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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 5.1909

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Kempf, Friedrich: Ein romanisches holzgeschnitztes Madonnenfigürchen aus dem Freiburger Münsterschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.2635#0064

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Kempf, Ein romanisches holzgeschnitztes Madonnenfigürchen im Freiburger Münsterschatz

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Gebiet: man möchte denken, dass Mönche des einen
oder andern Klosters das Madonnenbild aus dem Mut-
terlande mitgebracht haben. Vielleicht bewirkt auch
diese Veröffentlichung in den Münsterblättern, dass
uns irgend eine weitere Mitteilung zu der Frage aus
der Nachbarschaft zugeht, denn, wie bereits bemerkt,
wurde die Skulptur von einem Geistlichen der Erz-
diözese an das Erzbischöfliche Ordinariat eingesandt.
Was den Zweck des Figürchens anlangt, so sind
wir auch hier aufs Raten angewiesen. Es könnte die
Krümmung eines Pastoralstabes geziert haben, es
könnte als Schmuck an der Wandung eines Reliquien-
kästchens, etwa in einer Nische gestanden oder als
Bekrönung gedient haben; wahrscheinlicher aber ist,
dass es ein selbständiger Andachtsgegenstand war,
etwa als Nachbildung eines berühmten Wallfahrts-
bildes oder als Reliquiar, wofür die oben erwähnte
Vertiefung auf der Rückseite spräche1.

1 Derartige Reliquiarien bezeugt z. B. A. Michel in der
II. Abteilung des 1. Bandes seiner Histoire de l'Art (1905), S. 605f.
Wir setzen die ganze Stelle her, weil sie auch sonst für unsern
Gegenstand interessant ist: „La Vierge de l'Adoration [Skulptur
an Notre-Dame du Port in Clermont] peut être rattachée à un
type de Madones qui ... a laissé en Auvergne, dans la sculp-
ture en bois, d'assez nombreux exemplaires. Elles sont taillées
dans le chêne ou le noyer (quelques-unes revêtues, sauf au
visage et aux mains, de plaques de cuivre ou d'argent, ou bien
recouvertes d'un enduit qui servait de support à la peinture).
Elles sont assises sur des sièges dont les dossiers et les recou-
doirs sont ajourés de petites arcatures; elles portent l'Enfant
sur les genoux, quelquefois entre les genoux, quelquefois sur
un seul genou, et le soutiennent des deux mains, le plus sou-
vent démesurément agrandies. Les draperies de leurs robes,
régulières, à plis fins et serrés, sont traitées avec un grand
soin, mais monotones: la plupart ont dans la poitrine (ou dans
le dos) une cavité qui servait à loger des reliques."

Es erübrigt noch, uns von den künstlerischen
Werten des Werkes Rechenschaft zu geben. Trotz
der Kleinheit der Verhältnisse ist auf die künstle-
rische Durchbildung ungemein viel Fleiß verwendet.
Die streng gesetzmäßige symmetrische Haltung ver-
leiht ihm bei aller Kleinheit der Form einen Zug
erhabenen Ernstes und hoher Vornehmheit. Welche
heilige Scheu und Ehrfurcht nehmen wir nicht wahr
in der Art, wie die Madonna das Kind an der Hand
fasst: nur leise berühren die Finger die jugendliche
Gestalt. Der natürlichen intimen Beziehung zwischen
Mutter und Kind ist hier noch wenig Recht ein-
geräumt. Die weit geöffneten, gerade ausschauenden
Augen der Madonna entsprechen ihrer die Welt um-
fassenden Würde. Und doch fühlen wir, dass die
heiligen Personen in die Menschheit heineingestellt
sind: durch die verhältnismäßige Naturwahrheit der
Formen, die der Künstler mit allem Fleiß zu er-
reichen suchte, und durch die lebendige Bemalung.
Es sei bei diesem Punkt nochmals hervorgehoben,
wie durch die Wahl der Farben für die Kleidung der
Mutter und des Erlöserkindes ein Kontrast bewirkt
und doch wieder die Zusammengehörigkeit betont
wird. Wir haben in der Tat hier ein köstliches Werk
der Holzschneidekunst, und zugleich ein durch sein
hohes Alter höchst interessantes Werk. Neben dem
romanischen silbervergoldeten Kruzifix in derBöcklin-
Kapelle und den zwei romanischen Tragaltärchen2
zählt es zu den ältesten Schätzen unseres Münsters.

- Von P. J. Braun veröffentlicht in der Zeitschrift für

christliche Kunst 1903 Nr. 2 S. 42.

Türklopfer an der Sakristeitüre.
 
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