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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 15.1919

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Schmitt, Otto: Das heilige Grab im Freiburger Münster (Otto Schmitt)
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https://doi.org/10.11588/diglit.2401#0015

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10

Schmitt, Das Heilige Grab im Freiburger Münster

ders in einer gewissen inneren Leere" offenbaren,
durch die unheilvoll wachsende Abhängigkeit der
Bildhauerkunst von der Architektur. Zwar ist uns
nicht recht ersichtlich, inwiefern die Figuren am
Heiligen Grab stärker der Architektur unterworfen
sein sollen als in der Vorhalle und am Portal — in
Wirklichkeit verläuft die Entwicklung auch umge-
kehrt: die Plastik emanzipiert sich im 14. Jahrhun-
dert von der Architektur —, aber die steife Haltung
und innere Leere sind unbestreitbar. Es bleibt nur
nicht dabei, ja vielleicht sind gerade diese beiden
Unterschiede die am wenigsten bezeichnenden, weil
zu einem guten Teil durch geringere Qualität der
Grabstatuen verursacht22. Nein, von der Vorhalle-
plastik bis zum Stil der Heiliggrabfiguren — wir
sprechen zunächst nur von den obern, die allein
Moriz-Eichborn bekannt waren — ist ein weiter Weg
und eine lange Entwicklung; aber ein Zusammen-
hang besteht23. Wenn man einen der rauchfass-
schwingenden Engel (Abb. 10) neben einen Engel des
Vorhallenateliers, etwa den Leuchterträger rechts von
der innern Portalmadonna (Abb. 11), stellt, wird man
in dem kurzen, runden Kopf eine gewisse Ähnlich-
keit der physiognomischen Grundform wohl erkennen,
obgleich der Kopf am Heiligen Grab jeder feineren
Modellierung und allen Ausdrucks entbehrt. Unbe-
streitbar ist auch der Christustyp der der Vorhalle;
auch die schwere, gebundene Haarbehandlung hält
sich einigermaßen in den Traditionen der Freiburger
Schule. Dagegen sind Körper und Gewand, vor allem
auch in ihrem Verhältnis zueinander, völlig anders
geworden. Wiederum verweisen wir auf die Engel
(Abb. 10 u. 11), weil ihre Gewandführung eine gewisse
Ähnlichkeit zeigt. Der Körper ist am Heiligen Grab
wesentlich schlanker, dabei steif und unbeweglich;
er hat nichts von der saftigen Vitalität des Leuchter-
trägers. Das Kleid verbindet sich ganz mit dem
Körper, umschmiegt ihn eng, ohne aber doch eine
Vorstellung von seinem Organismus zu geben. Es
fällt, entsprechend der veränderten Haltung, nicht in
sanftem Schwung, sondern in steilen Geraden zum
Boden, um dann plötzlich umzubrechen. Die Ge-
wänder kleben fest aufeinander, sind nicht mehr
plastisch differenziert und tief unterarbeitet; wie denn
überhaupt die Plastik der Durchbildung auch im
einzelnen beträchtlich nachgelassen hat. Im Gewand-

29 Die Unterschiede lassen sich aber nicht nur durch die
Prädikate „besser" und „schlechter" charakterisieren; in der
Vorhalle gibt es Figuren, die nicht im geringsten besser sind
als die Statuen auf dem Heiligen Grab und doch im Stil ganz
anders.

23 Bekanntlich lassen sich in Freiburg selbst nach der
Jahrhundertmitte noch Ausläufer des Vorhallestils nachweisen.
Vgl. Vöges Aufsatz über das nördliche Chorportal in dieser
Zeitschrift 11. Jg., 1915 S. 1 ff.

stil ist neben dem engen Ineinandergleiten der Stoffe
eine Neigung zu schmalrückiger, paralleler Röhren-
bildung in dichten Reihen und zu lebhaften, kleinen,
sich rollenden Saummotiven besonders auffällig. Wenn
sich auch nicht leugnen lässt, dass einzelne dieser
Eigentümlichkeiten gelegentlich in der Vorhalle auf-
treten, in ihrer Gesamtheit, als Stil, sind sie etwas
Neues. An eine autochthone Entwicklung kann man
deshalb nicht denken, weil alle Zwischenstufen fehlen.
So muss mit Einflüssen von außen gerechnet werden.
In der Tat scheint uns namentlich der neue Gewand-
stil Import, und die vermittelnden Glieder sind wohl
eben jene Tumbastatuen, die heute nicht mehr an
ihrem alten Platz stehen. Wir haben sie seither nur
summarisch erwähnt, sehen wir sie jetzt genauer an.
Die fünf Figuren sind nicht alle von einer Hand,
mindestens zwei Meister müssen angenommen werden.
Aber auch ihre einzelnen Werke schwanken in der
Qualität. Unzweifelhaft an der Spitze steht der Engel
zu Füßen Christi (Abb. 15). In jähem Schwung reckt
sich die schlanke Gestalt, bekrönt von einem pracht-
vollen, lockenumwallten Kopf, in die Höhe. Die
Hauptlast des Körpers ruht auf dem linken Fuß, über
dem sich die Hüfte mächtig nach außen biegt. Die
gegensätzliche Bewegung des Oberkörpers verstärkt
der momentan zur Seite gewandte, fast im Profil
sichtbare Kopf. Die lebhafte Aktion der ehemals
ein Rauchfass schwingenden Hände ist Ursache und
Ausdruck zugleich der starken, den ganzen Körper
durchbebenden Bewegung. Sammelpunkt des Ge-
wandes, das den Richtungsachsen des Körpers, sie
kraftvoll steigernd, folgt, ist die linke Hüfte. Von
hier strömen die feinen Röhrenfalten des Leibrocks
zur Erde, hier klingen die flachen Schüsseln des fest
in das Kleid geschmiegten Mantels aus, von hier
schließlich führt ein Mantelstück quer über die Brust
zur leicht gesenkten rechten Schulter, dann in straffem
Wurf herabfallend und die konkave Ausbiegung der
Hüfte geschickt füllend. Beachtung verdient noch
besonders der feine Einklang in der Haltung der
Arme mit den horizontalen und vertikalen Haupt-
motiven der Gewandung. Selten ist das Ideal der
gotischen Plastik des 14. Jahrhunderts, Körper und
Gewand zu unlösbarer, groß bewegter Einheit zu ver-
binden, so restlos verwirklicht worden wie hier, wo
die herrliche Bewegung den Eindruck des mühelos
Gewordenen, gleiehsam in der Natur Gewachsenen
in unübertrefflicher Weise hervorruft. Die schmal-
rückigen Falten des dünnen, straff gelegten Stoffes,
der maßvolle Reichtum der schön geschwungenen
Säume helfen mit, diese Figur aller irdischen Schwere
zu entkleiden. Sie steht nicht: sie wächst, wie der
schlanke Stengel einer Blume vom Winde bewegt.
Und die Blüte ist der Kopf (Abb. 19). Dem Gesicht
 
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