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106 Güterzertrümmerer.

andere Kinder jubelnd um die geschmückten lichtfunkelnden
Christbäume drängen.

Unter denen, die an dem eben erwähnten Christmarkte nach
der Stärke der Geldbeutel Einkäufe machten, befand fich auch
ein hochgewachsener, starker Bauersmann.

Sein Anzug und die großen filbernen Knopfe auf der schwarz-
manchesternen Jacke und Weste zeigten von Wohlhabenheit.

! Sein Geficht war rund und wohlgenährt, und trug den echten
Stempel von gerader treuherziger Gutmüthigkeit. Fast kindlich
! lächelte dieser Mann — der einen stattlichen Bauernhof etwa
! sechs Stunden von München entfernt fein nannte, und vor
fünf Jahren durch die Heirath mit der Tochter eines reichen
Oekonomen sein von den verstorbenen Eltern ererbtes Vermögen
noch bedeutend vermehrt hatte — den bunten Staat und Flitter
der Buden an. Manche Erinnerung an die Heimgegangenen
Eltern stieg dabei in seinem unverdorbenen Gemüthe auf, und
um den schmerzlichen Gefühlen zu entgehen, die ihm die Ver-
blichenen vor sein geistiges Auge stellten, wendete er fich rasch
ab. Er winkte einem Knechte, der ihm einen kleinen Pstug
und einen Güterwagen mit vier völlig angeschirrten Pferden
bespannt, nebst anderem Spielzeuge nachtrug, und drängte fich
aus dem Getümmel.

Wie schon erwähnt, der Abend war unfreundlich und naß-
kalt. Deßhalb stieg dem Landmanne bei dem Anstchtigwerden
der hell erleuchteten Fenster des englischen Kaffeehauses der
Wunsch auf, fich durch eine warme Taffe Kaffee den Magen
zu erquicken. Gedacht, gethan. Er schickte den Knecht mit
dem Spielzeuge in das Gasthaus, wo er, wenn er in München
übernachtete, gewöhnlich sein Fuhrwerk einstellte, und trat bald
darauf in das mit Tabaksqualm angefüllte Kaffeehaus ein.
Hier hing er in einer Ecke seinen Mantel und Hut auf und
setzte fich an ein Seitentischchen.

„Ah, grüß Gott Maierbauer, seid Ihr auch hier?" ließ fich jetzt
eine widerliche Stimme vernehmen. Der Angeredete wendete
den Kopf und gewahrte Lämmle, den feisten Juden, der
auch in seinem Dorfe oft zusprach, und vom Bockfell bis zum
theuren Goldschmucke und bis zum edeln Steine mit allem
nur immer erdenklich Möglichen handelte, auf Hypotheken
Gelder lieh, und bei vielen Ganten und Güterzertrüm-
merungen betheiligt war.

„Ei ja," entgegnete der Bauer. „Morgen ist's Christabend
und da muß man doch auch ein Bissel dergleichen thun. Die
heilige Zeit kommt ja alle Jahre nur ein Mal und d'Kinderln
wollen doch auch eine Freud' haben."

„Recht, recht," lächelte Lämmle, und legte die Doppel-
sechs auf, listig seinen Tischnachbarn anschielend, mit dem er
Domino spielte, und der nicht ansetzen konnte.

Dervricßlich hob dieser — nach seinen markirten verschmitz-
ten Zügen zu schließen, ein Jsraelite wie Lämmle — einen
Stein nach dem andern auf. Die Nummer 6 befand fich
jedoch nicht mehr in dem Spiele, und Lämmle hatte gewonnen.
Vergnügt strich er einen Zwanziger ein, und der Andere setzte
an die vier auf dem Tisch liegenden Sechser acht Groschen zu,

, die Lämmle mit einem Fidibus beleuchtete und einen E-G röschen

zurück schob, den Jener ärgerlich durch einen gangbaren Dreier
ersetzte.

Während nun die Dominosteine gemischt und wieder aus-
getheilt wurden, neigte fich Lämmle's Tischnachbar zu diesem
herüber und fragte leise, auf den Maierbauern deutend: „Kennt
Ihr den Mann?"

„Nun— ob ich ihn kenn'?"

„Ist er gut, der Mann?" fragte der Andere wieder.

„Der Mann," flüsterte Lämmle jetzt wichtig, „ist nicht nur
gut, er ist, so wahr ich leb, baar Geld — ist achtzehn-
grädig Gold!"

„Mein! was sagt Ihr da? Ihr utzt mich!"

„Ei, was utzen! ich schätz den Mann," eiferte Lämmle,
„mit HauS und Hof, gering angeschlagen, auf sechzigtausend
Gulden, und wenn ich sag' die Unwahrheit, so soll daS sein
mein Tod." Dabei erhob er daS Bierglas und that einen
mächtigen Zug.

Der Tischnachbar antwortete mit einem „Mein!" der Ver-
wunderung, ordnete seine Steine, und die beiden Schacherer
warfen nun von Zeit zu Zeit unheimliche habsüchtige Blicke
auf das gutmüthige Geficht deS Bauern.

Besonders Lämmle nahm ihn scharf aufs Korn; denn schon
lange hätte er mit diesem Manne gerne Geschäfte gemacht,
wußte es aber nie recht anzustellen. Seine sonst stets matten
grauen Augen starrten jetzt wie angeblasene Kohlen unter seinen
Brauen hervor. Der Jude verwendete den größten Eifer, die
Stimmung des stattlichen Landmannes zu studiren, gleich einem
Anatomen, der bei der Section eines Leichnames der Ver-
zweigung jedes Aederchens und jeder Faser nachspürt.

Die Aufmerksamkeit des dicken Juden wurde sonach vom
Spiele abgelenkt. Diese Zerstreuung benutzte sein Gegner und
Lämmle verlor einige Spiele hinter einander. Er stellte fich
ermüdet — gähnte — und wollte nicht mehr spielen. Der
Andere gab fich, obwohl ungerne, darein, und Lämmle griff
nun wie zufällig in die Tasche, und ließ eine altmodische gol-
dene Halskette, von einem schweren Schlosse zusammengehalten,
an dem Lichte funkeln.

„Schaut an die solide Arbeit," sagte er zu seinem Tisch-
nachbarn, „wie geschmackvoll und doch wie fest ist fie gemacht;
wenn mer betrachtet dagegen eine Arbeit der jetzigen Zeit, muß
mer lachen überlaut. Ha! das ist schwer — das fällt in’8
Gewicht — das hat an Werth — das ist solid!" Dabei wog
er die Kette auf der schmutzigen Hand, und ließ fie durch
seine kurzen, dicken Finger spielen, die, mit Ringen überladen,
kaum fich gehörig biegen konnten.

„Ei Lämmle, was habt Ihr denn da?" fragte jetzt der
Maierbauer, dessen Blick zufällig auf die Kette fiel.

„Eppes Rars! eppes Schöns! eppes StaatsmäßigS! eppeS
SolidS!" schwatzte der Jude nun in einem Athem. Seine Füße
correspondirten in diesem Augenblicke mit seinem GlaubenSver-
wandten, der sogleich den Schachererkniff verstand, seine
dürren langen Finger nach der Kette ausstreckte und nun dies«
so nahe an das kurzfichtige Auge hielt, daß fie fast seine
Wimpern streifte.
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