89
Madagaskar lebte einmal unter dem Volke
der Hamas eine schöne Maid, welche Treue
hieß. Jeder hielt es für Gluck und Ehre, einen
freundlichen Blick von ihr zu erhalten; allein
auch meist mühselige Ritterdienste von ihren Ver-
ehrern, und den Meisten ward dies auf die Länge unbequem.
Ehren und Schande halber vor der Welt mußten sie schon
mit Jungfrau Treue in gutem Vernehmen bleiben, und doch
wären sie ihrer gar zu gern los geworden. Dieß gelang
ihnen endlich mit Hilfe des Zauberers Meineid, welcher die
Treue „verwünschte", so daß sie bis auf den heutigen Tag
zu den verwunschenen Jungfrauen gehört, welche der Er-
lösung harren.
Freilich sprach man so leicht nicht davon, daß die Treue
verbannt sei, und ein Jeder ließ sich's angelegen sein, der
Menge glauben zu machen, als hätte er die verwünschte
Jungfrau noch bei sich. —
Einmal bestieg ein neuer König von Madagaskar den
Großvaterstuhl seiner Ahnen. Der rief seinen Minister und
sagte: „Ich muß nothwendig die Treue haben. Das Volk
schwätzt viel von „Versprechen halten", von „Ewigkeit ge-
schworner Eide" und dergleichen ausschweifenden Ideen. Ich
muß daher bei meiner Thronbesteigung die Treue bei mir
haben. Neben dem Throne soll ein Platz für sie frei bleiben
und diesen soll sie, allem Volke sichtbar, zu meiner Rechten
einnehmen!"
Der Minister verbeugte sich und versprach, sein Mög-
lichstes zu thun, sollt' es auch Blut und Leben kosten.
Kaum war er allein, so empfand fr seine völlige Rath-
losigkeit. Ach, die Treue war ja längst „verschwunden", wo
sollt' er sie nun finden und wie zur Rückkehr bewegen? Er
sann und forschte, bis es ihm dunkel vor den Augen ward.
Der Minister war indessen doch nicht ganz auf den
Kopf gefallen. Wenige Tage vor der Feierlichkeit hatte er
einen Einfall, (d. h. einer seiner Untergebenen hatte gegen
versprechen eines Honorars für ihn den Einfall), der ihn
oui einmal lustig machte. Er war höchst erfreut, zog den
Galarock an und eilte zu seinem Herrn.
„Nun, Minister!?"
„Euer Großmächtigkeit, ich habe die Treue gefunden!"
„So stelle mir dieselbe vor!"
„Sie wartet im Vorzimmer, ich habe sie mitgebracht,
aber —"
„Wie, Minister!?"
„Es ist ein besonderer Umstand dabei. Freilich habe ich die Ver-
schwundene erlöst und mitgebracht: allein sie hat sich eine Bedingung Vor-
behalten: sie will blos aufrichtigen Menschen sichtbar sein.
Jedem Lügner aber bleibt sie unsichtbar und solche werden sie, trotz der
besten Brille, nicht zu erblicken vermögen!"
„Ein höchst interessanter Umstand! . . . Nun, Minister, führt die
Treue ein, Wir empfangen sie!"
Der Minister trat in's Nebenzimmer, machte die Bewegung, wie
wenn man einer Dame den Arm bietet, um sie zu führen, und so trat er vor
die Großmächtigkeit und machte die Geberde, als ob er Jemand' vorstellte.
Die Großmächtigkeit stutzte, sehr unangenehm überrascht und dachte:
„Was Teufel, ich selber bin ein solcher, der sie nicht sehen kann? Aber
fassen wir uns!" — Hochdieselben redeten nun, als sähen Sie die Dame
recht wohl, in die hohle Luft hinein, sagten der Jungfrau Treue einige
verbindliche Worte und ließen dann den Minister mit der Dame wieder
abtreten. Der Herr war sehr verstimmt; der Minister aber lachte sich
in's Fäustchen, während er abgehend wieder der leeren Luft den Arm
Madagaskar lebte einmal unter dem Volke
der Hamas eine schöne Maid, welche Treue
hieß. Jeder hielt es für Gluck und Ehre, einen
freundlichen Blick von ihr zu erhalten; allein
auch meist mühselige Ritterdienste von ihren Ver-
ehrern, und den Meisten ward dies auf die Länge unbequem.
