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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0227

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Der Uhr- and WindetMrm zn Athen.

Ueber die Zeit der Errichtung dieses Gebäudes fehlt es an bestimmten schriftlichen Zeugnissen, und
wenn nicht in einigen Schriftstellern des Alterthums seiner Erwähnung geschähe, so würden wir auch
den Namen des Mannes nicht kennen, dem es seine Entstehung verdankt. Nach dem Style der Architectur
und der Sculpturen an demselben zu urtheilen werden wir uns nicht von der Wahrheit zu sehr entfernen,
wenn wir annehmen, dass seine Errichtung in die letzten Zeiten griechischer Kunst fällt und etwa in die
Zeit um 200 v. Chr.

Nach dem Zeugniss des Varro und des Vitruv wurde dieses Bauwerk von einem gewissen Andronicus
Cyrrhestes *) errichtet, dessen specielles Fach aber nicht angegeben wird, denn keiner von beiden Schrift-
stellern sagt, ob er Architect, Mathematiker oder Astronom gewesen sei.

Aller Wahrscheinlichkeit nach war es ein zu gemeinem Nutzen errichtetes Gebäude, das eine doppelte
Bestimmung hatte. Es war die Stadt-Uhr und zugleich der Windezeiger der Athener, und gab neben
der Zeit auch die Richtung des Windes an. Man kann wohl denken wie wichtig einem Handel und
Schiffahrt treibenden Volke ein solcher Stunden- und Windzeiger sein musste, und so hatte das
Gebäude denn auch eine dieser seiner wichtigen Bestimmung entsprechende Lage im Mittelpunkte des
geschäftlichen Verkehrs von Athen, ganz nahe dem Eingänge zur Agora.

Unabhängig hiervon gewährt uns der Windethurm auch noch das Interesse, dass er uns einen Blick in
die Kunst der Griechen, die Zeit zu messen und wie sie dieselbe praktisirten, thuen lässt. Die alten
Schriftsteller erzählen, dass es bei ihnen zwei Methoden der Zeitmessung und damit zwei Arten von
Horologien oder Uhren gab. Die eine war auf den verschiedenen Stand der Sonne basirt und hiess
von dem Stäbchen, das auf einer mathematisch getheilten Fläche den Schatten wirft, Gnomon, es war
die Sonnenuhr, die wir Alle hinlänglich kennen; die andere beruhte auf dem in einer gewissen Zeit
erfolgenden und für dieselbe vermerkten Abfluss des Wassers durch eine Oeffnung aus einem Gefässe
in ein anderes, es war die Wasseruhr, die Klepsydra. Beide Weisen ergänzten sich gegenseitig und ergaben
vereinigt ein System der Chronometrie, das für Tages- und Nachtzeit, und wenn die Sonne bei Tage
nicht schien, ausreichte.

Man muss bekennen, dass der Erbauer des Uhr- und Windethurnis seinem Bauwerk eine den Zwecken
desselben ganz entsprechende Form zu geben gewusst hat, wie denn die griechische Kunst das Bedürfniss
immer in der praktischsten und zugleich schönsten Form zu erledigen verstand. Wahrscheinlich diente
das Gebäude seinem Zwecke so lange als es überhaupt demselben dienen konnte und vielleicht bis zu
der Zeit, wo die mechanischen Uhren erfunden worden. Von da ab wird es wohl misachtet und vernach-
lässigt worden sein, und unterlag nun der Zerstörung der Zeit und der Menschen. Unterdessen hatte sich
der Boden von Athen bedeutend aufgehöht und der untere Theil des Gebäudes war ganz von Erde bedeckt
worden; wäre das Gebäude nicht so fest erbaut gewesen, es hätte zur vollständigen Ruine werden müssen.
Zu der Zeit, als La Guillotiere, Spon, Pococke, Stuart und Le Roy Athen besuchten, fanden sie das
Gebäude bis zur Höhe von 15 Fuss, von seinem Sockel gerechnet, mit Erde bedeckt, die Portiken der
Eingänge waren zerstört, von den Eingängen selber war nur der eine noch praktikabel aber grösstentheils
verschüttet, der andere war es ganz. Die Simswerke waren bis zu einer gewissen Höhe des Gebäudes
so zerstört, dass es schwer war ihre ursprüngliche Form zu bestimmen, und an die Stelle der marmornen
Meta auf dem Gipfel des Daches, auf dem ehemals nach Vitruv's Zeugniss ein erzener Triton als Wind-
fahne sich bewegte **), war ein unförmlicher Turban getreten, ähnlich dem, den der Scheikh der Derwische
trug, die damals in dem Thurme ihren mahomedanischen Kreistanz ausführten. Zu diesem Ende war im
Innern des Thurmes über dem dort befindlichen Schutt und Geröll, die den ursprünglichen Fussboden
des Gebäudes verdeckten, ein Bretterboden gelegt, der noch um einige Fuss höher lag als das innere
untere Gurtgesims, woher denn dieses den Blicken ganz entzogen war.



*) Andronicus aus Cyrrhus.
*'*) Nonnullis placuit esse ventus quatuor, ab Oriente aequinoctiali Solanum, a meridie Austrum, ab occidente aequinoctiali
Favonium, a septentrionali Septentrionem. Sed qüi diligentius perquisiverunt, tradiderunt eos esse octo, maxime quidem
Andronicus Cyrrhestes, qui etiam exemplum collocavit Athenis turrim marmoream octogonon, et in singulis lateribus
octoo-oni singulorum ventorum imagines exsculptas contra suos cujusque flatus designavit, supraque eam turrim metam
marmoream perfecit, et insuper Tritonem aereum collocavit, dextra manu virgam porrigentem, et ita est machinatus, uti
vento circumageretur, et semper contra flatum consisteret, supraque imaginem flantis venu indicem virgam teneret.
Lib. I, cap. 6.
Denkmäler der Baukunst. CXXIII. Lieferung.
 
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