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Ein Abenteuer im Postwagen.

der einen, bald nach der anderen Seite der glatten, gewölbten
Chaussee gleitend, nahe daran, mit den zu beiden Seiten laufenden
Gräben in unangenehme Berührung zu gerathen. — Der pausbackige
Postillon saß auf seinem Bocke und schaute darein, wie ein
Hauptmann a. D., der sich aus Verzweiflung auf eine
! rationell sein sollende Schweinezucht geworfen und bei jedem
Morgengrauen den Verlust einiger Ferkel zu constatiren hat.
Dabei hieb er unbarmherzig auf seine beiden hinkenden Braunen
ein und überschüttete sie mit einem Schwall von Liebesaus-
drücken, welche sicher einen Platz in dem weltberühmten „Lexicon
preußischer Unterofficiersschimpfwörter" gefunden haben würden,
im Falle der Herausgeber desselben gerade zugegen gewesen
I wäre. Bei jedem Peitschenhiebe, der die beiden Pferde
traf, schnitt die Dame mit dem juchtcnledcrrothen Gesichte und
i dem Bärtchen ä la Margaretha v. Parma eine Grimasse,
als hätte ihr Jemand auf das empfindlichste ihrer Elsteraugen
getreten und drückte dann die Miniaturausgabe ihres Pudels
mit so inniger Zärtlichkeit an's Herz, als ob sie demselben
sagen wollte: „Du sollst keine andern Götter haben neben mir."
Während dieser, mit bewundernswürdiger Virtuosität ausgeführ-
ten Verzückungen, drehte der junge Mann mit dem Daumen
und Mittelfinger seiner linken Hand krampfhaft einen, aus dem
kleinen Finger der Rechten prangenden, unecht aussehendcn
Siegelring, holte in Intervallen von 5 zu 5 Minuten
mechanisch einen Taschenspiegel hervor und vertiefte sich dann
einige Zeit mit sichtlicher Befriedigung in das Bild seines Ant-
litzes; anderseits war er bestrebt, in der Gegend des mensch-
lichen Körpers, wo bei seiner gcgenübersitzcndc» Gefährtin der
Schnurrbart saß, mit fabelhafter Beharrlichkeit einige Härchen zu
erfasie» und mit den Fingerspitzen zusammcnzudrchen. Plötzlich
- schien ihm ei» Lichtgedanke durch's Gehirn gefahren zu sein,
j In möglichst ostensibclcr Weise holte er aus der Tasche seines
Rockes eine Cigarrcntaschc hervor und fragte, sich vor seinem
j Vis-a-vis verneigend: „Sie erlauben doch, meine Gnädige,

daß ich mir eine Cigarre anzünde?"

Diese aber, hocherfreut einen Gesprächsfaden ergreifen zu
■ können, erwiderte mit schmachtenden Blicken: „Ich muß wirklich
j unendlich bedauern, aber ich kann den Rauch einer Cigarre
durchaus nicht vertrage»; cs ist dieses eine Eigenschaft, die ich
von meiner seligen Mutter, einer Geborenen von Plampona
aus Madrid — der Name mag Ihnen wohl nicht unbekannt
sein — geerbt habe." —

„Plampona?" reflektirte der durch die Eloquentia seiner
! Reisegefährtin erfreute junge Mann; „war das nicht der Name
des berühmten Generals, von dem mir mein Onkel, der Gras
von Rachow, so ost erzählt hat?"

„Jawohl, Sie haben ganz recht, mein Herr, jener Gene-
ral war der Bruder meiner Mutter; übrigens glaube ich aus
Ihrer Rede schließen zu dürfen, daß auch Sic von Adel sind?"

„Mein Name ist 0r. von Ballenstädt aus Schweden," er-
I widerte dieser, „dürfte ich mir vielleicht Ihren wcrthen Fami-
l licnnamen ausbitten?"

