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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 2.1906

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Kreuzer, Emil: Der Altar im Dettinger Chörlein
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https://doi.org/10.11588/diglit.2397#0064

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Kreuzer, Der Altar im Dettinger Chörlein

um ihn, wie das Brausen vieler Wasser, und die
Erde erglänzte vor seiner Herrlichkeit . . . und ich
fiel auf mein Angesicht. Und die Herrlichkeit des
Herrn zog in den Tempel des Weges durch das Tor,
das gegen Osten schaut. Da erhob mich der Geist
und führte mich in den Vorhof, und siehe, erfüllt
war das Haus von der Herrlichkeit des Herrn . . .
und er führte mich des Weges zu dem äußeren Tore
des Heiligtums, welches schaute nach Osten hin, und
es war geschlossen. Und der Herr sprach zu mir:
,Dieses Tor bleibt geschlossen (Porta clausa erit . . .,
vir non transibit per eam); nimmer werde es geöffnet
und niemand gehe durch dasselbe; denn der Herr,
der Gott Israels, ist hindurchgegangen" (Ez. 43 i ff.
44 l, 2). Diese Vision ist ein Vorbild der Mensch-
werdung des göttlichen Wortes, die verschlossene
Pforte das Vorbild der immerwährenden, unversehrten
Jungfrauschaft der Gottesmutter, der „Pforte des
Himmels" (Porta coeli der lauretan. Litanei). — Weiter
rechts zeigt sich auf der Höhe „Davids Turm (Turris
David) . . . gebaut mit Zinnen"- (Hohel. 4 \). Auch
die lauretanische Litanei bedient sich dieses Bildes. —
Zu unterst sehen wir einen Spiegel, jenes Sinnbild
der allerseligsten Jungfrau, unter dem sie ebenfalls
die lauretanische Litanei als „Spiegel der Gerechtig-
keit" (Speculum iustitiae) anruft. Der Spiegel ist das
Sinnbild eines vollkommensten Abbildes; in Maria
ist die höchste Stufe menschlicher Gottebenbildlich-
keit erreicht. Sie ist würdig, die Mutter der ewigen
Weisheit zu sein, die selbst „Abglanz des ewigen
Lichtes und ungetrübter Spiegel (Speculum sine ma-
cula) der Majestät Gottes und Bild seiner Güte" ist
(Weish. 7 ae).

Vor dem Davidsturm schimmert im Mondlicht
das Vließ Gedeons. Gedeon, vom Herrn zum Führer
Israels berufen, sprach zu Gott: „Wenn du Israel
durch meine Hand retten wirst, wie du gesagt hast,
so will ich dieses Wollenvließ auf die Tenne legen:
wird an dem Vließ allein Tau sein und der ganze
Boden trocken, so weiß ich, dass du durch meine
Hand, wie du gesagt hast, Israel befreien wirst. Und
so geschah es. Als er morgens früh aufstand und
das Fell ausdrückte, bekam er eine Schale voll Tau.
Aber noch einmal sprach er zu Gott: „Möge dein
Zorn nicht gegen mich entbrennen, wenn ich noch
einen Versuch mache und ein Zeichen an dem Vließe
verlange. Ich bitte, dass das Vließ allein trocken
bleibe und der ganze Boden von Tau triefe. Und
es tat Gott in derselben Nacht, wie er verlangt hatte,
und es war das Vließ allein trocken und Tau auf
dem ganzen Boden" (Rieht. 6 36 ff.). Gedeon verlangte
diese Zeichen nicht für sich, sondern als Beglaubi-
gung seiner göttlichen Sendung vor dem Volke. Auch
das betaute Vließ ist ein Vorbild der allerseligsten

Jungfrau, der Tau das Sinnbild der göttlichen Gnade,
deren Fülle bei der Menschwerdung des Erlösers
sich auf sie ergoss und nur auf sie allein, während
die ganze Welt ringsherum in Dürre und Tod schmach-
tete. Darum der Engelsgruß: „Du gnadenvolle!"

„Niedersteigen wird er (der Messias) wie Regen
auf das Vließ und wie Regenschauer rieseln auf die
Erde" verhieß der Psalmist (Ps. 71 6). „Tauet ihr
Himmel von oben und die Wolken mögen regnen
den Gerechten" (Jes. 45 s) flehte die Menschheit des
Alten Bundes. Diese Stellen führen uns von Gedeons
Vließ wieder zu der Wolke inmitten unseres Ge-
mäldes, aus welcher die Fülle der Gnaden auf die
Jungfrau im Kämmerlein zu Nazareth herabflutet.
Auch sie gewinnt so ihre tiefe Bedeutung. Die
Wolke ist das Symbol der nahenden Gottheit; es sei
erinnert an die wunderbare Wolkensäule, welche die
Israeliten durch die Wüste führte, an die Wolke, in
der im Allerheiligsten die Gegenwart Gottes über
der Bundeslade thronte, an die Wolke, welche bei
der Gesetzgebung den Sinai verhüllte, an die Wolke
bei der Verklärung Christi auf Tabor. Vornehmlich
ist aber jenes lichte Wölklein, das Elias auf dem
Gebirge Karmel nach einer Dürre von drei Jahren
und sechs Monaten über dem Meere aufsteigen sah
(III Kön. 18), hier zu erwähnen, da es von jeher als
ein Vorbild der Gottesmutter gegolten hat, die der
Menschheit den heiß ersehnten und erflehten Segen
nach der Dürre der vorchristlichen Zeit brachte, un-
scheinbar heraufsteigend, aber zur großen Wolke
„voll der Gnade" heranwachsend.

Zugleich deutet die segenbergende Wolke auf
die „Kraft Gottes", welche nach den Worten des
Engels die Jungfrau „überschattet". -

Nicht auf allen Bildern der Verkündigung er-
scheint der Erzengel mit der Lilie in der Hand. Bis-
weilen steht auch eine Lilienpflanze in einem Gefäße
zur Seite. Wo die Lilien erscheinen, sind sie das
Sinnbild der Reinheit und erinnern an die Bilder des
Hohenliedes: „Lilie des Talgrunds", „Lilie inmitten
der Dornen" (Hohel. 2 i , 2). Dass der Erzengel auf unse-
rem Gemälde aber gerade einen Lilienstengel mit drei
Blüten trägt, scheint nicht ohne tieferen Sinn zu sein.
Es ist eine Analogie zu dem in Ton ausgeführten
lieblichen Verkündigungsbilde von Andrea della
Robbia am Ospedale degli innocenti in Florenz, auf
dem der Engel drei Lilienstengel in der Hand hält.
Es wird wohl nicht zu gewagt sein, wenn wir hier
einer lieblichen Legende vom seligen Aegidius aus
dem Franziskanerorden gedenken. Ihm habe, so er-
zählt die fromme Sage, ein Gottesgelehrter aus dem
Predigerorden seine Zweifel über die unversehrte
Jungfräulichkeit der Gottesmutter vorgetragen, die
ihn seit Jahren quälten. Aegidius stieß seinen Stab
 
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