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I

Eine Virtuosi».

Von Ludwig Kalisch.
(Fortsetzung.)

IV.

Es braucht nicht erst besonders erwähnt zu werden, daß
die Vermählung Grünspechts mit Hulda in allen große» und
kleinen Blättern angezeigt wurde.

Gleich nach der Hochzeit wurde die Frau Bretzel, die keine
Unschuld mehr zu überwachen hatte, von Tochter und Schwieger-
sohn entlassen. Jene vergoß bei der Abreise der Mutter so viel
Thränen, daß in deren Strom der allergrößte Schmerz hätte
bequem hcrumschwimmcn können, und dieser betheucrte, daß er
die Trennung so oft wie möglich durch Besuche mit seiner Gattin
unterbrechen würde. Frau Bretzel wußte, was sie von diesen
Thräncnfluthcn und Betheuerungen zu halten hatte und begab
sich auf die Reise nach der Heimath.

Grünspccht-Bretzclius — so nannte sich jetzt der Gatte
Hulda's — brachte mit seiner Hälfte die Flitterwochen in
Baden-Baden zu und ließ sich dann in einer süddeutschen
Residenz nieder, wo er ein Haus machte. Alles, was Bildung
besaß, oder für gebildet gelten wollte, wünschte in das Haus
des Dr. Grünspecht eingeführt zu werden. Gymnasialprofessorinnen
mit hoffnungsvollen Töchtern, penswnirte Beamte mit Ehehälften
und blonder Nachkommenschaft, ästhetische Wittwen, alte Hage-
stolze und bejahrte Jungfrauen drängten sich zu den Grünspecht-
Bretzelius'schen Thcckränzchcn, wo die Musen ohne Grazie» weilten.

Hulda ließ sich so oft wie möglich aus der Geige hören;
»nd so oft wie möglich ließ sich auch ihr Gatte vernehmen.
Er las nämlich seine Gedichte und sonstige poetische Produkte
vor. Doch wurden diese Kunstgenüsse den Gästen mit einer
höchst regelmäßigen Abwechslung geboten. Sobald Hulda dm
Violinbogen nicderlegtc, fing ihr Gatte zu lesen an, und sobald
dieser eine seiner Schöpfungen vorgetragcn, steckte sich seine
Elattin wieder die Geige unter den Hals. Es wurde in diesem
Kreise sehr viel Weihrauch verdampft, der aus dreierlei Sorten

! bestand. Die erste Sorte wurde von den Güsten geliefert.

Nach jeder Geigenleistung schwenkten sie das Weihrauchfaß um
j Hulda's Nase, und nach jeder Lektüre Grünspechts wurde es

i von ihnen um sein Haupt geschwenkt. Damit war aber das

j Paar noch keineswegs zufrieden. Sie lobten sich auch selbst
und fanden den Duft des Eigenlobs nicht nur nicht unangenehm,
sondern viel süßer als sämmtlichc Wohlgerüchc Arabiens. Das
Ivar die zweite Sorte. Die dritte Sorte bestand aus dem Lob,
das sich das Ehepaar gegenseitig spendete. Wen» nämlich

Hulda sich auf einige Augenblicke entfernte, so sprach ihr Gatte
mit flammender Begeisterung von dem unvergleichlichen Talente
seiner Gattin, vergaß dabei nicht, ihre seltenen geistigen Vorzüge
und Herzenscigcnschaftcn im Dithyrambentone aufzuzählen und
fügte dann hinzu, daß ihr kindlich naives Gcmüth keine Ahnung
von der Begabung habe, die ihr von einem verschwenderischen
Genius verliehen worden. Hulda ihrerseits benutzte jede augenblick-
liche Abwesenheit ihres Gatten, um vor der Gesellschaft seine
umfangreichen Kenntnisse, seinen poetischen Geist, seinen kritischen !
Verstand, seine harmonischen Verse, seine unnachahmliche Prosa
und besonders seine große Bescheidenheit zu preisen; und sic !
versicherte dabei, daß wenn sie ihr geringes Talent zu einiger ;
Reife gebracht und ihr die Anerkennung des Publikums in so !
reichem Maße zu Theil geworden, sic es ihm, ihm allein und
keinem Andern zu verdanken habe.

Diese gegenseitige Unsterblichkeitsassecuranz wurde von vielen
Besuchern des Grüuspecht'schen Thcckrciscs durch die satyrische !
Beize gezogen, und zwar just von denen, die dort die Lobpsalmcn '
am lebhaftesten anzustimmen pflegte». Die Männer hechelten Grün-
specht weidlich durch. Sie behaupteten, daß sie bis jetzt noch
nicht wüßten, ob seine Prosa erbärmlicher als seine Verse, ob
es ein größerer Genuß sei, diese oder jene nicht zu hören, und

Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst-
19. Handlungen, sowie von allen Postämtern und
Zeitungsexpeditionen angenommen.

Erscheinen wöchentlich ein Mal. Preis des Bandes

(26 Nummern) 6 Mark 70 Pf., excl. Porto bei Dd.I/HI.

directem Bezüge. Einzelne Nummern 30 Pfennige.


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