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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0029
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I SCHRIFT-BILDER

Der Medien-Diskurs der Visio Prophetica

Zur genuinen Faszinationskraft von Visionen zählt der Wunsch, die Kontingenz der
Gegenwart durch einen Blick in die Zukunft überwinden zu können.1 In der antiken
Kultur des Mittelmeerraums waren es die Träume, denen das Potential zugeschrie-
ben wurde, eine den Menschen jetzt noch verborgene Zukunft zu enthüllen. Autoren
wie Artemidor entwickelten ausgefeilte Traumdeutungslehren, in denen die ver-
schiedenartigen Ursachen von Träumen ebenso auseinandergefaltet wurden wie die
unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten einzelner Traumbilder.2 Die Position des
Christentums gegenüber diesem Glauben an eine solche menschliche Zukunftsschau
war überaus kritisch: Die Verfügung über die Zukunft sollte allein und ausschließ-
lich bei Gott liegen. Und doch berichteten die Erzählungen der Heiligen Schrift von
zahlreichen „Gesichten", die ein zukünftiges Geschehen ankündigten.3 Mit dem an-
tiken Glauben, dass im Schlaf geschaute Traumbilder per se schon auf tatsächliche
Ereignisse der Zukunft verweisen, hatten die Zukunftsvisionen der Bibel allerdings
wenig gemein.4 Stets nämlich handelte es sich um die Erfahrungen einzelner, von
Gott ausgewählter Menschen. Unter systematischen Gesichtspunkten lassen sie sich
in zwei große Gruppen einteilen:

- die eine Gruppe waren von Gott geschickte Traumbilder, die in einen größeren
Erzählzusammenhang eingebunden waren. Die Träume Jakobs, des alttesta-
mentlichen wie des neutestamentlichen Joseph, aber auch die Träume Pharaos,
Nebukadnezars, der Heiligen Drei Könige und zahlreicher Heiliger, sie gingen
bereits auf der Ebene des biblischen oder hagiographischen Textes tatsächlich in
Erfüllung. Die Geschehnisse im Anschluss an den Traum sollten die Bedeutung
des visionär geschauten Bildes offenlegen. Auf diese Weise konnten die Traum-
bilder die Funktion übernehmen, die Lenkung der Heilsgeschichte durch Gott zu
verdeutlichen. 5

- die zweite Gruppe waren Visionsberichte prophetischen Charakters. Ihre Visionen
handelten von einer noch nicht eingetretenen Zukunft und ließen die Frage, was
mit dem von Gott Geoffenbarten gemeint sein könnte, erst einmal offen. Prophe-
tische Visionäre waren keine Akteure der Heilsgeschichte, an deren späterer Vita
sich die Bedeutung visionärer Zeichen erkennen ließ. Ein Blick auf den Kanon
des Alten wie des Neuen Testaments lehrt, dass solche Visionen für Juden- und
Christentum ein unverzichtbares Gut waren: Visionäre Prophetien nehmen nicht
nur unter den Büchern des Alten Testaments breiten Raum ein, auch an den Schluss
 
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