„Adelgunde von Bieberhausen", hauchte mit dem ganzen
j Aufwande ihrer Vornehmheit die Holde, indem sie ihre Blicke

süßverschämt auf die Fingerspitzen ihrer defekten Handschuhe
senkte; „mein Vater war Zahnitätsarzt in Berlin." —

„Ah tres agr^able, mademoiselle," schnarrte der Doktor,
„freut mich ungemein, den Sprößling eines so edclen Geschlech-
tes kennen zu lernen; hatte gleich gemerkt, eine Dame von
Geblüt vor mir zu haben, darauf haben wir Adelige nun ein-
mal einen ganz besonderen Scharfblick. Also Sanitätsrath war
Ihr Herr Vater?"

„Jawohl, mein Herr. — Sie sind wohl Doktor in
honoris oausa?"

„Nein! in ahsontia; natürlich nur aus Liebe zum Fach;
ich lebe sonst meistens auf meinen Gütern, das heißt, falls ich
mich nicht am Hofe des Königs aufhalte" — sagte der gecken-
hafte Ganymed, worauf dann Adelgunde mit sichtlichem Inter-
esse weiterforschte:

„Dann liegen Ihre Güter wohl nicht weit von Absentia
entfernt? — Ach wie herrlich muß es. sein, auf dem Lande
zu leben und zugleich seine Kräfte den Wissenschaften zu widmen;
auch ich schwärme für die Gelehrsamkeit, und das Latein ist
eigentlich meine Lieblingssprache. Sie sprechen doch auch La-
teinisch, Herr Doktor, nicht wahr?"

Diesen schien ein Grauen zu überkommen bei der uner-
warteten Gelehrtheit seines Vis-a-vis, und einigermaßen ver-
legen cntgegnetc er: „Natürlich mein gnädiges Fräulein, freilich
ist unser schwedisches Latein etwas anders als das Ihrige, auch
ziehe ich zur Conversation die chinesische und hebräische Sprache
vor!" —

Ganz entzückt, in Gesellschaft eines so hochgestellten Herrn
zu reisen, begann Adelgunde schon darüber nachzusinnen, ob
ein Postwagen nicht eigentlich das beste Ehevermittelungsinstitut ab-
geben und wie sic wohl am geschicktesten ihre Netze auswerfcn könnte,
Gedanken, die in dem Gehirn einer älteren „jungen Dame",
wie Adelgunde war, gewiß sehr verzeihlich sind. Endlich öffnete
sie ihre Reisetasche und holte, nachdem sie zuerst zwei Bücher
an's Licht befördert hatte, einen, nicht allzu appetitlich aus-
schendcn Kuchen hervor, diesen zerbröckelnd und dann den
Doktor mit schmachtenden Blicken nöthigend, doch ein Stückchen
aus ihre» Händen anzunehme». Diesem begann das Her)
höher zu schlagen, und mit verbindlichem Lächeln nahm er der
aristokratischen Schönheit ein Stückchen ab, dasselbe mit Be-
hagen verzehrend. —

„Aber Verehrtester Herr Doktor, Sic müssen doch auch
»och ein Stückchen von der Kruste probire», das ist ja gerade
das Beste", meinte die hochbeglückte Adonide. Doch der An-
gcredetc dankte durch eine galante Verbeugung, worauf Fräu-
lein von Biebcrhauscn mit selbstbewußtem Lächeln anhub:

„Na, wenn Sie nicht Ivollcn, dann nicht; de krustibus ,
non disputandum est — nicht wahr Herr Doktor?"

„Wie meinen Sic, mein Fräulein?"

„Ich sagte: „de krustibus non disputandum ost, da- j
heißt: der Eine liebt die Krusten, der Andere nicht. 31'
Ihr lateinisch denn ganz anders, als das deutsche?" inquin»^
Adelgunde.

„Ach nein, ich verstehe ganz gut, muß aber wirklich j
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