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Denkwürdigkeiten einer Dichterin.
Sinnen. — Wir gingen einen langen Weg zusammen,
auf welchem der junge Mensch allerlei Unsinn und
Allotria trieb, so daß mehr als einmal das ver-
wunderte Aufblicken der Straßenpafsauten mir die
Röthe der Verlegenheit in die Wangen trieb. Aber
es mußte ja sein. Und das Erreichen eines großen
Zieles — läßt edle Menschen übersehen Vieles.
Endlich kamen wir in enge und ärmliche Straßen,
wo meiner an zweifellose Atmosphäre gewöhnten Brust
das Athmen unliebsam ward. Wir hielten vor einem
hohen, baufälligen Hause, und ich keuchte hinter dem
voran pfeifenden und singenden Burschen drei elende,
wie für einen in den untern Volksschichten spielenden
Roman geschaffene Treppen hinauf.
Wir traten durch eine von Farbe entblößte Thür,
an der von draußen in höchst unsauberen Lettern ge-
schrieben stand: H. Klunke, Schuhmachermeister, und
kamen dann direkt in ein kleines niedriges Gemach,
in dem ein penetranter Ledergeruch meine Nase un-
willkürlich zum Rümpfen brachte. An einem niedrigen
Tische saßen drei recht vulgär d'reinfchaueude Männer,
mit Stiefelmachen beschäftigt, und bei unserm Eintritt
kam aus einer Ecke eine recht corpulente Frau her-
vor, deren ganzer Habitus einem ästhetisch gebildeten
Auge keine Befriedigung zu bieten vermochte.
„Diese- Dame will Ol janz besondcrn Stiebel
zurecht jemacht haben," — mit diesen in höchst un-
zarter Weise fast herausgeschrieenen Worten stellte mein
jugendlicher Begleiter mich den Leuten vor.
„Was wünschen Sie?" fragte die unästhetische
Frau. —
„Sind Sie die Dame des Hauses?" fragte ich
zurück.
„Ach Ivat — Dame des Hauses! — hat sich
wat! Ick bin de Mcestcrin, und damit jut — wat
wünschen Sie?"
„Also ich möchte Ihre Tochter Lene sprechen." —
„Ach so, so, — sind Sie vielleicht die Madame
aus der Laugenfelderstraße?" fragte nun die Frau,
und ich, froh, einen mir dargebotenen Anhaltspunkt
ergreifen zu können, sagte in momentaner, fast un-
bewußter Inspiration: „Freilich, ja die bin ich."
Da stemmte aber die Frau ihre fleischigen Hände
in die Seiten, und ihre Zunge überschüttete mich
in athemloser Hast mit einer Sündflut von höchst un-
angenehmen Redensarten, von denen ich aber, trotz
meiner Dir ja bekannten Talentirung für Wiedergabe
der Ausdrucksweise aller Menschenklassen, nur einen
kleinen Theil in meinem Gedächtnisse fixiren konnte.
Und wieder sah ich, daß in: Allgemeinen — Schlecht
haftet das Gemeine an dem Reinen.
Nur Einiges also kann ich von der in unedler
Leidenschaft hervorgebrachten Suada der unästhetischen
Frau wiedergeben.
„Meine Lene wird jleich wiederkommen — ist Einholen jejangen, —
wird sich aber sehr freu'n, ihre liebevolle Madame hier zu finden, —
aber jefeen Sie sich ferne Mühe, — wieder mitjehn is nich, — nee,
wissen Sie, ick bin früher selbst Dienstmädchen jewesen und Hab' ooch 'n
paar Dutzend Madamekens jchabt, die ich vor zehn Pfennig lebenslänglich
chloroformirt hätt' — aber so was wie Sie, — nee hör'n Se mal —
vierundzwnnzig Stunden in ’n Tag arbeeten wie 'n Pferd und die Zeit,
die dann noch übrig is, essen wie 'n Kanarjenvogel, — nee, wissen Sie —
und denn die janze Wäsche in's Haus und kcenen Schrankschlüssel uich —
und an's Marktjeld abknappern, — nee, dafor habe ick als selbst jeweseues
Dienstmädchen und als Mutter von die Lene blos das eene Wort: Pfui
noch mach' zu!" (Schluß folgt.)
Zcitausnützung.
„Ich möcht' nur wissen, Ivarum die Ersatzreservisten gar so johlen
und schreien!" — „Weil sie jetzt acht Wochen lang 's Maul halten
müssen!" '
Etwas vcrspiitet.
Mutter (zu ihrem Sohn, der um b Uhr Morgens vom Wirthshaus
heimkommt): „Was fällt Dir denn ein, mich im Schlafe zu stören!"
Sohn: „Ich wollte Dir nur gute Nacht sagen!"
Denkwürdigkeiten einer Dichterin.
