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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 22.1911

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Lang-Danoli, Hugo: Empfinden und Können - nicht Wissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11722#0330

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR PETER BEHRENS —NEUBABELSBERG. MARMOR-BAD ANLAGE IM HAUSE ME1ROWSKY.

war eben Lionardo, eine Kraft, die 16 Jahre am Abend-
mahl arbeiten konnte, die Jahrelang sich quälte, in die
Mona Lisa die Geheimnisse des Lebens, das Lächeln
der Lippen und das Singen der Bäche hineinzuzaubern,
eine Urkraf't, die die Gesetze des organischen Aufbaues
in ihren Tiefen aufzuspüren suchte, — und der als
Greis gramvoll einen schweren Tod starb. Was für
Lionardo galt, gilt nicht für die Künstler un-
serer Zeit. Es gilt nicht einmal für die anderen
großen Künstler, denen sonnigere Gestirne leuchteten,
denen wie Goethe »Analyse und Synthese, die Systole
und Anastole des menschlichen Geistes, wie ein zweites
Atemholen, niemals getrennt, immer pulsierend war«. —
Das Wissen ist nach alledem ein Prüfstein, dem nur die
Stärksten gewachsen sind, dem nur der reifere
Künstler, auf keinen Fall der werdende Künstler
allzusehr ausgesetzt werden darf! Wenn Wissen und
Können Merkmale des Technikers sind, so kennzeichnet
das von starker Empfindung geleitete Können den
Künstler. Nicht das Vermögen zur bewußten, verstandes-
gemäßen Konstruktion, sondern das instinktive Form-
gefühl und die Beherrschung der Materie zeichnen den
echten Künstler aus: »Je größer das Talent, je ent-
schiedener bildet sich gleich anfangs das zu produzierende
Bild. Man sehe Zeichnungen von Raphael und Michel-
angelo, wo auf der Stelle ein strenger Umriß das, was
dargestellt werden soll, im Grunde loslöst und körper-
lich einfaßt.« Goethe. Und weiter: »Alles kommt

darauf an, das Eigenleben des Auges und der
korrespondierenden Finger zu der entschie-
densten verbündeten Wirksamkeit heranzu-
steigern.« In solchen Worten ist schon das Programm
der fruchtbaren und fördernden Erziehung zur Kunst
einbegriffen: Das empfindsame Sinnesorgan für die,
in tausend Variationen und Komplikationen und dennoch
in großer Einfalt sichtbare organische Schön-
heit: das Auge, und zugleich das Werkzeug: die
Hände des starkempfindenden, zum Kunstschaffen
fähigen Menschen müssen ausgebildet werden, die
Fähigkeiten, die bei dem Lehrling früherer Zeiten,
— nicht bei dem heutigen Schüler, — ihre natür-
liche Entwicklung fanden. In solcher Praxis ent-
falten von selbst die höheren Oktaven im Geistigen
ihre entsprechenden Funktionen. Wir müssen nur da-
rauf unser Augenmerk richten, daß Empfindung und
Können in frühester Jugend gefördert werden, ohne daß
die freie Phantasiebetätigung gehemmt oder unterbunden
wird. Wir wollen nicht eine Jugend heranziehen, die
sich im Schaffen ängstlich um »Sinn und Bedeutung«
Rechenschaft zu geben versucht, sondern die im Bewußt-
sein des Könnens, mit ausgebildeten Sinnen und tüch-
tigen Händen, die Freude des Schaftens voll erlebt.
Das was uns verloren gegangen war, was aber dem
Lehrling notwendiges Element ist: das gute Vorbild
der Meister, das haben auch wir wieder in Meister-
schöpfungen unserer Tage. — h. lang-danoli.
 
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