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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0168

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Der Tempel von Segest in Sicilien.

(Der Text nach Raoul-Rocliette, Mitglied des Instituts, Sekretair der Akademie der Künste zu Paris etc.)

auf einem weit vortretenden, von allen Seiten schroff gegen
tiefe Thäler sich senkenden Abhang dieses Gebirges.

Unweit vom Monte Barbara in Sicilien,

i, nahe den kaum mehr kenntlichen Trümmern des
alten Segest, ragt der Peristyl eines mächtigen dorischen Tempels sammt Gebälk und Giebeln empor.
Der grossartige Eindruck, den das Denkmal schon an sich hervorbringt, steigert sich wesentlich durch
seine erhabene Lage und durch die Einsamkeit und Stille der ringsumliegenden Wüstenei. Meilenweit
in die Runde zeigt sich keine Spur von Menschen-Wohnungen; die Vegetation ist bis auf ein paar küm-
merliche Gebüsche in den Ritzen des Tempels selbst völlig ausgestorben. In seiner vollen Majestät, un-
verhüllt, ohne alle Umgebung steht der Tempel da; der Berg ist sein Piedestal und der blaue Himmel
seine Einfassung. Ungestört mag hier der Künstler der Hoheit griechischer Formen, der Forscher den
grossen Erinnerungen der Gegend sich hingeben.

Der Ursprung der Stadt Segest verliert sich in das sagenhafte Alterthum; Aeneas oder ein andrer
irrender Held aus Troja soll sie gegründet haben. Sie erstarkte immer mehr durch das Element griechi-
scher Bildung, das sie mitten unter eingebornen Stämmen geltend machte, und wetteiferte bald an Macht
mit dem nahen Selinunt. Keine von beiden Städten wollte der andern nachgeben, die Vergrösserung der
einen führte nothwendig zur Beeinträchtigung der andern, und bald riss ihre Feindschaft ganz Sicilien
mit sich in's Verderben. Die Segestaner wurden von den Selinuntiern in einer Schlacht besiegt und
riefen die Athener zu Hülfe, welche sich gern in die sicilischen Streitigkeiten mischten, um sich selbst
der Herrschaft über Sicilien zu bemächtigen. Jedermann kennt den Ausgang dieser leichtsinnigen Expe-
dition; Athen verlor dabei Flotte und Heer, Namen und Macht. Segest aber war nun um so hülfloser
der Rache seiner jetzt weit zahlreicheren Feinde Preis gegeben, und griff in der Verzweiflung zu einem
Mittel, das schlimmer war als die Gefahr, welche dadurch gehoben werden sollte: es rief, wie vorher die
Athener, so jetzt die Carthager zu Hülfe. Jetzt hatte man es nicht mehr mit Griechen zu thun, die selbst
als Feinde ihrer Stammesgenossen schonten, sondern mit Barbaren, welche für eine Reihe früherer Nieder-
lagen auf sicilischem Boden die wildeste Rache zu üben gedachten. Die erste Folge dieses unseligen
Hülferufes War der Sturz von Selinunt. Bald fiel auch Segest selbst als Opfer. Die Carthager behan-
delten die Stadt wie eine Beute des Krieges; mehrere erfolglose Empörungen und Verbindungen mit den
Griechen beförderten ihren Verfall noch mehr. Als endlich die Römer sich Siciliens bemächtigten, fand
Segest, wegen der Sage von seiner Gründung durch Trojaner, Gnade vor ihnen und zehrte fortan an
einem. Rest alter Freiheit und an ruhmvollen Erinnerungen. Wann und wie dieses Leben allmählig er-
losch, ist völlig dunkel; genug, die Stadt sank in Oede und Vergessenheit.

Nur der Tempel zeugt noch von ihrem Dasein, aber er ist uns ein Räthsel wie die Stadt selbst.
Aufrecht steht er da in seiner vollen Höhe, während die umliegende Stadt bis auf den letzten Rest ver-
schwunden ist; Jahrhunderte voller Kriege und Unglücksfälle sind an ihm vorübergegangen, ohne ihn zu
beschädigen, und was das Auffallendste ist, wir finden ihn unvollendet.

Er gehört zu der Art, welche man Peripteros hexastylos nennt*), d. h. er hat ein Säulen - Peristyl
auf allen vier Seiten, und sechs Säulen kommen auf die Facade. Diese Form ist an griechischen Tempeln
die häufigste, und doch hat der griechische Schönheitssinn, so oft er sich ihrer auch bediente, durch freie
Modifikation der Verhältnisse jedesmal eine neue, herrliche Wirkung hervorzubringen gewusst. Der Plan
des vorliegenden Tempels bildet ein Oblongum von 237,3 Palmen Länge und 102,8 Palmen Breite (sici-
lianischen Maasses); die beiden Giebelseiten schauen, dem alten Gebrauche zufolge, gegen Osten und
Westen; von der Stadt aus ging man gerade auf die Facade zu.

Das Gebäude steht auf einer erhöhten Basis von vier Stufen, deren unterste etwas niedriger ist. Die
oberste Stufe ist auf drei Seiten nicht vollendet, indem bloss die Stücke unter den Säulen vorhanden sind;
irriger Weise hat man dieselben für Piedestale angesehen. Sechs und dreissig Säulen bilden den Peristyl;
jede Fronte, wie bereits bemerkt, hat deren sechs und jede Langseite vierzehn, die Ecksaulen mitgerechnet.
Jede Säule hat 7,39 Palmen Durchmesser und eine Höhe von beinahe fünf Durchmessern. Die Inter-
columnien betragen 9,7 Palmen, also kaum mehr als der Durchmesser, verringern sich aber gegen die

*) S. den Plan und die Einzelheiten, Blatt II. Fig. 1 giebt den Grundriss des Ganzen, Fig. '2 den Aufriss einer Ecke des
Tempels, Fig. 3 den eines Kapitals, Fig. 4 den halben Grundriss eines solchen.

Denkmäler der Baukunst. V. Lieferung.
 
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