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Gebrochene Tinten.
Wie gerne hätte er sich der schönen Kunst der Malerei
ausschließlich gewidmet; aber Verhältnisse, die zu bewältigen
nicht in seiner Macht lagen, zwangen ihn, den Pinsel bei Seite
zu legen und sich dem Lchrfache zu widmen. Ein sehr sau'res
Brod! — Das sei Jedem gesagt, der es nie gegessen hat! —
Mein Freund erhaschte eine kleine Professur, die eben so viel
abwarf, um sein anspruchloses Leben anständig zu fristen, und
er war glücklich dabei; nannte man ihn doch Herr Professor und
bezeugte ihm eine gewisse Achtung, deren er sich sehr freute, da
er sie in der Unschuld seines Herzens für wahr hielt.
Pinsel und Palette wurden also sorgfältig in ein Kistchen
verschlossen und auf den Dachboden getragen, nicht ohne einem
wehmüthigcn Blicke des Abschieds und der inneren Uebcrzeugung:
seine Lieben nicht für immer bei Seite gelegt zu haben. Nun
ging cs an's rüstige Schaffen. Ach, was hat so ein kleiner
Professor Alles zu thun! Was für ein Wust von Büchern
verschiedener Sprachen und Wissenschaften umgab den armen
Mann! Dazu kamen musikalische Werke verschiedener Classiker,
und Zeichnungen von Landschaften, Köpfen und Thicrstückcn;
denn er hatte die feste Uebcrzeugung, daß cs keine für sich allein
dastehende Kunst gebe, sondern daß sich alle Künste und Wissen-
schaften so nahe berühren, daß die Grenze derselben schwer zu
bestimmen sei und eine ohne Hilfe der andern gar nicht bestehen
könne. Er wollte cs in Allem zu etwas Tüchtigem bringen und
meinte es zudem ehrlich genug mit den Menschen, um ihnen so
viel als möglich zu • bieten; denn in seinem kindlichen Herzen
hielt er alle Menschen von dem wahren Drange nach Kunst und
Wissen, der ihn erfüllte, beseelt.
Daß nenn unter zehn von seinen Schülern nach den Künsten
nur darum griffen, weil sie modern waren und man in Gesell-
schaft damit flimmern und prunken konnte — das fiel ihm
nicht ein. Einer solchen elenden, absichtlichen Entweihung der
Kunst hielt er die Menschen gar nicht fähig.
Wohl hatte er Pinsel und Palette zur Ruhe gelegt; aber
im Herzen malte er fort, idcalisirtc und zeichnete die kleinlichen
Charaktere der Menschen in großen Umrissen, brachte die großen
Mängel und Fehler in verkleinerte Perspektive, und >vo der
schmutzige, aschfarbige Ton der Trägheit stand, hatte seine Phantasie
die glänzendsten Prachttiuten der Empfindung zur Hand, und
so brach er eine Tinte durch die andre, bis ein schönes Gemälde
fertig war, dem nichts fehlte als — Naturwahrheit.
Eine Zeit hindurch ging das ganz gut. Er that, was
alle Maler thun: er zeigte den Menschen ihr eigenes Bild
schöner, als es in der Natur ist; das that er gewiß nicht in
der Absicht, zu betrügen; nein, aber er war es gewohnt, jede
unschöne Tinte durch eine andere zu brechen und that cs unbe-
wußt, bis er endlich selbst nicht mehr im Stande war, den ur-
sprünglichen Ton zu erkennen.
Schon sein Acußeres erinnerte sehr an eine Malcrpalcttc.
Da waren Miene, Kleidung und Haltung im Widerspruche mit
einander wie kalte und warme Tinten. Einmal trug er einen
langen, schweren Rock und ein kleines, rundes Hütchen, ein
andermal ein kurzes Röckchcn, einen großen, breitkrümpigcn Hut,
enge Beinkleider und plumpe Schuhe; oder, wenn er in lichten
Farben gekleidet war, schlich er mit einer Armensündcrmiene
langsam einher, und ein andermal glichen seine Kleider einem
Traucranzugc, dabei lächelte er seelcnvergnügt und gestikulirte
mit den Händen triumphirend in der Luft herum. Diese Ver-
nachlässigung seines Aeußeren war aber weder absichtliches
Streben nach dem Besonderen, noch gemeine Lüderlichkeit, sondern
es war ihm hierin ergangen wie so vielen Andern, die ans
purer Sorge für den inneren Menschen den äußeren total ver-
gessen. Uebcrdicß war er als Lehrer beliebt, denn er war von
der aufopferndsten Hingebung für den Gegenstand erfüllt und
hatte die Gabe, die Sache dem Schüler begreiflich zu machen,
wenn derselbe überhaupt ein Begriffsvermögen hatte, was doch
in den meisten Fällen da war; so bestand das innere Gute
neben dem verwahrlosten Aeußeren wie ein gutes Gemälde in
einer Trödlerbude.
