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Die Gartenkunst — 8.1906

DOI Artikel:
Rettich, Heinrich: Bricht der vom Stuttgarter Gemeinderat zum Studium neuerer Friedhofsanlagen bestellten Komission, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0112

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VIII, 6

DIE GARTENKUNST

101

Neuzeitliche Friedhöfe.

Bericht der vom Stuttgarter Gemeinderat zum Studium neuerer Friedhofsanlagen

bestellten Kommission,

erstattet von deren Referenten Gemeinderat Dr Rettich-Stuttgart.

(Fortsetzung.)

Die Wähl eines nicht vollständig eben gelegenen
Platzes und die Anlage des Wegnetzes nach der Weise
englischer Parkanlagen sind darum die ersten Bedingungen,
um dem Bindruck des Öden und Schauerlichen, den eine
grol'se Begräbnisstätte auf uns macht, zu begegnen.

Sind diese grundlegenden Voraussetzungen erfüllt, so
ist es weiterhin notwendig, die grol'sen, durch die Anlage
der Hauptwege entstandenen Geländeflguron mit einem
Saum von Gebüsch oder Baumwuchs zu umpflanzen, der
den Einblick in das Innere der Felder von diesen Wegen
aus abhält. Die Mehrzahl der Besucher eines Friedhofes
ist nicht so in Trauer aufgelöst, dafs sie für die Eindrücke
ihrer Umgebung völlig unempfindlich wäre. E)as trifft
höchstens zu für die nächsten Leidtragenden am Beerdi-
gungstage selbst. Von diesen abgesehen sind alle anderen
— im Laufe der Jahre ungezählte Tausende — in einer
Verfassung und Aufnahmefähigkeit, dafs es keineswegs
gleichgültig ist, welchen Eindrücken sie auf dem Fried-
hof.. den sie nun einmal besuchen müssen oder wollen,
ausgesetzt sind. Ist dem aber so, dann handelt es sich
darum, jene Hauptwege zu angenehmen Wandelgängen
zu gestalten, die nicht von Grabkreuzen sondern von
Baumwuchs aller Art flankiert sind, sowie darum, den-
jenigen, der ein bestimmtes Grab besuchen will, nicht in
ein weites Feld voller Leichensteine zu führen, sondern in
einen mehr intimen Raum, der ringsum begrenzt ist vom
Grün der Bäume und eben deswegen auch eine stille Ab-
geschiedenheit bietet, die auf den quadratischen, unbe-
pflanzten und jeweils in ihrer ganzen Ausdehnung dem
Auge offen liegenden Friedhöfen niemals vorhanden ist.

Dies dürften die beiden Gesichtspunkte sein, die für
die grofse Einteilung des Geländes in erster Linie in
Betracht kommen. Wieviel von dem Areal sodann über-
dies zu reinen Parkzwecken, zur Gewinnung land-
schaftlicher Ausblicke, zur Anlage von schmückenden
Wasserflächen u. dergl. ausgespart werden soll, ist eine
Frage, deren Lösung von den örtlichen Verhältnissen und
von dem Mafse des Aufwands abhängig ist, den man auf
dem Friedhof machen will. Um aber gerade hinsichtlich
des Aufwands richtig zu ihr Stellung nehmen zu können,
mufs man sich vor Augen halten, und das kann nicht oft
genug betont werden, dafs alles, was solcherweise auf-
gewendet werden soll, weniger für die Toten als für die
Lebenden in Gegenwart und auf Jahrhunderte lange Zu-
kunft hinaus geschieht. Solange wir die Leichen bestatten
müssen, brauchen wir öffentlichen Platz dazu, und solange
wir Erinnerung an unsere teuren Toten haben, solange

werden wir diese öffentlichen Plätze besuchen. Wir
wollen aber nicht mehr, dafs dieselben lediglich ihrer un-
geschickton Zurichtung wegen uns mit Grauen erfüllen,
und dafs dieses Grauen den Besuch unserer Gräber
unnötigerweise erschwert und die stille Erinnerung an
unsere Toten stört. Darum dürfen und müssen wir auch
den Aufwand weniger mit Rücksicht auf die Toten als
im Hinblick auf uns selbst und unsere Nachkommen be-
urteilen und einschätzen. Geschieht dies aber, dann
brauchen auch gröfsere Beträge nicht schwer genommen
zu werden. Es ist allerdings nicht zu bestreiten, dafs
durch die alte Anlage der Friedhöfe die gröfste Aus-
nützungsmöglichkoit des Platzes gesichert und damit die
gröfste Sparsamkeit geübt wurde. Folgerichtig hätte dann
aber das Prinzip der Sparsamkeit auch bei den Hochbauten
der Friedhöfe hochgehalten werden müssen. Wo aber, wie
z. B. in München, in dieser Hinsicht gerade das Gegenteil ge-
schehen ist, da hat man bereits auch zugegeben, dafs das
Bedürfnis der Lebendon dahin geht, die Todesstätten,
neben und auf denen sie in pietätvollem Gedenken an die
Verstorbenen wandeln müssen, möglichst des Grauens zu
entkleiden, auch wenn dies nicht ohne gröfsere Kosten
geschehen kann; man hat zugegeben, dafs man einen
blol'sen Knochenablageplatz doch nicht haben will. In
München war es nun ein genialer Architekt, der dieses
Bedürfnis aufgriff, allerdings, wie wir gesehen, mit
gröfserem Erfolg für seine Spezialkimst als für die Be-
friedigung des Bedürfnisses. Mit grofsartigem Erfolg da-
gegen, mit einer Wirkung, die tagtäglich und insbesondere
alle Sonntage Tausende von Lebenden erfrischt und er-
freut, ist dies in Hamburg einem genialen Gartenbauer
gelungen, und in ähnlicher Weise den Männern, welche
die Friedhöfe in Kiel und Bremen angelegt haben. Ihr
Vorgehen wird darum auch für uns nachahmenswert sein.
— Mit welchem Feingefühl für die dem Menschen nächst-
liegende Freude an der Natur man dabei vorgegangen ist,
mag die folgende kleine Mafsnahme des Hamburger Fried-
hofdirektors kennzeichnen: In geeigneten Teilen des Wald-
friedhofs hat er die kleinen Blumen des deutschen Früh-
lings, wie Seidolbast, Schneeglöckchen, Schlüsselblumen
und dergl., mit solchem Erfolge angepflanzt, dafs, wer in
Hamburg an dem Wiedererwachen der Natur sich erfreuen
will, alljährlich nach dem grofsen Friedhof wandert, wo
er sicher ist, alle die kleinen Frühlingsboten zu rechter
Zeit und an schönen Plätzen aufzufinden. Der Hamburger
Friedhof ist überhaupt in ziolbewufster Pflege zu einem
botanischen Garten grofsartigsten Stiles ausgestaltet worden.

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