Ehren und Schande halber vor der Welt mußten sie schon
mit Jungfrau Treue in gutem Vernehmen bleiben, und doch
wären sie ihrer gar zu gern los geworden. Dieß gelang
ihnen endlich mit Hilfe des Zauberers Meineid, welcher die
Treue „verwünschte", so daß sie bis auf den heutigen Tag
zu den verwunschenen Jungfrauen gehört, welche der Er-
lösung harren.
Freilich sprach man so leicht nicht davon, daß die Treue
verbannt sei, und ein Jeder ließ sich's angelegen sein, der
Menge glauben zu machen, als hätte er die verwünschte
Jungfrau noch bei sich. —
Einmal bestieg ein neuer König von Madagaskar den
Großvaterstuhl seiner Ahnen. Der rief seinen Minister und
sagte: „Ich muß nothwendig die Treue haben. Das Volk
schwätzt viel von „Versprechen halten", von „Ewigkeit ge-
schworner Eide" und dergleichen ausschweifenden Ideen. Ich
muß daher bei meiner Thronbesteigung die Treue bei mir
haben. Neben dem Throne soll ein Platz für sie frei bleiben
und diesen soll sie, allem Volke sichtbar, zu meiner Rechten
einnehmen!"
Der Minister verbeugte sich und versprach, sein Mög-
lichstes zu thun, sollt' es auch Blut und Leben kosten.
Kaum war er allein, so empfand fr seine völlige Rath-
losigkeit. Ach, die Treue war ja längst „verschwunden", wo
sollt' er sie nun finden und wie zur Rückkehr bewegen? Er
sann und forschte, bis es ihm dunkel vor den Augen ward.
Der Minister war indessen doch nicht ganz auf den
Kopf gefallen. Wenige Tage vor der Feierlichkeit hatte er
einen Einfall, (d. h. einer seiner Untergebenen hatte gegen
versprechen eines Honorars für ihn den Einfall), der ihn
oui einmal lustig machte. Er war höchst erfreut, zog den
Galarock an und eilte zu seinem Herrn.
„Nun, Minister!?"
„Euer Großmächtigkeit, ich habe die Treue gefunden!"
„So stelle mir dieselbe vor!"
„Sie wartet im Vorzimmer, ich habe sie mitgebracht,
aber —"
„Wie, Minister!?"
„Es ist ein besonderer Umstand dabei. Freilich habe ich die Ver-
schwundene erlöst und mitgebracht: allein sie hat sich eine Bedingung Vor-
behalten: sie will blos aufrichtigen Menschen sichtbar sein.
Jedem Lügner aber bleibt sie unsichtbar und solche werden sie, trotz der
besten Brille, nicht zu erblicken vermögen!"
„Ein höchst interessanter Umstand! . . . Nun, Minister, führt die
Treue ein, Wir empfangen sie!"
Der Minister trat in's Nebenzimmer, machte die Bewegung, wie
wenn man einer Dame den Arm bietet, um sie zu führen, und so trat er vor
die Großmächtigkeit und machte die Geberde, als ob er Jemand' vorstellte.
Die Großmächtigkeit stutzte, sehr unangenehm überrascht und dachte:
„Was Teufel, ich selber bin ein solcher, der sie nicht sehen kann? Aber
fassen wir uns!" — Hochdieselben redeten nun, als sähen Sie die Dame
recht wohl, in die hohle Luft hinein, sagten der Jungfrau Treue einige
verbindliche Worte und ließen dann den Minister mit der Dame wieder
abtreten. Der Herr war sehr verstimmt; der Minister aber lachte sich
in's Fäustchen, während er abgehend wieder der leeren Luft den Arm
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Treue"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1892 - 1892
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 96.1892, Nr. 2432, S. 89
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg