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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0336

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NEUNTES KAPITEL

RAHMENBEDARF.

KULTBILDER UND IHR NARRATIVER KORDON

Mit dem letzten Themenbereich kommen wir zu einer
Klasse von Objekten, die sich allen kategorialen Zuord-
nungen entziehen: Sie werden immer für beides gehalten,
für diesseitig und jenseitig, historisch und überzeitlich,
Zeichen und Person. Die Kult- oder Gnadenbilder, die da-
mit angesprochen sind, gelten als Träger eines realen Ineins
des semiotisch bzw. ontologisch Unvereinbaren. Eine sol-
che Bildleistung steht in einem offensichtlichen Span-
nungsverhältnis zur Strategie einer narrativen Vermitt-
lung, wie sie die Bilderbauten verfolgen. Ungeachtet die-
ser bildtheoretischen Polarität ist in der Praxis jedoch eine
enge Allianz zwischen Bilderbau und Kultbild zu konsta-
tieren: Etwa ein Fünftel der Hauptraumausstattungen
zwischen 1580 und 1700 kreist um ein verehrtes Bild auf
dem Hochaltar. Wenn wir uns Santa Maria in Aracoeli in
Erinnerung rufen, kann man es etwas überspitzt sogar so
formulieren: die Geburtsstunde der Bilderbauten schlug
mit der Neuinszenierung einer Marienikone.826 Beide
Stränge der Bildpraxis beschritten in der Folgezeit Wege,
die sich häufig überkreuzten, vereinzelt aber auch weit
voneinander entfernten, wie etwa ein Blick auf Santa Ma-
ria in Campitelli illustrieren könnte.827

Die in der Aracoeli und in vielen anderen Kirchen voll-
zogene Überführung von Gnadenbildern an einen beson-
deren Ehrenplatz konnte in Rom an eine außerordentlich
lange Tradition der imagines sacrae anknüpfen, die zuletzt
für knapp ein Jahrhundert unterbrochen worden war.828
Seit dem späten 15. Jahrhundert hatte der Bildkult auf der
Ebene kirchlicher Investitionen einen deutlichen Rück-
gang erlebt, so dass man für die nachtridentinischen
Maßnahmen von einer regelrechten Reaktivierung des
Mediums sprechen kann. Eine Reihe von Kultbildstiftun-
gen im Pontifikat Gregors XIII. bildet den Auftakt zu einer
sehr systematisch betriebenen Förderung des Bilderkultes,
wie er sich gleichzeitig auch in anderen Teilen der katho-
lischen Welt beobachten lässt.829 Was sind aus universal-
katholischer wie aus lokalrömischer Perspektive die Fak-
toren, die hinter diesem gesteigerten Interesse an den
Kultbildern stehen?

• Bilderstreit: Die Kontroversen zwischen Neu- und Alt-
gläubigen waren auch eine Auseinandersetzung um die

Legitimität des Bildkults. Zur Disposition stand nicht
die Anfertigung von sakralen Bildern überhaupt, son-
dern ihre Verehrung und der damit verbundene Wun-
derglaube. Diese Auseinandersetzung hatte eine theo-
retische und eine praktische Ebene: In der theologi-
schen Debatte zogen sich die katholischen Vertreter auf
eine sehr vage Position dogmatischer Rechtfertigung
zurück: Wenn Gläubige den Bildern verehrend gegen-
überträten, gelte dies nicht den Bildern selbst, sondern
den dargestellten Personen.830 Eine solche Aussage ließ
den Unterschied zwischen Kultbildern und anderen
sakralen Darstellungen gegen Null gehen. Folgerichtig
wird weder im Tridentiner Dekret noch in den zahlrei-
chen Bildtraktaten katholischer Autoren so etwas wie
eine Semiotik des Kultbildes entwickelt.831 Aussage-
kräftiger als der theologische Disput dürfte daher die
Ebene der Bildpraxis sein: das in verschiedenen protes-
tantischen Regionen betriebene „Stripping of the al-
tars" hatte mit der Abschaffung des Bilderkultes tat-
sächlich Ernst gemacht. Die Ausstellung und rituelle
Verehrung von Kultbildern wurde damit zu einem dis-
tinktiven Merkmal katholischer Identität.
• Institutionelle Trägerschaft: Konstitutiv für den Charakter
der Kultbilder als Gegenstand eines „Kultes" ist eine
gemeinschaftliche Zurschaustellung der Bilder. Diese
kollektive Adressierung war ein wichtiger Grund dafür,
dass Kultbilder immer schon als Gegenstände institu-
tionellen Handelns prädestiniert waren.832 Die Fürsorge
für die Kultbilder lag in den Händen verschiedener, oft
genug miteinander rivalisierender institutioneller In-
stanzen - Papst und Kommune, Kapitel und Kloster,
Pfarrei und Bruderschaft etc. In rituellen Handlungen
(Ver- und Enthüllung, Prozession etc.) aktivierten sie
die Ikonen zur Identitätsstiftung „ihrer" Kultgemein-
schaften.833 Das neue Interesse an Kultbildern nach dem
Tridentinum dürfte sich wesentlich aus diesem institu-
tionellen Charakter des Bildkultes speisen. Es wäre viel
zu einfach, dies als Versuch der Propagierung oder
Wiederbelebung eines „Toten" zu bewerten. Nichts
spricht dafür, dass die Bevölkerung erst noch von der
Wirksamkeit der Bilderverehrung überzeugt werden

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