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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 14.1918

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Blume, Rudolf: Goethe und das Freiburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.2400#0040

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Blume, Goethe und das Freiburger Münster

junge Leute, von ihr ergriffen, Kräfte, Zeit, Sorgfalt,
Vermögen diesen Denkmalen einer vergangenen Welt
rücksichtslos widmen, so werde ich mit Vergnügen
erinnert, dass das, was ich sonst wollte und wünschte,
einen Wert hatte. Mit Zufriedenheit sehe ich, wie
man nicht allein das von unsern Vorvordern Ge-
leistete zu schätzen weiß, sondern wie man sogar
aus vorhandenen, unausgeführten Anfängen, wenig-
stens im Bilde, die erste Absicht darzustellen sucht,
um uns dadurch mit dem Gedanken, welcher doch
das Erste und Letzte alles Vornehmens bleibt, be-
kannt zu machen, und eine verworren scheinende
Vergangenheit mit besonnenem Ernst aufzuklären
und zu beleben strebt."

Dabei sind unter der „in der neuesten Zeit"
damals wieder auf die Gotik hingelenkten „Aufmerk-
samkeit" und hervortretenden „Neigung" und „Leiden-
schaft" sowie den davon ergriffenen „tüchtigen jungen
Leuten" die Brüder Boisseree mit ihren Bestrebungen
für die Vollendung des Kölner Doms unter dem
Einfluss der auf Belebung des Mittelalters gerichteten
Romantik zu verstehen. Eine höhere Anerkennung,
als „den Wert . . . immer mehr empfunden" zu haben,
konnte Goethe dem Dom zu Freiburg nicht zollen.

In seinem Schriftchen sodann „Herstellung
des Straßburger Münsters" 1816 zeigt sich Goethe
auch sonst vorzüglich als mit dem Freiburger Münster
bekannt; nachdem er von dem Fabrikvermögen und
seiner Verwaltung sowie von den Kunst- und Hand-
werksmitteln in Straßburg gesprochen, schreibt der
Dichter:

„Zudem blieben die einmal in dieser Bauart
geübten Leute gern an einem Ort, wo sie zu allen
Jahreszeiten auf sichern anständigen Lohn zählen
konnten. Endlich ist der Straßburger Münster auch

nicht das einzige Denkmal in Deutschland, bei wel-
chem sich solche vortreffliche Einrichtung erhalten
hat, sondern es besteht nach dem Beispiel derselben
eine ähnliche, gleichfalls unter städtischer Verwaltung,
beim Münster zu Freiburg im Breisgau, bei St!
Stephan in Wien, vielleicht auch noch anderwärts
ohne dass es uns bekannt geworden."

In der Tat lag in rechtlicher Beziehung der
Münsterbau in Freiburg in Händen der Stadt und
bestanden im Hinblick auf den die Baulast treffenden
Teil des Kirchenvermögens in Freiburg seit 1380
bis 1813 und sogar bis 1850, also noch lange vor
der Gründung des Münsterbauvereins 1890 eine
Oberpflegschaft der Stadt, die ausgeübt wurde von
drei Münsterpflegern: dem Bürgermeister und zwei
Stadträten; dieses Pflegamt hatte einen Münster-
schaffner, Hüttenpfleger oder Fabrikprokurator unter
sich, der geistlich war, und unter dem die Bauhütte
stand. Unser Lieben Frauen Bau war ein Rechts-
subjekt mit einer von der Stadt geschaffenen Ver-
fassung.

War aber Goethe über das Freiburger Münster
juristisch so gut unterrichtet, so ist anzunehmen,
dass er als Künstler es ästhetisch noch viel mehr
schätzte. Nach allem ist kein Zweifel, dass das
Münster in Freiburg Goethe auch alle Bewunde-
rung abnötigte. Wenn der Dichter trotz aller genauen
Kenntnisse und warmen Begeisterung darüber nicht
einen ähnlichen Hymnus wie auf das Straßburger
Münster schrieb, so teilt das Freiburger Münster das
gleiche Schicksal mit dem Kölner Dom; auf alle
Fälle ist es nicht genug zu bedauern, dass das ehr-
würdige und edle Denkmal kirchlicher Baukunst im
Breisgau in Goethe nicht auch einen Herold für
seine Schönheit gefunden hat.
 
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