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Genelli, Hans Christian
Das Theater zu Athen: hinsichtlich auf Architectur, Scenerie und Darstellungskunst ueberhaupt erläutert — Berlin und Leipzig, 1818

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https://doi.org/10.11588/diglit.842#0088
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82

V.

sodann aber auch, dafs das Individuelle der Gestaltung nicht dem Namen widerspräche,
unter welchem sie sich ankündigte: ja noch so manche andere Bedingung der Lage, in
welcher sie auftrat, mufste an ihr erkannt werden können. Hieraus entsprangen für
jene tragische Bühne.diese drei Hauptbedürfnisse. Erstlich, der Maske, um in bestimm-
ten und anerkannten Zügen den Charakter herzustellen: den Wechsel zarter Mienen-
spiele konnte sie entbehren. Mit all zu ängstlichen Titubationen, mit dem Gewirr sich
kreuzender Neigungen und dem Kampf der« Isfnentschlossenheit befafste ursprünglich jene
Tragödie sich eben nicht, sondern sie ging vielmehr aus auf entschiedenen Charakter
und die rasche That mit ihren unausbleiblichen Folgen x); und als sie dort hinein ver-
fiel, war die Maske schon eingeführt. Dann, einer bestimmten Kleidertracht, die jeg-
liche Rolle nach Würde, Stand und der besonderen Lage, in welcher sie sich befinden
sollte, bezeichnend unterschiede, und diese Tracht sollte zugleich der Feierlichkeit des
lyrischen Spieles entsprechen, welches immer in einigem Mafse einen religiösen Anstrich
behauptete. Endlich, indem schon der Mythos, nicht blofs die Götter, sondern auch
jenes Heroengeschlecht aufgestellt hatte als Gestalten, die an Gröfse des Wuchses und
an Schönheit den gemeinen Menschenschlag weit übertrafen, so mufste die Bühne, da
sie diesen Unterschied materiell weder erzielen konnte, noch wollen durfte, doch gleich-
sam symbolisch eine solche Vorzüglichkeit anzudeuten besorgt sein *).

1) Hierin stellet sie dem romantischen Schauspiel der Neueren sclinurstraks entgegen: ich meine
bei ihren ersten Dichtern, Äschylos und Sophokles: denn freilich weicht Euripides schon mehr zu uns her-
über. Es scheint, uoser:Drama könne nicht umhin, ein grofses Gewicht auf die besonderste Individualität
zu legen, uud dies ist denn schon soweit gegangen, dafs sogar die Individualität des Schauspielers oft einen
höheren Werth als jene der Rolle selbst behaupten konnte. Ich erinnere mich, mit ausgezeichnetem Beifall
einen kahlköpfigen Hamlet auftreten gesehen zu haben, an welchem grade diese Kahlheit sehr bedeutsam ge-
funden wurde, ungeachtet im Stücke selbst die Rolle durch den Reichtum des Haupthaares bezeichnet wird.
Um solchen Mißständen auszuweichen, sollte unsre Bühne sich doch partielle Maskirungen angewöhnen, wie
Göthe sie schon mit Erfolg in Weimar angewendet hat. Auf ganze Masken kann sie sich freilich nicht ein-
lassen: dazu bleibt ihr das Mienenspiel immer zu wichtig.

2) Das Bedürfnifs zur Maske und zur Steigerung der Gestalten entsprang der attischen Bühne
also keinesweges etwa aus den grofsen Dimensionen des Schaupiazes, in welchem Falle ja auch die Komö-
die die lezte nie hätte entbehren können, während selbst die Tragödie sie nur bei wenig Rollen anwenden
durfte. Die Schauspieler traten häufig den Zuschauern so nahe, dafs diese auch die geringstep Eigenheiten
an ihnen mufsten unterscheiden können; aber selbst vou der gröfsten Entfernung, von dem Logeion aus, blie-
ben nicht nur die Gestalten, sondern selbst die Gesichtsbildungen, hinlänglich kenntlich! sonst hätten, nicht
blofs in Komödien, sondern auf der römischen Bühne sogar in der Tragödie, die Schauspieler nicht so oft
ohne Maske auftreten können, wie zum Beispiel jener so berühmte Roscius, der dort das Mienenspiel zuerst
in Ansehen gebracht zu haben scheint.
 
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