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Die Geburt der Antike aus dem
Geist der Moderne

Aktuelle Dimensionen des Themas

Sprechen wir heute von »der Antike«, so setzen wir - ohne es uns bewußt
zu machen - voraus, daß diese Bezeichnung der Welt, die sie benennt,
unbekannt war. Denn dieser Epochen-Name, der doch für etwas sehr Fer-
nes steht, hat ein geradezu intimes Verhältnis mit »der Moderne«.1 Das
heißt aber: mit jener neuen Welt, die glaubt, im reifen, erfahrungsgestähl-
ten Mannesalter auf die Antike als Kindheit und Jugend zurückblicken zu
können.2 Im Denken und Dichten der durch historische Kämpfe und Dif-
ferenzierungsprozesse belehrten Bewohner der Neuzeit erscheint die per-
spektivisch zur Ruhe gebrachte und in eine symbolische Ordnung aufge-
hobene geistige Welt der Griechen und Römer wie ein unerschöpflicher
Fundus der Parolen und Masken, die sich lange genug im je aktuellen Ide-
enstreit als nützlich erwiesen. In »der Antike« — so lautete ein geläufiger
Spruch - soll die Geburtsstunde des europäischen Geistes - der Künste und
Wissenschaften — geschlagen haben. Und wer diesen Geist beschwört, steht
schon in der Schuld der Alten, hat schon über die fundamentale Differenz
zwischen Damals und Jetzt hinweg den Bogen der Analogie, wenn nicht
der Genealogie geschlagen. Woher kommt das? Was sind die Gründe?

Die ersten Spuren für die auf Tiefenschärfe bedachte Unterscheidung
zwischen »dort die Antike - hier die Moderne« reichen zurück in den
Frühhumanismus.3 Schon in dieser historischen Situation läßt sich das in-
tellektuelle Muster in Umrissen erkennen, das die (Wieder-) Aneignung/Er-
findung der Antike unter den Bedingungen eines gebrochenen Zeitbe-
wußtseins durchzieht: Negation der geltenden Ordnung unter Rückgriff
auf eine zwar heterodoxe, aber nicht gänzlich fremde kulturelle Seman-
tik. Erst im Barock jedoch löst die europäische Geschichtsschreibung die
heilsgeschichtliche Prozession der biblischen Monarchien vollends auf: Al-
tertum und moderne Zeit werden nun als exponierte, mit klaren Kennzei-
chen versehene Altersstufen unterschieden, zwischen ihnen ein vergleichs-
weise diffuses Mitderes. Und trotz des unübersehbaren Abstandes soll die
moderne der antiken Welt näher als der des Mittalters stehen.

Oft genug, doch letztenendes erfolglos ist diese Dreiteilung zusammen
mit ihren relativistischen Wertsetzungen kritisiert worden. Sie scheint be-

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