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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0145
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II SEELEN-RÄUME

Der Ort des inneren Auges

Die Unterscheidung zwischen dem äußeren und dem inneren Menschen gehört zu
jenen Grunddifferenzen, an denen Jan Assmann zufolge der „kosmogonische Rang
der Unterscheidung als solcher"1 deutlich wird. Konstitutiv für das Gefälle zwischen
Außen und Innen ist im Mittelalter das gesamte Feld der Visualität, ist das Auseinan-
dertreten von Blicken unterschiedlicher Reichweite: Vermag das äußere Auge nur das
Körperlich-Sichtbare wahrzunehmen, ist das innere in der Lage, hinter die Oberfläche
der materiellen Welt in den Bereich des Geistig-Unsichtbaren vorzudringen. Das innere
Auge zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, Sein und Schein auseinanderhalten zu
können, das äußere Auge vermischt sie beständig und fällt dadurch der Täuschung
anheim.

Die Opposition zwischen äußerem und innerem Auge ist dem christlichen Diskurs
über das Sehen von Beginn an zu Eigen. Damit ist aber noch nichts über die bildlichen
Strukturen gesagt, in welche die Entgegensetzung von Innen und Außen gekleidet
werden kann. An dieser Stelle ist noch einmal auf die Typologie von Dispositiven
der „indirekten Erzählung" zurückzukommen, die Sixten Ringbom für die mittel-
alterliche Bildkunst entwickelt hat (Abb. 2).2 Bis heute ist diese Studie der einzige
Sy stematisierungsversuch zum Thema der folgenden Kapitel. Ihr bleibendes Verdienst
besteht in der Erkenntnis, dass die bildliche Visualisierung inneren Sehens keine
Frage der Ikonographie, sondern ein Problem der Topologie und damit ein Problem
der Relationierung unterschiedlicher Bildorte ist. Zu einer beträchtlichen Verkürzung
führt hingegen die Grundannahme Ringboms, dass Bilder das Innen der visionären
Erfahrung ausschließlich über ein Verhältnis der Ausgrenzung aus der äußeren Wirk-
lichkeit definieren können. Letztlich privilegiert Ringboms Ansatz, ich habe es in der
Einleitung dargelegt, ein mimetisches Bildkonzept, das für innere Bilder nur den Ort
eines „Bildes im Bild" bereithält.

Die folgenden Kapitel gehen von der These aus, dass die Dispositive zur Visuali-
sierung eines inneren Blickes in sehr viel höherem Maße historisch wandelbar sind, als
dies bisher in Erwägung gezogen wurde. Von einer neuzeitlichen Tradition ausgehend
sind wir gewohnt, das Innere des Menschen ausschließlich in einer binären Relation,
als Kehrseite der äußeren, der körperlichen Welt zu sehen. Mittelalterlich bestimmte
sich der homo inferior jedoch durch eine mittlere Lage zwischen dem Körper, in
dessen „Gefängnis" er zu hausen hatte, und der transzendenten Sphäre als seiner ei-
gentlichen Heimat, von der er zu Lebzeiten getrennt war. Für die Rekonstruktion von
 
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