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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 5.1909

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Schuster, Karl: Über Erwin Steinbachs Beziehungen zum Freiburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.2635#0057

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52

Schuster, Ober Erwin von Steinbachs Beziehungen zum Freiburger Münster

erst der Spätgotik eigentümlich sind: die Birnstab-
profile der Gewölberippen und Bogen des innern
Hauptportals, das Fehlen der Kapitale und die Pro-
filierung an der Bogenöffnung zwischen der St. Mi-
chaelskapelle und dem Langhaus. Von diesen Aus-
nahmen abgesehen klingt die ganze Formengebung
stark an die Frühgotik an. Die Profile sind groß,
kräftig und wirkungsvoll, die ganze Architektur ist
dem Stoff angepasst, ebenso frei von Schwerfällig-
keit wie von Übertreibungen. Ein so mageres und
kleinliches Detail wie an dem Grabmal des Bischofs
Konrad wird man am Freiburger Münsterturm ver-
geblich suchen.

Im Gegensatz zu dieser Ansicht hat Adler1 auch
in den beiden Bauformen eine Übereinstimmung der
beiden Werke sehen wollen, die auf einen gemein-
samen Urheber — Erwin — hinweist. „Die Vorliebe
für kühne Struktur und schwierige Leistungen der
Technik", ferner „die Bevorzugung, ja Verschwen-
dung der Plastik etc." und „die Hinneigung zur
Tierwelt" an Wasserspeiern und Kreuzblumen, die
Adler anführt, sind viel zu allgemeine Züge, als dass
sie nur einem bestimmten Meister zukommen könnten.
Das Verdoppelungssystem an der Straßburger Fassade,
„welches schon in Freiburg an den Rosen, in der Vor-
halle und am Hauptportale, wenn auch noch schüch-
tern und maßvoll beginnt", ist hier überhaupt nicht
vorhanden. „Eine wahre Fülle von identisch oder
sehr ähnlich behandelten Details an Basen, Kapitellen,
Arkaturen" lässt sich allerdings nachweisen, doch ist
diese Übereinstimmung noch viel größer und über-
zeugender bei einem Vergleich der Freiburger Details
mit einem Werk, das jedenfalls älter als die West-
front Erwins ist, mit dem ehemaligen Lettner im
Straßburger Münster. Dieses Bauwerk, das schon
oben gelegentlich der Marienkapelle erwähnt wurde,
trennte den Chor vom Langhaus und bestand nach
alten Beschreibungen und nach Abbildungen von
Isaak Brunn aus dem 17. Jahrhundert aus sieben
Bogen in der Länge und einem in der Breite. Es
wurde 1682 mit der Marienkapelle abgebrochen, doch

A. a. O. S. 543.

blieben die Statuen sowie einzelne Bruchstücke er-
halten. Aus diesen hat Münsterbaumeister Knauth
mit Hilfe der alten Abbildungen eine Rekonstruk-
tion des Werkes gezeichnet, von der wir hier eine
Abbildung (7) geben2. Ergänzungen sind auf dieser
Zeichnung die Sockelschicht a—b, die Wasserspeier
in Höhe von c und die obere Brüstungsschicht
d— e. Nach Knauth weisen die Bildhauerarbeiten
und die Profile „auf die Zeit der ersten Blüte der
Gotik, etwa um das Jahr 1250 und die Zeit der Er-
bauung der drei östlichen Joche des Langhauses
hin". Die Standbilder des Lettners unterscheiden
sich ersichtlich von den übrigen des Straßburger
Münsters, sie zeigen auch keine Ähnlichkeit mit
denen der Freiburger Vorhalle. Dagegen ist die
Architektur des Lettners sehr nahe verwandt mit
der des südlichen Seitenschiffportals am Freiburger
Münster (siehe Abbildung 8). Auch mit den Blend-
arkaden unserer Vorhalle ist eine gewisse Überein-
stimmung vorhanden. Sowohl das Portal als die
Dekoration der Vorhalle sind nicht älter als der
Turm, jedoch älter als die Straßburger Westfront.

Die zeitliche Folge einzelner Stilrichtungen lässt
sich mit einer gewissen Sicherheit bestimmen. Viel
bedenklicher ist es hingegen, Werke gemeinsamen
Charakters einem gemeinsamen Urheber zuzuschrei-
ben. Mag daher auch die Ähnlichkeit des Straß-
burger Lettners mit dem Freiburger Portal auf die
gleiche Schule weisen, so darf doch keineswegs be-
hauptet werden, dass der Erbauer des Lettners iden-
tisch mit dem Freiburger Turmbaumeister sein müsse.

Vorstehende Ausführungen bezwecken keines-
wegs, die Erwinfrage glatt zu lösen, sondern ledig-
lich, das vorhandene Material für die Beurteilung
derselben darzustellen und an diesem zu zeigen,
dass die Tätigkeit des Meisters am Freiburger
Münsterturm zwar nicht völlig unmöglich, aber sehr
unwahrscheinlich ist. Möchten bald neue, unan-
fechtbare Zeugnisse die Frage endgültig zur Lösung
bringen!

- J. Knauth, Der Lettner des Münsters — Ein verschwun-
denes Kunstwerk, in Die Denkmalpflege. 4. Jahrg. Berlin 1902.
Abgedruckt im Straßburger Münsterblatt 1 (1903/04).



Kragstein vom nördlichen Langhausportal.
 
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