Sinnen. — Wir gingen einen langen Weg zusammen,
auf welchem der junge Mensch allerlei Unsinn und
Allotria trieb, so daß mehr als einmal das ver-
wunderte Aufblicken der Straßenpafsauten mir die
Röthe der Verlegenheit in die Wangen trieb. Aber
es mußte ja sein. Und das Erreichen eines großen
Zieles — läßt edle Menschen übersehen Vieles.
Endlich kamen wir in enge und ärmliche Straßen,
wo meiner an zweifellose Atmosphäre gewöhnten Brust
das Athmen unliebsam ward. Wir hielten vor einem
hohen, baufälligen Hause, und ich keuchte hinter dem
voran pfeifenden und singenden Burschen drei elende,
wie für einen in den untern Volksschichten spielenden
Roman geschaffene Treppen hinauf.
Wir traten durch eine von Farbe entblößte Thür,
an der von draußen in höchst unsauberen Lettern ge-
schrieben stand: H. Klunke, Schuhmachermeister, und
kamen dann direkt in ein kleines niedriges Gemach,
in dem ein penetranter Ledergeruch meine Nase un-
willkürlich zum Rümpfen brachte. An einem niedrigen
Tische saßen drei recht vulgär d'reinfchaueude Männer,
mit Stiefelmachen beschäftigt, und bei unserm Eintritt
kam aus einer Ecke eine recht corpulente Frau her-
vor, deren ganzer Habitus einem ästhetisch gebildeten
Auge keine Befriedigung zu bieten vermochte.
„Diese- Dame will Ol janz besondcrn Stiebel
zurecht jemacht haben," — mit diesen in höchst un-
zarter Weise fast herausgeschrieenen Worten stellte mein
jugendlicher Begleiter mich den Leuten vor.
„Was wünschen Sie?" fragte die unästhetische
Frau. —
„Sind Sie die Dame des Hauses?" fragte ich
zurück.
„Ach Ivat — Dame des Hauses! — hat sich
wat! Ick bin de Mcestcrin, und damit jut — wat
wünschen Sie?"
„Also ich möchte Ihre Tochter Lene sprechen." —
„Ach so, so, — sind Sie vielleicht die Madame
aus der Laugenfelderstraße?" fragte nun die Frau,
und ich, froh, einen mir dargebotenen Anhaltspunkt
ergreifen zu können, sagte in momentaner, fast un-
bewußter Inspiration: „Freilich, ja die bin ich."
Da stemmte aber die Frau ihre fleischigen Hände
in die Seiten, und ihre Zunge überschüttete mich
in athemloser Hast mit einer Sündflut von höchst un-
angenehmen Redensarten, von denen ich aber, trotz
meiner Dir ja bekannten Talentirung für Wiedergabe
der Ausdrucksweise aller Menschenklassen, nur einen
kleinen Theil in meinem Gedächtnisse fixiren konnte.
Und wieder sah ich, daß in: Allgemeinen — Schlecht
haftet das Gemeine an dem Reinen.
Nur Einiges also kann ich von der in unedler
Leidenschaft hervorgebrachten Suada der unästhetischen
Frau wiedergeben.
„Meine Lene wird jleich wiederkommen — ist Einholen jejangen, —
wird sich aber sehr freu'n, ihre liebevolle Madame hier zu finden, —
aber jefeen Sie sich ferne Mühe, — wieder mitjehn is nich, — nee,
wissen Sie, ick bin früher selbst Dienstmädchen jewesen und Hab' ooch 'n
paar Dutzend Madamekens jchabt, die ich vor zehn Pfennig lebenslänglich
chloroformirt hätt' — aber so was wie Sie, — nee hör'n Se mal —
vierundzwnnzig Stunden in ’n Tag arbeeten wie 'n Pferd und die Zeit,
die dann noch übrig is, essen wie 'n Kanarjenvogel, — nee, wissen Sie —
und denn die janze Wäsche in's Haus und kcenen Schrankschlüssel uich —
und an's Marktjeld abknappern, — nee, dafor habe ick als selbst jeweseues
Dienstmädchen und als Mutter von die Lene blos das eene Wort: Pfui
noch mach' zu!" (Schluß folgt.)
Zcitausnützung.
„Ich möcht' nur wissen, Ivarum die Ersatzreservisten gar so johlen
und schreien!" — „Weil sie jetzt acht Wochen lang 's Maul halten
müssen!" '
Etwas vcrspiitet.
Mutter (zu ihrem Sohn, der um b Uhr Morgens vom Wirthshaus
heimkommt): „Was fällt Dir denn ein, mich im Schlafe zu stören!"
Sohn: „Ich wollte Dir nur gute Nacht sagen!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Zeitausnützung" "Etwas verspätet"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1886
Entstehungsdatum (normiert)
1881 - 1891
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 85.1886, Nr. 2149, S. 107
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg