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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0054
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2 Versiegeln und Enthüllen

Apokalypse-Zyklen des Frühmittelalters

Auch Johannes [...], wie er auf kaiserlichen Befehl auf die Insel Patmos verbannt war
f...] und voll der himmlischen Geheimnisse gewisse Dinge hörte und erblickte, die ihm
Gott enthüllte, erhielt den Befehl, diese in ein Buch zu schreiben, nicht sie zu malen. Und
als er in Gestalt der sieben Gemeinden die eine, heilige, katholische Kirche ermahnte, die
vom Geist der siebenfachen Gnade erfüllt ist, tat er dies nicht malend, sondern schreibend.
[...] Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass nicht Bildern, sondern Schriften die Erziehung
unseres Glaubens zukommt.'

Das Zitat der Libri carolini führt uns zur wichtigsten prophetischen Visionsschrift
des biblischen Kanons, der Apokalypse des Johannes.2 In selten deutlicher Weise
reflektieren die Äußerungen des Bilderkritikers Theodulf von Orleans die Frage
nach den Trägermedien im prophetischen Offenbarungsgeschehen. Dies geschieht
freilich auf sehr einseitige, die Rolle geschriebener Texte privilegierende Weise: Die
Medienfrage wird nur für die zweite Stufe der prophetischen Offenbarung gestellt,
die Weitergabe der Botschaft an die Gemeinde.3 Was sich vor der Verschriftlichung
zwischen Gott und Johannes abspielte, scheint für Theodulfs Offenbarungstheorie
ohne Bedeutung zu sein - wäre da nicht die Frage nach dem Malen, die impliziert,
dass Gott sich Johannes gegenüber einer bildähnlichen Form der Kommunikation
bediente. Doch werden mögliche Zweifel an der Adäquatheit der Niederschrift da-
durch entkräftet, dass schon für die erste Stufe prophetischer Offenbarung ein Primat
des Wortes vor dem Bild behauptet wird - „audire" kommt vor „cernere". Geschickt
klammert Theodulf schließlich auch den Themenkomplex RückÜbertragung aus, also
die Anfertigung von gemalten Bildern nach dem geschriebenen Text. Denn gerade die
Apokalypse wurde schon früh in reich bebilderten Abschriften überliefert, die sich bis
zum Spätmittelalter zu einer der verbreitetsten Gattungen illuminierter Manuskripte
überhaupt auswachsen sollten - eine Tendenz, die umso bemerkenswerter ist, als es
sich nicht um eine im strengen Sinne liturgische Buchform handelt.4 Eine der auffäl-
ligsten Besonderheiten der bebilderten Apokalypse-Bücher ist ihre Bilderfülle, die
zwischen 50 und 100 Miniaturen schwankt. So ist die bei Theodulf formulierte Frage

- warum wurden die Visionen von Johannes nicht gemalt, sondern aufgeschrieben

- um eine zweite zu ergänzen - warum wurden auf der Grundlage dieses Textes dann
doch wieder so zahlreiche Bilder der Visionen angefertigt? Bevor wir diese Fragen
an die Bilder selbst richten, ist ein Blick auf den biblischen Text instruktiv, der selbst
schon in hohem Maße medientheoretisch aufgeladen ist.
 
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