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Vom Fetisch bis zum Drama?

Die Verwirrung des Sprachgebrauchs steigert sich,
je mehr der Begriff Kultur zu einer Modesache
wird; ja man kann sagen: je mehr die Wissen-
schaft sich des Begriffs annimmt.

Fritz Mauthner

Mutmaßungen über die Konjunktur der »Kulturwissenschaft«

Zweierlei forciert zum Nachdenken heraus. Erstens: Warum wollen oder
sollen die Literaturdisziplinen den altehrwürdigen Rock der Geisteswissen-
schaften abstreifen? Zweitens: Welche neue Anmut, welchen Zugewinn
verspricht ihnen das modische Kleid der Kulturwissenschaften? Es ist ge-
wiß nicht nur eine Frage des Kostümwechsels, der die aktuellen Debatten
erregt.1 Eine so nominalistische Einstellung könnte man getrost sich selbst
überlassen. Die Begriffe »Kultur« und »Geist« sind eben Begriffe und nicht
nur Worte, und was sie ergreifen oder bezeichnen, das ist kategorisch ge-
schieden, auch wenn sie auf den ersten Blick als Gemeinsames nur die
banalen Eigenschaften eines Vater-Kind-Verhältnisses preiszugeben schei-
nen.

Noch ist es nicht lange her, da galt Kultur als Geistschöpfung. Wer aus
Profession — ob Philolog, Historiker oder Philosoph - über Kultur nach-
dachte oder forschte, verstand sich daher mit Blick auf die prima causa als
Geisteswissenschaftler. Und das hieß viel. Denn am »Geist« als Subjekt jeg-
licher Sinnstiftung teilzuhaben, war als Legitimation für die wissenschaft-
liche Arbeit am Sinn nicht zu überbieten. Von heute aus gesehen erschei-
nen diese wissenschaftlichen Bemühungen um den »Geist« der Kultur als
Kennzeichen einer sozialen Funktion, die den beschleunigten Ausdifferen-
zierungsprozeß konfligierender kultureller Felder in der Moderne auf ein
einheitstiftendes Prinzip zurückzuführen suchte.

»Von heute aus...« - was heißt das hier und jetzt für die Kultur, den
Geist, den Sinn? Eine Bibliothek von Antworten gibt es auf diese Frage, die
sich jedoch - was die Einstellungen gegenüber den westlichen Gesellschaf-
ten betrifft - auf eine spannungsreiche, die Gegenwart charakterisierende
Ambiguität reduzieren lassen: Die Sphären fallen auseinander und treten
zugleich in ein Austauschverhältnis. Denn einerseits soll Kultur - folgt man
Daniel Beils Diagnose in The Cultural Contradictions ofCapitalism (1976)
- zum Konsumstil, Sinn zur Beliebigkeit verkommen sein; Hintergrund

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