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Grosjean, Georges [Hrsg.]; Cavelti, Madlena [Hrsg.]
500 Jahre Schweizer Landkarten — Zürich, 1971

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https://doi.org/10.11588/diglit.10984#0018

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bekannt. Doch ist die Karte zurzeit in Kupfer nachgestochen und in
einer bibliophilen Auflage von 500 Exemplaren neu gedruckt wor-
den (Lit. 8). Wir beschränken uns daher auf die Wiedergabe eines
größeren Ausschnittes aus dem östlichen Berner Oberland. Am
Brienzcrscc sind einzelne Partien beim Gicßbachfall oder das Insel-
chen bei Iseltwald der Natur abgeschaut. Das Gebiet Schwarzhorn-
Faulhorn-Schynige Platte dagegen ist, ohne eigene Anschauung, mit
ausdruckslosen Hügeln und Wäldern gefüllt worden. Sehr gut aber
erscheint wiederum das Hochgebirge, Wetterhorn, Schreckhorn,
Eigcr und Jungfrau. Hier weist der Kommentar Schocpfs auf Orts-
kenntnisse von Gemsjägern und Strahlern, die sich schon damals in
die Eisregion vorwagten. Möglicherweise durch unrichtige Kombi-
nation der eingezogenen Nachrichten und Skizzen, die nur vom Tale
aus entworfen waren, gingen Mönch und Finsteraarhorn verloren.

Nur gestreift werden kann hier eine weitere große Kantons-
karte, welche der aus Zürich stammende Johann Heinrich Wäg-
mann vom Gebiet Luzerns entwarf. Mit Sicherheit wissen wir nur
aus Göttlich Emanucl Hallcrs Landkartenverzeichnis (Lit. 28), daß
die Karte existierte. Mehrere heute bekannte Karten sind sicher Ko-
pien der Wägmann-Karte. Eine in Öl gemalte, undatierte und un-
signierte Karte im Kapuzinerklostcr am Wesemlin in Luzern ist
vielleicht Wägmanns Original. Da die Karte nicht veröffentlicht
wurde, scheint sie auf die Kartographie der Schweiz praktisch keinen
Einfluß ausgeübt zu haben. Das war die Tragik einiger der ganz
großen Kartenschöpfungen der Zeit, daß sie als einzige handgcmaltc
Originale irgend in einem Gewölbe oder einer Truhe sicher ver-
wahrt wurden.

Das Genfcrsccgcbiet wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts ebenfalls mehrmals kartographisch dargestellt, wobei bis
jetzt nicht ganz klar herausgearbeitet worden ist, welche Karten
selbständigen Aufnahmewert besitzen. Den Grundstein zur Familie
der Genferscekarten scheint der seltsamerweise in kaiserlichen Dien-
sten zum Kriegsmann ausgebildete Jean du Villard (1532-1610) ge-
legt zu haben, der 1565 nach Genf zurückkehrte, mehrmals das Amt
eines Syndic und andere Ämter, auch den Rang eines Obersten be-
kleidete. Die Karte wurde 1588 gedruckt, muß aber mindestens zehn
bis fünfzehn Jahre früher entstanden sein. Denn es wurden schon
früher Kopien gedruckt (Lit.25, S.32). Eine verbesserte Weiterent-
wicklung dieser Karte schuf der Theologe Jacques Goulart, Sohn
des Simon Goulart, des zweiten Nachfolgers Calvins in der Vor-
stcherschaft der Genfer Kirche und Verfasser theologischer und histo-
rischer Arbeiten. Der Sohn Jacques Goulart, 1580 geboren, war von
1601 bis 1606 Pfarrer in Amsterdam und kam dadurch wohl in Be-
ziehung zum Kartenvcrlag Hondius, der Goularts südorientierte,
1605 in Genf gestochene Karte in die erweiterte Neuausgabe des
8 Mcrcator-Atlasses von 1606 aufnahm. Ein Jahr später erschien die-
selbe Karte in Nordoricnticrung in der 19. lateinischen Ausgabe des
Theatrum Orbis Terrarum, dessen Druckplatten und Rechte nachdem
1598 erfolgten Tode des Abraham Ortclius durch Kauf an Johann
Baptist Vrintius übergegangen waren. Wir legen diese zweite
Version von 1607 in unsere Kartenmappc, nachdem die Karte aus
dcmHondius-Atlasvon 1606 in Lit. 26, S. 86/87, veröffentlicht wurde.
Eingehende Vergleiche mit Hilfe von Pausen haben ergeben, daß
See, Flußnetz, Lage und Zahl der Ortschaften genau identisch sind.
Ebenso die Nomenklatur bis auf ganz wenige Verschrcibun gen. Einzig
die Berge mußten bei Vrintius in Südansicht umgezeichnet werden,
und er ließ auch den Schmuck von Bäumen, Wäldern, Reben und
Kornfeldern weg. Ebenso fehlen aus begreiflichen Gründen in der
Ausgabe von Antwerpen in den spanischen Niederlanden die Porträts
der Reformatoren. Dafür enthält die Karte in lateinischer Sprache
eine Widmung von J.B. Vrintius an den in London lebenden Neffen
des Abraham Ortclius, Jacobus Colins Ortelianus. Der mittlere Maß-
114 stab der Karte beträgt ungefähr 1:180000. Das Verzerrungsgitter
zeigt die für diese Karte typischen Fehler: Der See ist zu gestreckt,
vor allem der Südwestteil zu kurz und zu stark gegen Norden ge-
drückt. Die nur in der Hondius-Ausgabe eingezeichnete Windrose ist
zu stark gegen Osten orientiert. Die am Rand eingetragenen geogra-
phischen Breiten liegen um rund 30 Minuten zu weit nördlich. Die

Zahl der Ortschaften und Namen ist sehr groß. Kleinste Weiler und
Gehöfte sind eingetragen, doch oft in der Lage zueinander unrich-
tig, sogar vertauscht. Der Karte scheint keine sehr differenzierte Kon-
struktion zugrunde zu liegen. Die zahlreichen Einzelheiten wurden
nach Augenmaß und viele wohl nur vom Hörensagen eingetragen.

