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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Wichert, Fritz: Die Frankfurter Schule für freie und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0399
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DIE FRANKFURTER SCHULE FÜR FREIE UND
ANGEWANDTE KUNST

Einiges zur Lage.

Der Wandel der Verhältnisse und Anschauungen,
wie er nach dem Kriege deutlich wurde, hat auch die
Begriffe über die Einrichtungen, in denen gestal-
tende Kräfte herangebildet werden, schwer erschüt-
tert. Betroffen waren in erster Linie die Akade-
mien, dann die Kunstgewerbe- und Handwerker-
schulen und endlich die der Lehrlingsfortbildung die-
nenden Berufsschulen. Die Form dieser Anstalten
innerhalb der einzelnen Gattungen ist in Deutsch-
land außerordentlich verschieden. Außerdem ist sie
noch nirgends endgültig bestimmt. Das Wort vom
ewigen Fluß der Dinge gilt in vollstem Umfang so-
wohl vom Aufbau als auch von System und Methode
aller dieser Institute. Sicher ist nur, daß man sich
bei den verantwortlichen Stellen des schwankenden
Zustandes fast durchweg bewußt ist und mit mehr
oder weniger Entschlossenheit um gültige Lösungen
ringt. Oder sollte diese Frage überhaupt nicht zu
lösen sein? Ist die freie Kunst erledigt? Sind die
Akademien erledigt? Ist das Handwerk erledigt?
Hat es noch Sinn, sich in Kunstschulen irgendwel-
cher Art mit der Heranbildung gestaltender Kräfte
zu befassen?

Die völlige Klärung dieser Zweifel ist im gegen-
wärtigen Augenblick nicht möglich. Sie hängt aufs
engste zusammen mit der allgemeinen kulturellen
und wirtschaftlichen Entwicklung, von der man noch
immer nicht weiß, wohin sie führt. Man glaubt, man
setzt Ziele, man erfüllt die „Forderung des Tages",
und wenn sich etwas als sichere Erkenntnis aus der
Betrachtung dieses Schwebezustandes ableiten,
läßt, so ist es eigentlich nur der Satz, daß nichts
schädlicher und verkehrter wäre als Panik.

Zweifellos war unser Gepäck zu schwer. Daß wir
zum Beispiel den Historizismus über Bord geworfen
haben, ist ein Segen. Aber um manches andere
könnte es uns leid sein, wenn wir das Wetter mit
gerafften Segeln überstanden haben und dann fest-
stellen müssen, daß unser Fahrzeug viel stabiler
war als wir ahnten.

So lange sich zum Beispiel nicht erkennen läßt,
wie viel von dem Absterben des Interesses für Male-
rei und Plastik bei uns in Deutschland — in anderen
Ländern ist die Erscheinung durchaus nicht so ver-
breitet — auf vorübergehende wirtschaftliche Ur-
sachen zurückzuführen ist, so lange hat man kein
Recht, ein Erlöschen der Schöpferkraft auf diesen
Gebieten anzunehmen. Auch der Zauber gewisser,
die freie Kunst konkurrenzierender technischer Er-
rungenschaften, darf nicht zu Fehlschlüssen verlei-
ten. Im Gegenteil: Wenn ein Gebiet schöpferischer
Tätigkeit durch Technik bedroht erscheint, so treten
die eigentlichen, nicht ersetzbaren Werte dieser
Tätigkeit um so kräftiger hervor. Man kann mit der

fotografischen Kamera noch so merkwürdige Zaube-
reien zu Wege bringen, die eindringliche Sprache der
Linie, Fläche, Körperlichkeit und Farbe, also das
eigentlich Handschriftliche der Gestaltung ist auch
von der vollkommensten optischen Apparatur nicht
zu erreichen. Noch viel weniger die freie Schöp-
fung: Nach wie vor ist die Erschaffung neuer ideali-
scher Wesen und Welten an Voraussetzungen ge-
knüpft, die nur von der freien Kunst rein und voll-
kommen erfüllt werden können. Die Fotografie wird
niemals ein Ideal der Ritterlichkeit wie den Bamber-
ger Reiter, niemals die unerschöpfliche Beseeltheit
eines späten Bildnisses von Rembrandt erzeugen
können. Je größer ihr Erfolg, desto abhängiger er-
scheint sie von der Kunst. Unendlich viel geschick-
ter und eindringlicher als der beredteste Kunsthisto-
riker, treibt sie im Grunde gar nichts anderes als
Kunsterklärung. Indem sie verdeutlicht, vereinfacht,
heraushebt, deutet sie. Keine Wirkung, die den Men-
schen nicht mit viel mehr Nachhaltigkeit und Tiefe
von irgendeinem Kunstwerke schon vorher vorge-
tragen worden wäre! Die Fotografie — auch wenn
sie sich noch so schöpferisch gibt — lebt von der
freien Kunst. Schon deshalb wird sie sie nicht über-
flüssig machen.

Hätten die Kunstakademien wirklich rechtzeitig
erkannt, worin ihre Aufgabe beruht, und wie wichtig
diese Aufgabe wird, gerade in Zeiten drohender
Panik, sie stünden jetzt ganz anders da. Sie hätten
auch nie nötig gehabt, nach Kunstgewerbeschulen
zu schielen und sich Werkstättenbetriebe anzuglie-
dern. Sie hätten der freien Kunst helfen sollen. Das
hätten sie tun können, indem sie vor allem das Un-
ersetzliche, Einmalige der künstlerischen Schöpfung
gegenüber der technischen Reproduktion, ferner
den Wert des Könnens und der Talentarbeit für die
Kunstentwickelung wieder hervorgehoben und be-
festigt hätten.

In einem anderen Sinn — aber durch denselben
Fehler — haben die Kunstgewerbeschulen und
eigentlich auch die Berufsschulen ihre Daseinsbe-
rechtigung zweifelhaft werden lassen. Auch sie
haben es nicht verstanden, ihre Aufgabe richtig ab-
zugrenzen und im Rahmen dieser Aufgabe zu Kön-
nen und Tüchtigkeit zu erziehen. Lediglich in der
Arbeit einiger Fachschulen wurde Gediegenheit und
gewerbliche Brauchbarkeit sichergestellt. Aber hier
kam nicht selten wieder das Künstlerische zu kurz.

Die freie Kunst, das Handwerk und die Industrie
sind alle drei an der Gestaltung unserer sichtbaren
Umwelt beteiligt, bald getrennt, bald in gegenseiti-
ger Durchdringung, bald in bestimmter Rangordnung.
Keins von den drei Gebieten ist aus der Kulturent-
wickelung fortzudenken, wenn es auch wie etwa bei
der Kunst und beim Handwerk als Stand gefährdet

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