsenalbibliothek in Paris, wo es unter dem Titel
„Buch der Wilden" eine vorzügliche Stelle einnahm.

Wieder vergingen lange Jahre. Das Buch der Wilden
ward von manchem Gelehrten angestaunt. In Frankreich
war nach wilden Stürmen die glorreiche Zeit des zweiten
Kaiserreichs aufgegangcn. „Das Kaiserreich ist der Friede!"
aber nicht allein den Frieden sollte es bringen, auch die
Wissenschaft und Alles, was das menschliche Geschlecht fördern
und beglücken mag, sollte unter seinen Strahlen wachsen und
gedeihen. Jetzt schien es Zeit zu sein, auch jenes wunderbare
„Buch der Wilden" zu Nutz und Frommen der Welt der
Oeffentlichkcit zu übergeben.

Der berühmte Bibliothekar machte einen gelehrten Abbö
auf jenes Werk aufmerksam, dieser unternahm die Deutung
der seltsamen Bilderschrift. Der kaiserliche Hausminister
unterstützte auf allerhöchsten Befehl die Herausgabe des un-
schätzbaren Werkes auf das Freigebigste, und so wurden denn
im Jahre 1860, weit über hundert Jahre nach Nazis
frühem Tode, von fleißigen Händen des Knaben Zeichnungen
genau auf Stein nachgezeichnet und abgedruckt, und der ge-
lehrte Abbö begleitete dies Werk mit sinnreichen Erklärungen.
Die erstaunte Welt erhielt unter dem Titel: „Nanusorit
pietograplüguo ^.merieain preosäö ä'une blotios sur l’Ideo-
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