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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 4.1908

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Stehlin, Karl: Über die alten Baurisse des Freiburger Münsterturms
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https://doi.org/10.11588/diglit.2634#0015

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Stehlin, Über die alten Baurisse des Freiburger Münsterturms

11

risses sind, legt die Frage nahe, ob vielleicht die
Zeichnung bis zu einem gewissen Punkte die Auf-
nahme eines bereits bestehenden Baues und erst im
oberen Teile ein Projekt darstelle. Adler1 erklärt
sie für ein Projekt von unten auf, und zwar beruft
er sich dafür nicht kurzweg auf das Dogma von der
Einheitlichkeit des Turmplanes, sondern er stützt sich
auf zwei bestimmte Beobachtungen, welche allerdings
anscheinend für seine Annahme sprechen: Erstens
gibt der Mollersche Grundriss das Viereck des Tur-
mes, wenn man die fehlende hintere Flucht nach
Maßgabe des Achtecks ergänzt, als vollkommenes
Quadrat, während am ausgeführten Turme die Seiten-
façaden um etwa 80 cm kürzer sind als die Front,
und zweitens ist im Afo/Zerschen Grundriss ein Portal-
gewände eingezeichnet, welches von dem ausgeführten
erheblich verschieden ist.

Wir haben zu untersuchen, ob diese Abweichungen
wirklich derart sind, dass sie die Vermutung einer
Aufnahme für den unteren Teil des Turmes aus-
schließen. Die quadratische Grundrissform der Zeich-
nung erregt in dieser Hinsicht wenig Bedenken. Für
denjenigen, der sich mit Aufnahmen beschäftigt, ist es
eine gewohnte Erscheinung, dass in Fällen, wo man
berechtigt ist, regelmäßige Figuren vorauszusetzen,
sehr oft regelmäßige gezeichnet werden, obschon in
Wirklichkeit eine Unregelmäßigkeit vorhanden ist.
Nehmen wir hinzu, dass die Seitenfaçaden des Tur-
mes zu ebener Erde nicht bequem zu messen sind,
so erscheint es sehr wohl denkbar, dass der Ver-
fasser der Zeichnung ohne weiteres voraussetzte, sie
seien gleich lang wie die Hauptfaçade. Viel schwerer
fällt die Abweichung der Portalgewände ins Gewicht.
Aber auch hier dürfte sich eine Erklärung finden,
welche die Möglichkeit einer Aufnahme zulässt. Das
Portalprofil der Zeichnung besteht aus einer Folge
von Stäben und Hohlkehlen, wobei die Stäbe, in
nicht ganz regelmäßiger Abwechslung, teils als Rund-
stäbe, teils als Birnstäbe gebildet sind. Das ent-
spricht keineswegs der Gliederung des ausgeführten
Portalgewändes, wohl aber im großen und ganzen
derjenigen des Portalbogens; die Übereinstimmung
ist nicht vollkommen, aber doch sehr annähernd;
gesetzt, die bestehenden Portalgewände hätten das
gleiche Profil wie der Bogen, so würde man gewiss
keinen Anstand nehmen, die Zeichnung als eine etwas
unbeholfene Aufnahme zu erklären. Nun scheint es
freilich auf den ersten Blick unverständlich, dass ein
Zeichner in einen Grundriss das Profil des Bogens
anstatt das des Gewändes eintrage. Aber man ver-
gegenwärtige sich folgendes: Die ausgeführten Portal-
gewände bestehen aus einer ziemlich delikaten Kom-

1 Deutsche Bauzeitung 1881 S. 542.

position mit freistehenden Säulen und skulptierten
Kapitalen. Durch das Portal ging aber während des
Turmbaues ohne Zweifel der Transport von zahl-
reichen Bau- und Gerüstmaterialien, welche im Innern
der noch nicht eingewölbten Turmgeschosse auf-
gezogen wurden. Solange der Baubetrieb dauerte,
waren am Portale sicherlich entweder die Säulen-
schäfte noch nicht versetzt und die Kapitale noch
nicht skulptiert oder aber zum mindesten die ganzen
Gewände mit Brettern verschalt. Zieht man dies in
Betracht, so scheint es sehr wohl erklärlich, dass ein
Baumeister, der vielleicht von auswärts kam und die
Einzelheiten der früheren Baurisse nicht kannte, die
unvollendeten oder unsichtbaren Portalgewände nach
dem Profil des Portalbogens ergänzte-. Die von der
Ausführung abweichende Bildung des Portales in der
Zeichnung ist somit ebenfalls kein zwingender Be-
weis gegen die Supposition einer Aufnahme, sofern
sich anderseits ein hinreichender Anhaltspunkt für
dieselbe ergibt.

Ein solcher ist in der Tat vorhanden. Er liegt in
der Gestaltung der hinteren Strebepfeiler des Turmes.
Wir müssen, um diesen Gegenstand zu erörtern,
etwas weiter ausholen, und da wir des öfteren von
den verschiedenen Strebepfeilern sprechen müssen,
werden wir sie der Einfachheit halber, in der auf
Fig. 3 angegebenen Reihenfolge, mit den Buch-
staben A bis H bezeichnen3.

Die vorderen, vom Boden aufgeführten und zu
unterst beträchtlich ausladenden Strebepfeiler A,B,C,D
sind von den Ecken des Turmvierecks etwa 80 cm
abgerückt; vielleicht ist diese Anordnung getroffen
im Hinblick auf eine gemeinsame Bekrönung der
beiden Strebepfeiler jeder Ecke durch ein Neben-
türmchen des Achtecks, vielleicht liegt ihr auch nur
die Erwägung zu Grunde, dass die Turmkante ein
wichtiges Formelement bilde und daher gezeigt zu
werden verdiene, statt in der Durchschneidung der
Strebepfeiler zu verschwinden.

Von den hinteren Strebepfeilern liegen E und H
in den Frontmauern der Seitenschiffe und durch-
dringen die Wandungen der anstoßenden Wendel-

- Für die Annahme einer Einschalung der Gewände spricht
insbesondere auch die Tatsache, dass in der Zeichnung die
Sockellinien der Strebepfeiler gar nicht zu einem bestimmten
Abschluss geführt sind; sie durchschneiden noch die vordersten,
über die Turmflucht vortretenden Glieder des Portalprofils,
welche offenbar den Wimperg vorstellen, und endigen dann
abrupt in der Nähe der Turmflucht.

:l Es ist ungemein schwierig, vom obersten Teil des vier-
eckigen Unterbaues (Uhrgeschoss) einen einigermaßen richtigen
Grundriss zu konstruieren; die Mauern treten über jedem der
horizontalen Gesimse etwas zurück; für das, was aus der Vorder-
façade ersichtlich ist, gibt die Meydenbauersche Messbildauf-
zeichnung (1890) die Anhaltspunkte; bei den Seitenfaçaden ist
man auf Schätzungen angewiesen.
 
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