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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0417
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13 Abdruck und Virtualität
Die Gregorsmesse

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lief ein neuer Bildtypus schnell allen anderen
Körper-Visionen, einschließlich der Stigmatisierung des Franziskus, den Rang ab:
die um 1400 erfundene Gregorsmesse, zunächst vor allem auf Epitaphien vertreten,
fand in den Medien des Einblattdrucks und des Retabels massenhafte Verbreitung.1
Jüngere Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte haben zeigen können, dass wir es
- wie bei der Wurzel Jesse - mit einer genuinen Bilderfindung zu tun haben, die ihre
Sprachfähigkeit daraus gewann, dass sie bereits eingeführte Bildvokabeln zu einer
neuen Einheit kompilierte. Wichtigster unter diesen Bausteinen war die imago pietatis,
ein Bildformular, das den von Wunden gezeichneten Körper Christi zum Gegenstand
eindringlicher Betrachtung werden ließ. Mit der Erfindung der Gregorsmesse wurde
aus dem Schmerzensmann das Bild einer Körper-Vision, einer Erscheinung, die
zwar keine Spuren am Körper des Visionärs hinterließ, aber die Darstellung selbst,
das Gemälde oder Relief mit heilswirksamer virtus begabte.2 Eine bereits an Seuses
Exemplar zu beobachtende Tendenz, die körperliche Dimension visionärer Erfahrung
an das Darstellungsmedium zurückzubinden, fand in den Bildern der Gregorsmesse
eine breite und langanhaltende Fortsetzung.

13.1 Der beglaubigte Körper

Die Anfänge der Gregorsmesse

Zahlreiche Epitaphien und Einblattdrucke, auf denen die Gregorsmesse dargestellt
ist, sind mit lateinischen oder volkssprachlichen Subtexten ausgestattet. In erstaunlich
standardisierter Form bieten sie den Betrachtern der Bilder zweierlei: eine Handlungs-
anweisung, die erklärt, wie man durch verschiedene Gebete „vor diser figur" zu einem
bestimmten Ablass seiner Sündenstrafen gelangt, und eine Erzählung, die in knappen
Worten vom Ursprung dieses Ablassinstituts berichtet. Möchte man Hintergrundinfor-
mationen zum Bildgegenstand der Gregorsmesse beziehen, muss man zunächst auf
diese Erzählung rekurrieren. Die Rede ist dort zuallererst von einer „Erscheinung"
Christi vor den Augen des Papstes Gregor, dem sich die Einrichtung des Ablasses
verdankt.3 Auf einem beliebig herausgegriffenen Holzschnitt um 1460/70 liest sich
das Ganze folgendermaßen:
 
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