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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 9.1913

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Kreuzer, Emil: Zur Deutung der Standbilder am Freiburger Münsterturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.2637#0015

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Kreuzer, Zur Deutung einiger Standbilder am Freihurger Münsterturm

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lenden Gestirn am Horizont heraufgestiegen, belebte
und reinigte 30 Jahre hindurch die ganze Kirche
mit seinem Hauch, erleuchtete sie mit seiner Lehre,
entzückte sie durch seine Beredsamkeit. Er war
es, der zum Papste als Lehrer, zu den Königen als
Prophet, zu den Völkern als Meister sprach, der
dem von neuem bedrohten Papsttum zu Hilfe kam,
der das Schisma zerstreute, die auf-
rührerische Vernunft in Abälard in
ihre Schranken wies und sich den
Ruhmestitel eines Verteidigers der
kirchlichen Freiheit verdiente.

St. Bernard war ein Mann, der
„ganz nur aus Geist zu bestehen
schien". Er betätigte den Grund-
satz mit eiserner Strenge an sich,
man könne niemals zu sehr das Tie-
rische im Menschen — Animal hu-
manuni — zugunsten der geistigen
Freiheit niederdrücken '. Die Armut
war ihm zu wenig; er verlangte da-
nach, die Entbehrung zu fühlen, und
hatte eine ganz besondere Freude
daran, seinem Leibe Opfer aufzu-
erlegen, vor denen die Natur zu-
rückschauderte. Strengstes Fasten,
Genuss nur der zum Leben unent-
behrlichen Speise (nicht einmal der
ihm zukommenden Portion von einem
Pfund Brot und zwei Schüsseln Ge-
müse täglich), Abbruch am Schlaf,
um der Betrachtung möglichst viele
Zeit zu widmen, so dass er seit sei-
nem Noviziat die Gewohnheit an-
nahm, wie seine Biographen sagen,
über die menschliche Möglichkeit
hinaus zu wachen, waren seine Mit-
tel, seinen Geist von den Anforde-
rungen des Leibes zu befreien.

Freilich zog er sich dadurch ein
schweres Magenleiden zu, und es
ist geradezu erstaunlich und sicher
ein Werk göttlicher Gnade, dass er
bei so geschwächtem Körper die un-
geheuren Strapazen seiner steten,
weltumfassenden Tätigkeit, namentlich seine selbst für
heutige Verkehrsverhältnisse außerordentlich vielen
und ausgedehnten Reisen aushalten konnte.

Es hatte sich so jene körperliche Konstitution
ergeben, welche ein Zeitgenosse also schildert: vom
Fasten erschöpft, bleich, zart, mit tiefem Blick hatte

1 Vacandard, Leben des hl. Bernard von Clairvaux, deutsch
von M. Sierp (Mainz 1898) 1, 100 ff.

Freiburger Münsterblätter IX, 1/2.

Abbild. 5. Hl. Oswald

Bernard etwas außerordentlich Feines; man möchte
ihn einen Hauch nennen2. Es war sicher eine zarte,
schwache Gestalt, welche König Konrad im Dome
zu Speier dadurch aus dem Volksgedränge befreite,
dass er sie auf dem Arme hinaustrug3.

Mit der durch diese Berichte uns vermittelten
Vorstellung harmoniert aber durchaus das Bild droben
am Münsterturm.

Zu der Zeit, in welcher dieses
Bild entstand, war es in Freiburg
sicher nicht schwer, auf Grund si-
cherer Kenntnis von dem wirklichen
Aussehen des hl. Bernard zu arbeiten.
Es fehlte auch nicht an Bezieh-
ungen, welche es nahelegten, dem
hl. Bernard am Münsterturm ein
Denkmal zu setzen.

Am 3. und 4. Dezember 1146, an
einem Dienstag und Mittwoch, hatte
der hl. Bernard, von Kenzingen
kommend, in Freiburgs Mauern ge-
weilt, um das Kreuz zu predigen.
Sein mächtiges Wort hatte großen
Erfolg: zuerst nahmen das Kreuz die
Armen und das geringe Volk, dann
aber auch die Reichsten und sogar
die verhärtetsten Sünder (ditissimi et
pessimi), also Leute, bei denen teils
der Hang zum Wohlleben, teils die
Neigung zur Sünde große Hinder-
nisse einem solchen Entschlüsse in
den Weg legten. So war der Hei-
lige gewiss der erste, der eine Art
Volksmission in Freiburg hielt und
ein Massenbekehrungswerk außer-
ordentlicher Art vollbrachte*.

Sein Andenken ist hier nicht
mehr erloschen. Sogar über das
Haus, in dem er abgestiegen, hat
sich bis auf unsere Zeit eine Tra-
dition erhalten"1. Wie mächtig muss
es bei den Zeugen seines Wirkens
und deren nächsten Nachkommen
gewesen sein!

1153 war der hl. Bernard aus
dieser Zeitlichkeit geschieden, im Alter von un-
gefähr 63 Jahren. Schon an seinem Sterbetage und
Sterbelager begann seine Verehrung als eines Hei-

- Weiß, Weltgeschichte 5, 2.

; Weiß a. a. O.

1 Freiburger Diözesanarchiv 3, 273 ff. (Ludw. Kästle, Des
hl. Bernhard von Clairvaux Reise und Aufenthalt in der Diözese
Konstanz.) Vaeandard a. a. O. II, 314.

' Marmon a. a. O. S. 157; Kästle a. a. O. S. 312.

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