Das Lebensbild des kleinen Professors schien eine hübsche
Idylle zu werden, ruhig und gleichförmig in der Zeichnung der
Umrisse und einheitlich in den sanften Trieben eines ruhigen
Abends. — Da nahm das Schicksal den Pinsel zur Hand und
malte über das ruhige Bild einen purpurnen Himmel in den
prächtigsten Feuertinteu, die zu dem bescheidenen Bildchen gar
nicht paßten und den Mann innerlich und äußerlich umwandelten.
Der kleine Professor hatte eine Schülerin, die ihn fast
jedesmal mit den Worten empfing: „Ach! Herr Professor!
heute müssen Sic schon entschuldigen! ich habe wirklich nichts
thun können! Der kleine Puzzi ist so krank, daß ich um sein
Leben recht besorgt bin! Aber das nächste Mal werde ich recht
fleißig sein!"
Das nächste Mal war's aber wieder so; und das dritte
Mal so wie das zweite Mal und die gute Dame kam nie zum
Studieren, weil sie ihre Zeit dem Puzzi widmen mußte. Nun
wird jeder Leser denken, die Dame war eine besorgte Mutter
und der kleine Puzzi ein kleines Kind! — Nicht doch! Die
Dame war ein junges Fräulein und der kleine Puzzi ein —
Pintsch, den sie sorgfältig in ihre Kleider wickelte, der von
ihrem Teller fraß und in ihrem Bette schlief.
Zu diesem Fräulein kam eines Tages eine Freundin, eine
ganz besondere Erscheinung. Eine von der Natur in edlen
Gebrochene Tinten.
Wie gerne hätte er sich der schönen Kunst der Malerei
ausschließlich gewidmet; aber Verhältnisse, die zu bewältigen
nicht in seiner Macht lagen, zwangen ihn, den Pinsel bei Seite
zu legen und sich dem Lchrfache zu widmen. Ein sehr sau'res
Brod! — Das sei Jedem gesagt, der es nie gegessen hat! —
Mein Freund erhaschte eine kleine Professur, die eben so viel
abwarf, um sein anspruchloses Leben anständig zu fristen, und
er war glücklich dabei; nannte man ihn doch Herr Professor und
bezeugte ihm eine gewisse Achtung, deren er sich sehr freute, da
er sie in der Unschuld seines Herzens für wahr hielt.
Pinsel und Palette wurden also sorgfältig in ein Kistchen
verschlossen und auf den Dachboden getragen, nicht ohne einem
wehmüthigcn Blicke des Abschieds und der inneren Uebcrzeugung:
seine Lieben nicht für immer bei Seite gelegt zu haben. Nun
ging cs an's rüstige Schaffen. Ach, was hat so ein kleiner
Professor Alles zu thun! Was für ein Wust von Büchern
verschiedener Sprachen und Wissenschaften umgab den armen
Mann! Dazu kamen musikalische Werke verschiedener Classiker,
und Zeichnungen von Landschaften, Köpfen und Thicrstückcn;
denn er hatte die feste Uebcrzeugung, daß cs keine für sich allein
dastehende Kunst gebe, sondern daß sich alle Künste und Wissen-
schaften so nahe berühren, daß die Grenze derselben schwer zu
bestimmen sei und eine ohne Hilfe der andern gar nicht bestehen
könne. Er wollte cs in Allem zu etwas Tüchtigem bringen und
meinte es zudem ehrlich genug mit den Menschen, um ihnen so
viel als möglich zu • bieten; denn in seinem kindlichen Herzen
hielt er alle Menschen von dem wahren Drange nach Kunst und
Wissen, der ihn erfüllte, beseelt.
