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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 11.1915

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Vöge, Wilhelm: Zum Nordportal des Freiburger Münsterchors
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https://doi.org/10.11588/diglit.2547#0010

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Vöge, Zum Nordportal des Freiburger Münsterchors

Abbild. 8. Gott Vater Luzifer stürzend.
(Obere Hälfte des Bogenfeldes.)

geöffneten, langgezogenen, schräg unterpolsterten
Augen1, die magere Fülle des Mundes, dessen Lip-
pen so eigentümlich fest aufeinanderliegen und in
den Winkeln etwas nach abwärts gehen; dann die
Lockenakzente auf der Stirn und in Höhe der Ohren
und wie das Haar oberhalb der Schläfen zurückflieht
und wie es am Wangensaum und von den Lippen
herabrinnt und vor der großen Haarmuschel am Ohr
die kleine Welle bildet (Abb. 11 und 13).

Das ausgesprochen rhythmische Empfinden, das
in der Behandlung des Haares ist, dies Arbeiten mit
wenigen, doch wirksamen Akzenten, ist auch in den
Draperien dieses Spätlings, jene Tendenz zur zu-
sammenfassenden Linie, die die großen Locken-
muscheln am Ohr gebildet hat. Man folge bei dem
Gott mit den Sphären (Abb. 7) dem langen, in
flacher Welle gehenden, durch leise Brechungen be-
helligten, belebten Faltenzuge, der von der Achsel
her über das Knie zum vorgesetzten Fuße läuft und
an ihm vergleitet; oder dem schlanken Faltenbogen
am rechten Ärmel, in dem die große Lockenmuschel
widerzuklingen scheint.

1 Das Zusammenziehen von Auge und Braue vermittelst
einer vom äußeren Augenwinkel zur Braue emporgeführten
Bogenlinie — für viele Köpfe der „Blüte" charakteristisch —
ist an den leicht verwitterten Köpfen des Chors kaum noch
wahrnehmbar.

Die Gestalt weiter oben mit dem Firmament
(Abb. 5) sagt es uns, wie ähnlich die Sachen des
Meisters einander auch in der Gewandung sind, in
Gewandung und Bewegung, denn Falte und Be-
wegung, Linie und Pose fließen in eins in der Gotik'2.

Auf dem Bogenfelde und in den unteren Dar-
stellungen der Archivolte ist diese feine Rhythmik
verflogen und auch nicht mehr gewollt; diese jüngeren
Meister sind nüchterner, sie reden in Prosa; das
feine Spiel und Widerspiel von Handgelenk und
Finger (Abb. 7) ist nun wie erfroren, hart und steif
(Abb. 14). Zwar in dieser Nüchternheit kündigt
Neues sich an, ein neuer Ernst. Selbst an diesem
kleinen Portal ist es zu spüren, obschon diesejüngeren
nicht von Gottes Gnaden waren, vielmehr Hand-
werker nur3. Jenes rhythmische Empfinden aber
war der „Blüte" in hohem Maße eigen, ganz be-
sonders der führenden Werkstatt der Freiburger
Blüte. Der Christus aus dem Freiburger Zyklus der
klugen und törichten Jungfrauen in der westlichen

-' Vgl. meine Bemerkungen „Zur gotischen Gewandung und
Bewegung": Spemanns Museum Bd. 7.

1 Grotesk hat Schaefer die künstlerische Bedeutung dieser
jüngeren Sachen emporgetrieben.

Abbild. 9. Eva am Spinnrocken.
(Untere Hälfte des Bogenfeldes.)
 
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