Die letzte regionale Primärkarte der alten Eidgenossenschaft, die
aus dieser Periode hier vorgestellt werden soll, ist diejenige der Drei
Bünde in Rätien, von Fortunat Sprecher von Berneck und 9
Philipp Clüver. Der eine Autor, Fortunat Sprecher, 1585 geboren,
ist bekannt als hervorragende Persönlichkeit des bündnerischen Gei-
steslebens, Jurist von Ausbildung, in vielen Ländern gereist, tätig in
Ämtern und Gesandtschaften, ruhig und scharf beobachtender Zeit-
genosse der großen Leidenszeit Bündens, die er als Historiker von
Rang beschrieb. Doktorwürde und Ritterrang kamen ihm zu. Die
Karte im mittleren Maßstabe von 1:330000 erschien als Beilage zu
einem eher frühen Werk, der Pallas Rhaetica annata et togata, 1617,
einer lateinischen Beschreibung Graubündens. Sprecher dürfte zur
Karte vor allem die Ortskenntnis beigetragen haben. Der kartogra-
phische Entwurf ist wohl das Werk des aus Danzig stammenden und
damals auf der Durchreise nach Italien in Bünden weilenden Geo-
graphen und Kartographen Philipp Clüver, latinisiert Cluverius
(1580-1623). Für den Kupferstich zeichnet auf der Karte rechts oben
unter dem Beglcitwort Clüvers Nikolaus von Geilenkirchen, der auch
sonst für Clüver arbeitete.

Die Karte enthält eine staunenswerte Fülle von Orten und Ge-
wässern als Ergebnis systematischen Sammeins. Auf den ersten Blick
erscheint auch die Gcsamtanlage überraschend gut. Gegenüber den
sehr unklaren und lückenhaften Tal- und Flußläufen bei Tschudi und
seinen Sekundärkarten ist hier das Gewirr der Höhenzüge und Täler
erstmals klar und in den Grundzügen richtig gegliedert. Das ist eine
Leistung, die von der Gegenwart aus, da uns das Kartenbild der
Schweiz von Kind auf vertraut ist, kaum mehr richtig eingeschätzt
werden kann. Es bedurfte eines klaren und überlegenen Geistes in
Verbindung mit sehr viel Erfahrung und Anschauung, um die topo-
graphischen Zusammenhänge richtig zu erfassen. Diese Voraus-
setzungen waren bei Sprecher erfüllt. In den Einzelheiten bringt das
Verzerrungsgitter freilich noch viel Fehlerhaftes an den Tag. Die 1
ganze Partie über den Splügcn bis zum Comersee ist zu breit geraten.
Dadurch werden Misox und Calancatal nach Westen abgedrängt.
Die Ortschaften im Calancatal sind gegenüber denjenigen im Misox
viel zu hoch hinauf lokalisiert. Das Vcltlin ist gegenüber dem Enga-
din zu weit nach Westen verschoben und wird dann in seinem untern
Teil in der West-Ost-Dimension zusammengedrückt. Die zentralen
und nördlichen Teile sind am besten disponiert. Doch ist auch hier
der Raum zwischen Plcssur und Albula-Landwasser-Furche zu schmal
geraten. Es fehlt das Talbeckcn von Arosa. Die Gebirgsdarstcllung
Clüvers ist mittelmäßig. Zwar wirkt der Stich gegenüber spätem
Nachstichen markant und charaktervoll. Die Berge zeigen aber keine
,individualisierenden Formen wie bei Murcr und Schocpf, keine
Schlucht, keine Felspartic erinnert an wirklich Gcschautes. Die Ort-
schaften sind - dies freilich im Zuge der Herausbildung eines ab-
strakteren Kartcnstils - zu schematischen Signaturen geworden.
Alles in allem aber ist die Sprecher-Clüvcr-Kartc eine bedeutende
Leistung, die auf die Kartographie Graubündens und damit der gan-
zen Schweiz nachhaltigsten Einfluß ausgeübt hat. Praktisch bestimmt
die Karte von Sprecher und Clüver das Kartenbild Graubündens für
fast zwei Jahrhundertc. Die letzten der zahlreichen Nachstichc und
Nachzeichnungen erschienen 1802.

GERHARD MERCATORS SCHWEIZER
KARTEN UND IHRE ABKÖMMLINGE

Gerhard Mercator ist einer der bedeutendsten Kartographen
aller Zeiten. Er wurde i5i2ÜiRupclmondcin Flandern geboren und
studierte unter anderem Mathematik und Astronomie bei Rainer
Gemma Frisius in Löwen. Als Protestant in den spanischen Nieder-
landen verfolgt, begab er sich 1552 auf Einladung des Herzogs von

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