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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0164
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Bas Rathhaus von Saumur,

Seit dem Ende des elften Jahrhunderts weisen historische Documente die Existenz städtischer Gemeinden
nach, aber besonders in dem folgenden Jahrhundert verbreitete sich diese Institution. Die damals wieder
erstehende Civilisation musste unter den durch lange Knechtschaft verdummten Völkerschaften Gefühle von
Unabhängigkeit erwecken, die man wohl unterdrücken aber niemals in Menschen vernichten kann, weil sie
zu seiner Natur gehören. Ausserdem wurden die aus der Barbarei auferstehenden Völker tief aufgeregt
durch die Kreuzzüge, sie schlugen neue Wege ihrer Entwiokelung ein, die sie nicht ohne Revolutionen
verfolgen konnten. Wissenschaften und Künste machten grosse Fortschritte, Handel und Gewerbe nahmen
einen neuen Aufschwung und verbreitete den Reichthum in die Mittelklassen der Gesellschaft, die aus Kauf-
leuten und Handwerkern in den Städten bestanden und das natürliche Verlangen hatten ihre Besitztümer
in Frieden zu gemessen. Die unaufhörlichen Quälereien und die Tyrannei ihrer weltlichen oder geistlichen
Herren liess ihnen dazu nicht die Möglichkeit, so mussten sie nach Mitteln suchen ihnen zu widerstehen.
Der sicherste Weg um zu diesem Ziele zu gelangen bestand darin, grosse Verbindungen zu bilden, die
zum Zweck den gegenseitigen Schutz ihrer Mitglieder hatten. So sah man denn die Bewohner der Städte
sich zu einer grossen Gesellschaft vereinigen und durch die feierlichsten Eide sich zu gegenseitigem Schutze
verpflichten. Dies war der Ursprung der Gemeinden.

Es ist nicht möglich den Ort zu bestimmen, von wo diese Bewegung ausging; sie scheint ihren Heerd
überall da gehabt zu haben, wo seit den Römerzeiten alte Municipalstädte bestanden. :) Es wurden in der
That nach dem Muster der römischen Municipalität die Vorstände der Gemeinden gebildet. Diese wurden
durch die Stimme der Bürger erwählt und hiessen Geschworne, jures, Schöffen, echevins, und im Süden Consuln;
ihnen oblag es die Bürger auf den Schall der Sturmglocke zu versammeln und sie bewaffnet unter dem
Banner der Stadt gegen den sie bedrohenden Feind zu führen. Auf gleiche Weise überwachten diese Ge-
meindevorsteher die Unterhaltung der Stadtwälle, sie verwalteten das städtische Vermögen, organisirten die
innere Verwaltung der Stadt, schlössen für sie Bündnisse, mit einem Wort sie hatten volle Gewalt ihre
Sicherheit zu wahren und ihren Rechten Achtung zu verschaffen, Rechten, die fast immer mit dem Blute
der Bürger oder mindestens doch mit grossen Opfern erkauft worden waren und auf deren Respectirung
daher die Bürger sehr eifersüchtig waren. Die Privilegien der Communen waren beträchtlich und machten
aus den grossen Städten, wo das Communalsj stein sich vollständig hatte entwickeln können, unabhängige
Staaten, die nach ihrem Willen Frieden oder Krieg beschlossen.

Zu diesen Privilegien gehörte in erster Reihe der Besitz eines Beffroi oder Wachtthurms. Man nannte
so eine Art mehr oder minder hohen Glockenturm, auf dessen Höhe beständig Leute, sogenannte guetteurs
wachten, deren Amtsverrichtung darin bestand die Bürger von einer sich nahenden drohenden Gefahr da-
durch zu benachrichtigen, dass sie die grosse Glocke im Thurme in Bewegung setzten, auf deren wohl-
bekannten Ton die Stadtbewohner bei Strafe gehalten waren sich auf ihren Posten zu begeben. Diese
Glocke führte von ihrer Bestimmung verschiedene Namen, man nannte sie tocsin (toque seing, Lärmglocke),
ban cloque oder dache banale, weil sie dazu besimmt war den Bern der Bürgermiliz zusammen zu rufen.
Sie war nicht immer ausschliesslich dazu bestimmt den Bürgern unglückliche Ereignisse zu verkünden,
man läutete sie auch oft bei grossen Festlichkeiten, und zuweilen diente sie auch dazu den Feierabend
anzuschlagen.

Der Beffroi verkündete schon von fern die Commune, wie der Donjon das Feudalschloss; auch zer-
störte man ihn oder nahm ihm allermindestens seinen Namen, wenn man einer Stadt ihre Municipalrechte
entziehen wollte. So bestrafte Philipp von Valois im Jahre 1331 die Bürger Laons dafür, dass sie das
Asylrecht ihrer Kirche verletzt hatten, indem sie darin Ritter, die einen Bürger übel behandelt, zu Gefan-
genen machten, damit, dass er den Befehl gab, die Stadt Laon solle keinen Beffroi mehr haben und der
so genannte Thurm diesen Namen verlieren. Wenn der Beffroi immer den Bestand einer städtischen Com-
mune anzeigte, so ist dies nicht derselbe Fall mit dem Rathhaus, denn man scheint nicht ursprünglich für
die Zusammenkünfte des Rathes der Gemeine besondere Gebäude errichtet zu haben. Diese Zusammen-
künfte hatten in alter Zeit oft in den Kirchen Statt, die für diesen Zweck ganz geeignete grosse Räume
darboten; später gab man diese Bestimmung den Sälen, die sich in dem oberen Stockwerk der Stadtthore
befänden, oder man kaufte zu diesem Zwecke Privathäuser. Erst im vierzehnten und besonders im fünf-
zehnten Jahrhundert begann man Rathhäuser zu bauen, die des Namens würdig waren; wenigstens datiren
fast alle, die man noch sieht, aus dieser letzteren Zeit, in der bekanntlich Ludwig der Elfte eine grosse
Zahl von städtische») Communen gründete.

*) Augustin Thierrv, Lettres sur l'histoire de France.

Denkmäler der Baukunst. ('III. Lieferung.
 
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