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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 4.1908

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Stehlin, Karl: Über die alten Baurisse des Freiburger Münsterturms
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https://doi.org/10.11588/diglit.2634#0017

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Steh lin, Über die alten Baurisse des Freiburger Münsterturms

13

Pfeilerstück stehen, dessen Vorsprung demjenigen
Maße nahe kommt, welches dem Turmkörper zu
einem völligen Quadrate fehlt.

Erwägt man diese beiden Eigentümlichkeiten, so
gewinnt es den Anschein, als seien die Strebepfeiler
E,F,G,H auf einen quadratischen Turmgrundriss be-
rechnet und als liege die Unregelmäßigkeit nicht an

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Fig- 3.

den Strebepfeilern, sondern am Turmkörper. In der
Tat, wenn man sich die in Fig. 4 schraffiert gezeich-
nete Fläche hinzudenkt, gewinnt das Bild mit einem-
mal eine auffallende Regelmäßigkeit: der Turmkörper
wird quadratisch, die hinteren Strebepfeiler E,F,G,H
erhalten alle die gleiche Ausladung, und E, H er-
scheinen, wenn auch nicht ganz um das gleiche Maß,
doch in ähnlicher Weise wie die übrigen von der
Turmkante weggerückt.

Fig. 4.

Dies weist uns darauf hin, zu untersuchen, ob
es wirklich möglich wäre, dass die Ausführung der
in Fig. 4 schraffierten Partie ursprünglich geplant war,
aber aus irgend einem Grunde unterblieb. Treten
wir mit dieser Frage ins Innere der Kirche, so zeigt
sich sofort eine auffallende Erscheinung: das erste
Gewölbejoch des Hauptschiffes schließt sich nicht
unmittelbar an den Turm an; seine westlichen Ge-
wölbedienste und der sie verbindende Schildbogen
liegen nicht an der Turmwand, sondern es sind

zwischen sie und den Turm zwei glatte Mauerpfeiler
und ein glatter Gurtbogen eingeschaltet (Fig. 5). Die
gleiche Anordnung wiederholt sich in den Seiten-
schiffen. Der Abstand von der Vorderseite des Turms,
am Geschoss der Uhr gemessen, bis zur Kante des
Gurtbogens im Hauptschiff kommt der Breite des
Turmkörpers bis auf wenige Zentimeter gleich l.

Halten wir dies mit den Beobachtungen am Äußern
des Turmes zusammen, so wird uns die Bedeutung
der Pfeiler und der Gurtbogen sofort klar: es war
beabsichtigt, die in Fig. 4 schraffiert angelegte Partie
des Turmkörpers erst über den Gewölben beginnen
zu lassen. Weshalb diese Maßnahme getroffen wurde,
ist nicht schwer zu erraten; hätte man den Turm
schon von unten an quadratisch aufgeführt, so wäre
der schraffierte Teil im Innern der Kirche unbequem
gewesen; das Hauptschiff wäre kürzer geworden als
die Seitenschiffe, und in den letzteren wären die
beiden Turmecken störend herausgetreten. Es ist
allerdings ein kühnes Auskunftsmittel, ein ganzes
Stück Turmkörper auf die Gewölbe der Schiffe zu
setzen. Die Verwegenheit der Konstruktion war denn
auch ohne Zweifel der Grund, weshalb ihre Aus-
führung unterblieb. Immerhin mag bemerkt werden,
dass die statischen Verhältnisse vielleicht doch nicht
gar so ungünstig gewesen wären, als es auf den ersten
Blick den Anschein hat; das Achteck des Turmes,
welches damals projektiert war, musste nicht not-
wendigerweise bis an den Umfang des Vierecks vor-
treten, wie das jetzige, sondern es ist sehr wohl
möglich, dass es einen geringeren Umfang erhalten
sollte und den auf dem Gewölbe sitzenden Teil des
Vierecks gar nicht direkt belastet hätte. Genug, beim
Aufbau des Turmes wurde dieses Stück weggelassen,
und daraus ergab sich einesteils die unquadratische
Form des Turmvierecks, und ergaben sich andern-
teils die Verschiedenheiten zwischen den Strebe-
pfeilern E, H und F, G.

Die sonderbare Stellung der vier hinteren Strebe-
pfeiler zum Turmkörper ist also weit entfernt, etwas
von Anbeginn an Beabsichtigtes zu sein; sie ist vielmehr
lediglich das Resultat einer planwidrigen Ausführung.
Dennoch finden wir eben diese Eigentümlichkeit im
Mollerschen Grundriss wiedergegeben. Man muss
die nicht eingezeichnete Flucht der hinteren Turm-
seite, entsprechend den übrigen, durch die Spitzen

1 Am St. Michaëlsgeschoss sind die Maße, nach der ge-
fälligen Mitteilung von Herrn Münsterarchitekt Kempf, folgende:
Vorderseite des Turmes bis Kante des Gurtbogens 15,25 m; Süd-
seite bis Nordseite des Turmes 15,46 m. Da die Fluchten des
Uhrgeschosses, nach der Meydenbauerschen Messbildauftragung,
um etwa 14 cm hinter die des St. Michaelsgeschosses zurück-
gesetzt sind, während am Gurtbogen ein solcher Absatz nicht
stattfindet, ergeben sich für den Horizont des Uhrgeschosses
die Maße von 15,11 und 15,18 m.
 
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