Daß nenn unter zehn von seinen Schülern nach den Künsten
nur darum griffen, weil sie modern waren und man in Gesell-
schaft damit flimmern und prunken konnte — das fiel ihm
nicht ein. Einer solchen elenden, absichtlichen Entweihung der
Kunst hielt er die Menschen gar nicht fähig.
Wohl hatte er Pinsel und Palette zur Ruhe gelegt; aber
im Herzen malte er fort, idcalisirtc und zeichnete die kleinlichen
Charaktere der Menschen in großen Umrissen, brachte die großen
Mängel und Fehler in verkleinerte Perspektive, und >vo der
schmutzige, aschfarbige Ton der Trägheit stand, hatte seine Phantasie
die glänzendsten Prachttiuten der Empfindung zur Hand, und
so brach er eine Tinte durch die andre, bis ein schönes Gemälde
fertig war, dem nichts fehlte als — Naturwahrheit.
Eine Zeit hindurch ging das ganz gut. Er that, was
alle Maler thun: er zeigte den Menschen ihr eigenes Bild
schöner, als es in der Natur ist; das that er gewiß nicht in
der Absicht, zu betrügen; nein, aber er war es gewohnt, jede
unschöne Tinte durch eine andere zu brechen und that cs unbe-
wußt, bis er endlich selbst nicht mehr im Stande war, den ur-
sprünglichen Ton zu erkennen.
Schon sein Acußeres erinnerte sehr an eine Malcrpalcttc.
Da waren Miene, Kleidung und Haltung im Widerspruche mit
einander wie kalte und warme Tinten. Einmal trug er einen
langen, schweren Rock und ein kleines, rundes Hütchen, ein
andermal ein kurzes Röckchcn, einen großen, breitkrümpigcn Hut,
enge Beinkleider und plumpe Schuhe; oder, wenn er in lichten
Farben gekleidet war, schlich er mit einer Armensündcrmiene
langsam einher, und ein andermal glichen seine Kleider einem
Traucranzugc, dabei lächelte er seelcnvergnügt und gestikulirte
mit den Händen triumphirend in der Luft herum. Diese Ver-
nachlässigung seines Aeußeren war aber weder absichtliches
Streben nach dem Besonderen, noch gemeine Lüderlichkeit, sondern
es war ihm hierin ergangen wie so vielen Andern, die ans
purer Sorge für den inneren Menschen den äußeren total ver-
gessen. Uebcrdicß war er als Lehrer beliebt, denn er war von
der aufopferndsten Hingebung für den Gegenstand erfüllt und
hatte die Gabe, die Sache dem Schüler begreiflich zu machen,
wenn derselbe überhaupt ein Begriffsvermögen hatte, was doch
in den meisten Fällen da war; so bestand das innere Gute
neben dem verwahrlosten Aeußeren wie ein gutes Gemälde in
einer Trödlerbude.
Das Lebensbild des kleinen Professors schien eine hübsche
Idylle zu werden, ruhig und gleichförmig in der Zeichnung der
Umrisse und einheitlich in den sanften Trieben eines ruhigen
Abends. — Da nahm das Schicksal den Pinsel zur Hand und
malte über das ruhige Bild einen purpurnen Himmel in den
prächtigsten Feuertinteu, die zu dem bescheidenen Bildchen gar
nicht paßten und den Mann innerlich und äußerlich umwandelten.
Der kleine Professor hatte eine Schülerin, die ihn fast
jedesmal mit den Worten empfing: „Ach! Herr Professor!
heute müssen Sic schon entschuldigen! ich habe wirklich nichts
thun können! Der kleine Puzzi ist so krank, daß ich um sein
Leben recht besorgt bin! Aber das nächste Mal werde ich recht
fleißig sein!"
Das nächste Mal war's aber wieder so; und das dritte
Mal so wie das zweite Mal und die gute Dame kam nie zum
Studieren, weil sie ihre Zeit dem Puzzi widmen mußte. Nun
wird jeder Leser denken, die Dame war eine besorgte Mutter
und der kleine Puzzi ein kleines Kind! — Nicht doch! Die
Dame war ein junges Fräulein und der kleine Puzzi ein —
Pintsch, den sie sorgfältig in ihre Kleider wickelte, der von
ihrem Teller fraß und in ihrem Bette schlief.
Zu diesem Fräulein kam eines Tages eine Freundin, eine
ganz besondere Erscheinung. Eine von der Natur in edlen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gebrochene Tinten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 64.1876, Nr. 1611, S. 178
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg