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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 14.1918

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Blume, Rudolf: Goethe und das Freiburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.2400#0037
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Blume, Goethe und das Freiburger Münster

29

Goethe und das Freiburger Münster.

Von

Dr. iur. Rudolf Blume.

weimal hatte der Breisgau die Ehre,
den Besuch Goethes zu empfangen,
und zwar auf seiner ersten und zweiten
Schweizerreise im Sommer 1775 und
im Herbst 1779. Beide Male von
Emmendingen, dem Wohnsitz seiner Schwester Cor-
nelia , die dort mit dem in baden-durlachschen
Diensten stehenden Landschreiber (Oberamtmann)
Schlosser verheiratet war, kommend, berührte der
Dichter Freiburg.

Dabei erweckt die Stellung Goethes zum
Freiburger Münster die Aufmerksamkeit. Die
Frage darnach ist nach allem jedoch nur in be-
schränktem Umfang zu beantworten; denn nirgends
in seinen Werken, Briefen, Tagebüchern werden
Freiburg und sein Münster eingehender gewürdigt.
Das ist auffallend, wo Goethe noch wenige Jahre
vorher, 1770—71 als Student der Rechtswissenschaft
in höchstem Maße „zur Neigung gegen das Straß-
burger Münster hingerissen" wurde, und er in ihm
„eine neue Offenbarung zu erblicken glaubte". Wie-
viel Zeit hatte er neben dem Schauen und Staunen
zum Untersuchen, Messen und Zeichnen verwendet,
sowie dazu, „teils das Vorhandene zu studieren, teils
das Fehlende, Unvollendete der Türme in Gedanken
und auf dem Blatt wiederherzustellen". Im Winter
1771—72 hatte der Druckbogen des Aufsatzes „Von
deutscher Baukunst D[ivis] M[anibus] Ervini a
Steinbach" die Ansichten des Dichters über die
gotische Baukunst in Herders „Von deutscher Art
und Kunst" gebracht. Der junge Künstler gab darin
im Grunde genommen ganz einfache Gedanken und
Betrachtungen „in einer Staubwolke von Worten und
Phrasen" wieder. Unter Tadlern der gotischen Bau-
kunst aufgewachsen, warf er mit Grimm die ästhe-
tischen Lehren von den angeblich verworrenen
Willkürlichkeiten des gotischen Stils weg; der
Dichter erklärte sich gegen die Alleingültigkeit und
Nachahmung der Antike und lehnte die Prüfung
der nordischen Baukunst an dem Maßstabe der Bau-
kunst der Griechen und Römer ab. Alles erschien
ihm in der Gotik wie ein „umgeformtes Naturgebilde".
Im übrigen vertrat er schon damals hauptsächlich
folgende Anschauungen: Da Schule und Regeln alle
Kraft der Erkenntnis und Tätigkeit fesseln, ist für
Goethe die „charakteristische Kunst" die einzig
wahre. Weil das Ornament, weit entfernt von Zu-
fälligkeiten und Willkürlichkeiten, das statische Wesen

der einzelnen Teile der Konstruktion zum Ausdruck
zu bringen hat, sind für ihn „alle und jede Zie-
raten jedem Teil, den sie schmücken, völlig ange-
messen, sie sind ihm unterordnet, sie scheinen aus
ihm entsprungen". Unter Hinweis auf das Hervor-
treten der eigenen Bestimmung sowohl an den Öff-
nungen der Mauer, wie an den soliden Stellen, den
Pfeilern, wird betont, dass das „Notwendige", das
„Zweckende" es ist, das die Form schafft. Im
Widerspruch mit Winkelmann und Lessing wird
das nationale Element in der Kunst hervor-
gehoben; da der Name Erwins von Steinbach vater-
ländischen Klanges und Ursprungs ist, setzt Goethe
an die Stelle von „gotisch" die Bezeichnung „deut-
sche Baukunst" und verkündet laut: „Das ist unsere
Baukunst".

Von solchen Gefühlen geleitet, hatte Goethe
auf der ersten Reise in die Schweiz, sowohl bei
der Hinfahrt, kurz vor seinem Aufenthalt in Em-
mendingen und in Freiburg, Straßburg wieder be-
sucht, als auch bei der Rückkehr zum dritten
Male einen Abstecher dahin gemacht, wobei ihn
Meister Erwins „Schöpfungskraft" und sein Werk
zu solchen Lobpreisungen hinriss, dass er sie in
seiner „Dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe
im Juli 1775" in der Art von katholischen Stations-
andachten niederschrieb.

Ebenso besichtigte der Dichter auf seiner zwei-
ten Reise in die Schweiz, nach einem Besuch bei
Friederike in Sesenheim und bei Lili, die inzwischen
mit dem Bankier und späteren badischen Finanz-
minister Bernhard von Türkheim in Straßburg glück-
lich verheiratet war, mit dem Herzog Karl August
von Weimar das Münster dort.

Auch hegte Goethe damals noch nicht die Ab-
neigung gegen die Gotik wie seit seiner italieni-
schen Reise 1786—88 unter dem Eindruck der
Worte und Werke eines Palladio, wo er Gott dankt,
die „kauzenden, aus Kragsteinlein übereinander ge-
schichteten Heiligen der gotischen Zierweisen", so-
wie „die Tabakspfeifensäulen, spitzen Türmlein und
Blumenzacken" auf ewig los zu sein und später in
diesem Sinne dem Architekten am Kaiserhof in
seinem „Faust" II. die ironischen Worte in den
Mund legt:

„Schmalpfeiler lieb ich, strebend, grenzenlos;
Spitzbögiger Zenith erhebt den Geist;
Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist".
 
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