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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0226

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SECHSTES KAPITEL

DAS ERBE DER ANTICHITÄ CRISTIANE

In den letzten Kapiteln haben wir gesehen, wie sich die
neuartigen Ausstattungen römischer Kirchen ab 1580 als
ein Versuch kirchlicher Amtsträger erklären lassen, eine
Bildkunst von spezifisch institutionellem Zuschnitt zu
schaffen. In verschiedenen Fällen wurde diese Ausrich-
tung über einen Paragone mit der autonomen Bildgattung
des Tableaus selbstreflexiv gewendet: Die Bilderbauten
werden dann zu einer Bilderlehre kirchlicher Institutio-
nen. Im Zuge dieser reflexiven Standortbestimmung
konnten aber auch Dokumente einer ganz anderen Bild-
welt das Interesse der kirchlichen Auftraggeber auf sich
lenken. Zu Zeiten der frühchristlich-mittelalterlichen Kir-
che, der „primitiva chiesa"516, waren schon einmal monu-
mentale Bildprogramme entstanden, welche den Haupt-
raum römischer Gotteshäuser beherrschten. Zeugnisse
dieser versunkenen Bildwelt müssen im Rom des 16. und
des 17. Jahrhunderts in heute kaum noch vorstellbarer
Dichte präsent gewesen sein - pars pro toto wäre an den
zwischenzeitlichen Verlust so kapitaler Objekte wie Alt-
Sankt Peter oder San Paolo fuori le mura zu erinnern.517
Angesichts dieser Vielfalt der Relikte muss sich histori-
schen Besuchern der Bilderbauten eine elementare Ver-
mutung aufgedrängt haben: Allein schon die Entschei-
dung, die Haupträume der Gotteshäuser wieder mit mo-
numentalen Bildprogrammen zu füllen, wie sie seit dem
frühen Trecento nicht mehr realisiert worden waren, durf-
te als Versuch gewertet werden, die künstlerischen Tradi-
tionen der antichitä cristiane wieder aufleben zu lassen. Der
Gedanke erscheint überaus plausibel: die Bilderbauten
als Rückgriff auf die traditionsgeheiligte, unbezweifelbar
sakrale und unangefochten autoritative Kunst der frühen
Kirche. Doch gibt es über diese grundsätzliche Vergleich-
barkeit hinaus konkretere Spuren einer Auseinanderset-
zung mit dem frühchristlich-mittelalterlichen Bilderbe?

Die Wichtigkeit der eben umrissenen Fragestellung
zeichnet sich in neueren Arbeiten ab, in denen viel vom
„Early Christian Revival" der Zeit um 1600 die Rede ist.518 In
kunsthistorischen Untersuchungen hat sich dieser Begriff
für Kampagnen der Wiederherstellung und Neuausstat-
tung frühchristlicher Sakralbauten eingebürgert. Eines
der einschlägigen Beispiele wurde oben unter dem Stich-

wort „Instandsetzungsmodell" angesprochen: der spät-
antike Zentralbau Santo Stefano Rotondo.514 In den 1580er
Jahren ließen die seit kurzem dort ansässigen Jesuiten
das alte Gotteshaus von Niccolö Circignani und Antonio
Tempesta rundum ausfreskieren (Abb. 78-79). Diesem
neuen Bildprogramm war an zentraler Stelle ein älteres
Element inkorporiert: das karolingische Apsismosaik der
Sanktuariumskapelle. Die Zentrierung des neuen Bilder-
zyklus auf das alte Mosaik verlieh dem gesamten Unter-
nehmen den Anschein einer Restituierung des ursprüng-
lichen Interieurs.

Das wohl konsequenteste Projekt dieser Art realisierte
Cesare Baronio ab 1597 in Santi Nereo ed Achilleo
(Abb. 198). Der frisch zum Kardinal bestallte Oratorianer
hatte den stadtauswärts gelegenen titulus in baufälligem
Zustand übernommen. In der Apsis und am Triumph-
bogen waren noch Fragmente karolingischer Mosaiken aus
der Zeit Leos III. erhalten. Diese Überbleibsel des alten
Bildapparats ließ Baronio teils ausbessern, teils komposi-
torisch in eine gemalte Version hinüberretten. Mit Fresken
zum Martyrium der Titelheiligen und anderen Erzähl-

198. Santi Nereo ed Achilleo, Inneres

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