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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 4.1908

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Geiges, Fritz: Das St.-Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein
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https://doi.org/10.11588/diglit.2634#0060

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Geiges, Das St. Annen-Fenster im jetzigen Alexander-Chörlein

Farbe zur Geltung kommt. Belebend und bereichernd
spielt durch das Ganze das leuchtende Gelb der
Nimben, der Haare und sonstiger kleinerer Einzel-
heiten, gleich Vergoldung auf einem silbernen Prunk-
stück; aber das silberschimmernde Weiß, in seinem
Glänze gehoben durch die warmen, kräftigen Tiefen
der Zeichnung, bildet die dominierende Grundstim-
mung der Bildwirkung.

„Wo Weiß mit künstlerischem Gefühl angewandt
ist", sagt John Ruskin, „muss es als etwas wunder-

in weißen Gewändern. Doch die Freude an den
farbenfrohen Wirkungen war zu lebendig, als dass
man sich zu ausgedehnterer Verwertung dieser Er-
kenntnis hätte entschließen können, anders als in
Fällen, da die Notwendigkeit einer ausgiebigen Licht-
zufuhr mehr oder weniger dazu drängte, und auch
den Meister des St. Annenfensters dürften bei seiner
Wahl in erster Linie rein praktische Anforderungen
geleitet haben. Die vorwiegende Verwendung von
Weiß erschien geboten, wollte man, bei Ausfüllung

16. Ausschnitt aus dem St. Annenfenster. (Etwas unter 1;.> der Originalgröße.)

bar Schönes wirken, ebensowohl zart gedämpft als
sieghaft hell", und in der ausgesprochenen Grisaille-
behandlung unter wohlerwogener, spärlicher Verwen-
dung von Farbe wurzelt auch der eigenartige, unüber-
treffliche Reiz, die schlichte und doch vornehme,
die leuchtende und doch ruhige, bezaubernde Pracht
des Fensters der St. Annenkapelle. Der wundervollen
Wirkungen, welche die richtige Verwendung von
Weiß, d. h. relativ farblosen Glases ermöglicht, war
man sich ja allezeit bewusst, und so bemerkt auch
Theophilus im XXI. Kapitel seiner Scedula diversarum
artium, dass es nichts Schöneres gäbe, als Figuren

der ganzen Fensterfläche mit Malerei, dem Räume
dasjenige Maß von Beleuchtung sichern, welches den
Bedürfnissen der in Betracht kommenden Zeit ent-
sprach. Die Lust an dem mystischen, stimmungs-
vollen Halbdunkel, in welches man lange durch die
farbenglühenden Verglasungen der Fenster die gott-
geweihten Räume versenkt hatte, war allmählich ge-
schwunden, seit mit der Verbreitung der Kunst des
Buchdrucks und damit Hand in Hand gehend jener
des Lesens der Gebrauch des Gebetbuchs ausge-
dehntere Übung gewann und damit naturgemäß auch
das berechtigte Verlangen nach größerer Lichtfülle
 
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