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Wohnungsnoth.

characterisirte, und damit auch die Streichmusik vertreten sei, so
wurde dazwischen eine Violine gekratzt.
Dieser Ohrenschmaus hatte bereits die ländlichen Honora-
tioren „nach Belieben", die Mittelklasse „um 6 Kreuzer" und das
Volk „nach Möglichkeit" da oben versammelt, so daß sich unser
Schauspieler, — denn als solchen erkennt ihn wohl jetzt Jeder,
ganz allein im ebenerdigen Schanklokale befand; selbst die
Kellnerin ließ ihn pflichtvergessen allein, um auch Einiges
von dem genannten Lustspiele zu profitireu. Diese Zeit benützte
mm Herr Müller, so hieß nämlich der Schauspieler, auf
eine sehr vortheilhaftc Weise, indem er ohne Umstände seine
Wachsleinwand von den Bindfäden befreite, um seine nassen
Kleider und Wäsche mit trockenen zu wechseln. — Bei dieser
angenehmen Beschäftigung wurde er in dem Augenblicke von der
Wirthin überrascht, als er im tiefsten Neglige auf der Ofen-
bank stehend eben beschäftigt war, seine nassen Kleider und
Wäsche auf eine Querstange zu hängen, die frei in der Luft
schwebend zu ähnlichen Zwecken an der Decke des Zimmers
befestigt war, wie das häufig in ländlichen Wirthsstüben ge-
bräuchlich ist. Kaum hatte die Wirthin dieses frevelhafte Be-
ginnen erblickt, als sie, die Fäuste in die Hüsten stemmend, mit
unheilschwangerem Gesichte keifend auf ihn loszog, indem sie


ihm mit kreischender Stimme zurief: „Ja, was soll denn das
heißen? Ich glaube gar, Sie ziehen sich ganz aus?"
„Ganz nicht," entgegnete mit Ruhe der Schauspieler, „denn
ich will mir vor Ihnen, liebe gute Frau, keine Blöße geben,
aber wenn Sie Geduld haben wollen —"
„Nichts Geduld!" fiel ihm die Wirthin in's Wort, „wie
können Sie sich unterstehen, solchen Scaudal hier zu treiben?
Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Augenblicklich herunter
von der Bank, oder ich rufe meine Leute!"
„O, bitte sich nicht zu bemühen, ich werde schon läuten,
wenn ich Jemand benöthigc."
„Ich glaube gar, der Mensch ist verrückt," fuhr in steigen-
dem Zorne die Wirthin fort, „noch einmal, was wollen Sie
hier? Wer sind Sie?"
„Ich bin ein zugereister Schauspieler und wünsche vor der
Hand nichts als ein Nachtquartier bei Ihnen," entgegnete
Müller mit der größten Höflichkeit.

„Komödiant! — Nachtquartier bei mir! Das fehlte mir
noch, Hab' so nichts als Galle und Verdruß mit den Leuten!
Erst kommt Einer, dann kommen Zwei und dann hat man sie
Alle auf dem Hals! Wenn's mir nach ginge, ich hätte Euch
gar nicht da spielen lassen, aber mein Mann, der alte Esel, hat
den Narren daran gefressen — jetzt haben wir's."
„Der alte Esel hat wahrscheinlich mehr Kunstsinn als
Sie," antwortete Müller, „und ich begreife nur nicht, daß er
darum ein Esel sein soll, noch weniger aber begreife ich, liebe,
gute Frau, daß er bei Ihnen alt geworden ist."
„Jetzt reden Sie nicht lang, sondern machen Sie, daß
Sie fortkommcn," eiferte die Wirthin, „an dem Tische da sitzt
der Herr Landrichter mit seiner Gesellschaft und Sie hängen
da oben Ihre nasse Wäsche auf! In meinem Leben ist mir so
ein Mensch nicht vorgekommen."
Unter diesem Wortwechsel, welcher von Müller's Seite
aber mit philosophischer Ruhe geführt wurde, hatte er sich
wieder ganz angezogen, sprang von der Bank herunter, nachdem
er auch seine nassen Kleider herabgenommen, und stand nun
wieder trocken vor der Wirthin, indem er mit scheinbarem Be-
dauern zu ihr sprach: „Es thut mir sehr leid, daß ich einen
solchen Frevel begangen, denn ich hätte bald den Herrn Land-
richter mit seiner Gesellschaft unter Wasser gesetzt, und ich bin
überzeugt, daß die Herren sich gewiß besser auf's Bier ver-
stehen; — aber nun frage ich Sie noch einmal: kann ich bei
Ihnen heute ein Nachtquartier haben?"
„Bei mir ist kein Einkehrwirthshaus," lautete die Antwort
der Wirthin, „aber gehen Sie hinüber zum Adler, dort können
Sie schon bleiben, nur dürfen Sie nicht sagen, daß Sie ein
Komödiant sind, sonst behält man Sie auch nicht."
Müller bedankte sich für ihren guten Rath auf die freundlichste
Weise, versprach ihr die Zeche morgen zu bezahlen, wenn ihm
nämlich der. Herr Direktor seine zwei Gulden Vorschuß wird ge-
geben haben, und die Wirthin ließ ihn wirklich ohne Anstand weiter
gehen, wahrscheinlich, weil sie ihn um jeden Preis los sein wollte.
Da stand er nun wieder unter Gottes freiem Himmel,
der aber jetzt ein freundliches Gesicht machte, denn der Mond
war leuchtend hervorgetreten, der Regen hatte aufgehört, die
Lust war lau, beinahe warm, und so stimmte die Natur das
Gemüth des arg gequälten, müden Reisenden heiter und ver-
söhnlich. Er dachte: Die Schauspielertruppe mag wohl hier in
keinem guten Credit stehen, vielleicht nicht ohne Grund, — und so-
mit verzieh er dem rohen Weibe ihre Ungastlichkeit. Mit diesen!
Gedanken schritt er dem Gasthaus zum Adler zu, denn seinen
neuen Direktor wollte er erst den andern Tag früh besuchen,
weil ihn dieser Besuch viel mehr anwiderte, als die groben Be- !
gegnungen einer engherzigen, dummen Wirthin. Er überschritt
die Schwelle des Adlers, ein Wirthshaus, welches wenig be-
sucht war, in dessen Schenkzimmer nur 2 Fuhrleute Karten
spielten. Der Wirth schnarchte, auf seine Ellbogen gelehnt, seit-
wärts in einem Winkel und die Wirthin saß bei ihrer Rechen-
tafel, als der Schauspieler zu ihr trat und ein Nachtquartier
verlangte. Mit einem Seitenblick auf sein Wachsleinwandpacket
fragte sie ihn: „Wer seid's denn?"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
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Fliegende Blätter
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1477, S. 146
 
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