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Vorbemerkung

Wenn der Titel dieses Buches zwei so diffuse Fahnenwörter wie Kultur-
wissenschaft und Gedächtnis zusammenspannt, so bedarf das wohl einer
kurzen Erläuterung. Gewiß, von Kulturwissenschaft spricht man nicht erst
heute. Dem mit Gelehrtenfleiß gesegneten 19. Jahrhundert war das Wort
lange Zeit geläufiger als die von Dilthev mit theoretischem Aufwand und
weithin wirkendem Erfolg an die Stelle des Vorgängers gesetzte Bezeich-
nung Geisteswissenschaft. In der heutigen Konjunktur des alten Etiketts
melden sich verschiedene Tendenzen zu Wort. Deren Gemeinsames ist
offenbar in einem Sachverhalt zu suchen, der zwar komplex genug, aber
weniger abstrakt ausfällt als das, wofür der Geistbegriff steht. Kulturan-
thropologie und Kulturgeschichte des Alltags bieten sich als Leitdisziplinen
an, die imstande scheinen, den alten Graben zwischen Hoch- und Popular-
kulturen, zwischen dem Imaginären und dem gesellschaftlichen Handeln,
incl. institutionellen Realitäten zu schließen.

Nicht zuletzt aber läßt sich das Kompositum wenden. Und was dabei
herausspringt - Wssenschaftskultur -, ist ein Index dafür, daß die Kul-
turwissenschaften ein integraler Teil dessen sind, was sie erkunden. Das
gilt bekanntlich selbst dann, ist das Forschungsobjekt eine fremde Kul-
tur. Denn in dem Maß, in dem der Forscher das Fremde zum bloßen
Beobachtungsobjekt macht, überzieht er es mit dem Netz seiner eigenen
Kulturhermeneutik. Die »Pfade ins Lichte« aber, wie der Ethnologe und
Romancier Michael Jackson ein dieses Erkenntnisproblem umkreisendes
Buch (Indiana U. P. 1989) genannt hat, führen über die Selbstreflexion ins
Gedächtnis der eigenen Wissenschaft und mithin der Eigenkultur. Denn
das kulturelle Gedächtnis der interpretierenden Wissenschaften enthält die
Ressourcen, mit deren Hilfe die zu erkundenden >Gegenstände< definiert,
konstruiert, beschrieben, ausgedeutet und angeeignet werden. Ob es sich
um die Applikation eines Grammatikmodells, eines Textualitätskriteriums,
um ein semiotisches, rhetorisches oder ästhetisch-technisches Analysever-
fahren handelt - in allen Fällen stammen die Grundbegriffe, nebst den
Kunstgriffen des Beschreibens und Explizierens aus alten Beständen.

Indessen lautet die hier vertretene These nicht Wahrung der Konti-
nuität im Sinne eines Gegenwart und Vergangenheit verbindenden Ideen-
transports. Ein passendes Sinnbild ist viel eher das Kaleidoskop, das, von
wechselnden, einander widerstreitenden Interessen geschüttelt, immer wie-
der neue Konfigurationen zeigt und damit zugleich auch bisher verborgene
 
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