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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 32.1909

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Clément-Janin, ...: Gustave Doré
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https://doi.org/10.11588/diglit.4231#0120
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Gustave Dore, »Karl der Große«. (Buchillustration aus »Croque-.Mitaine, legende heroi'que»).

Nach dem Holzschnitt.

GUSTAVE DORE.

Dore — ein Name, der einst einen Weltruhm bedeutete. Kein Land mit künstlerischer Kultur,
in Europa und in Amerika, das ihn nicht kannte und sich an seinen Werken nicht ergötzte. In
London zum Beispiel gab es ständig eine Ausstellung seiner Arbeiten: Bücher, Gemälde, Skulpturen,
Radierungen, Lithographien. Als er dreißig Jahre alt war, überschwemmte er mit seinen Zeichnungen,
die nach Tausenden zählten, die ganze Welt. Später, kurz nach seinem Tode, kam noch die übliche
Gedächtnisausstellung und dann die Vergessenheit, mehr noch, die Verachtung. Maler und Bildhauer
wollten nichts mehr von ihm wissen. Schwerer fiel es freilich den Illustrationszeichnern, sich von
seinem Riesenschatten zu befreien. Verwarfen sie ihn auch nicht in Bausch und Bogen, so trafen
sie doch eine strenge Auswahl unter seinen Werken: bewundert werden durften nur mehr der
Rabelais von Bry (1854), die »Histoire pittoresque, dramatique et caricaturale de la Sainte-Russie«
(1854) und die »Drolligen Geschichten« Balzacs (1855). Von Dores Radierungen und von seinen
lithographischen Mappen aber sprach vollends niemand mehr.

Zur Zeit von Dores Tod — er starb zu Paris am 23. Jänner 1883 — war eben in Frankreich ein Um-
schwung der künstlerischen Anschauungen eingetreten. Courbet und Manet hatten Schule gemacht
und waren die Stammväter der Realisten geworden, so wie in der Literatur Zola dem Naturalismus zum
Siege verholfen hatte. Die Phantasie galt nur mehr als eine Geisteskraft zweiten Ranges und mußte weit
zurücktreten hinter die Nachahmung der nackten Wirklichkeit und je häßlicher diese war, desto
besser. Begreiflicherweise war nunmehr die Kunst Dores in gar keinem Einklang mit der allgemeinen
Geschmacksrichtung. Eine Äußerlichkeit kam noch hinzu: das große Format, das er als Illustrator
bevorzugt hatte; die Foliobände fanden nur mit Mühe Platz in den Bücherschränken. Und so
schwanden Name, Einfluß und Ansehen Dores allmählich dahin und versanken im Schatten des
Vergessens.

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