DOI Artikel:
Schiebelhuth, Hans: "Die Freude am Kleinen Ding", [1]
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0132
120
INNEN-DEKORATION
K. PULLICH
FRISIERTISCH
WEISS, ROT
INNEN GOLD.
■DIE FREUDE AM KLEINEN DING<
VON HANS SCHIEBELHUTH.
Ich lief als Knabe zur Maienlust in den Wald. Das Er-
lebnis des großen ungeheueren Zusammenhangs er-
drückte mich, ich war stumm und ergriffen, Hilflosigkeiten
überkamen mich, deren ich nicht Herr ward, ich war über-
mannt. Ich wollte den Wald nicht verstehen, ich wollte
erfüllt sein, aber ich war nur niedergedrückt. Plötzlich
fing ich an mich zu freuen, mich behaglich, mich glücklich
zu fühlen, das Unheimliche war weg. Ich jubelte über
einen Fliegenpilz, der feurig rot und weiß bekrumt am
Fuß einer Tanne stand. Mit den heißen Augen einer
seligen Verwunderung sah ich einem Falter nach, der von
Glockenblume zu Glockenblume schwebte, einer Bach-
stelze, die von Stein zu Stein wippte. Dadurch wurde
mir der Wald ein süßes Zuhause, ich begriff, ich ver-
stand sein Wesen nie, aber ich erfuhr es an mir, ich lernte
mich freuen, meine Augen wurden für immer neue Reize
empfindlich, meinHerz für immer neueEinklänge empfäng-
lich, ich wuchs in das Wunder hinein, ich lernte im Wald
leben, unter Bäumen ein Mensch sein. Und wenn ich
heute nicht Wald denken kann, ohne daß es wie ein Rausch
in meiner Erinnerung aufsteigt, ohne daß ich plötzlich
verbunden und verwoben bin mit tausendmal erlebten
Wundern und Geheimnissen der Waldwelt, . . wenn ich
heute im Wald gehen kann, beglückt und erfüllt vor den
ungeheueren Zusammenhängen, so sehr, daß ich mich dem
Wachstum der Bäume verbrüdert weiß, das Dasein der
Tiere im Blut spüre wie mein eignes, daß mir Blumen
Offenbarungen sind, daß mich die Schönheit eines Gold-
käfers erschüttert, daß mich das Moos gleichsam einlädt
unterm Wipfelrauschen zu träumen, daß ich den Schatten
und die Ruhe als Labsal und Erquickung namenlos
empfinde, daß mir jede Säule Sonngold, die im Laubdicht
steht, einen ganzen Himmel voll Glückseligkeit trägt, . .
so sehr, daß mir jedes Ding, auch das kleinste und ge-
INNEN-DEKORATION
K. PULLICH
FRISIERTISCH
WEISS, ROT
INNEN GOLD.
■DIE FREUDE AM KLEINEN DING<
VON HANS SCHIEBELHUTH.
Ich lief als Knabe zur Maienlust in den Wald. Das Er-
lebnis des großen ungeheueren Zusammenhangs er-
drückte mich, ich war stumm und ergriffen, Hilflosigkeiten
überkamen mich, deren ich nicht Herr ward, ich war über-
mannt. Ich wollte den Wald nicht verstehen, ich wollte
erfüllt sein, aber ich war nur niedergedrückt. Plötzlich
fing ich an mich zu freuen, mich behaglich, mich glücklich
zu fühlen, das Unheimliche war weg. Ich jubelte über
einen Fliegenpilz, der feurig rot und weiß bekrumt am
Fuß einer Tanne stand. Mit den heißen Augen einer
seligen Verwunderung sah ich einem Falter nach, der von
Glockenblume zu Glockenblume schwebte, einer Bach-
stelze, die von Stein zu Stein wippte. Dadurch wurde
mir der Wald ein süßes Zuhause, ich begriff, ich ver-
stand sein Wesen nie, aber ich erfuhr es an mir, ich lernte
mich freuen, meine Augen wurden für immer neue Reize
empfindlich, meinHerz für immer neueEinklänge empfäng-
lich, ich wuchs in das Wunder hinein, ich lernte im Wald
leben, unter Bäumen ein Mensch sein. Und wenn ich
heute nicht Wald denken kann, ohne daß es wie ein Rausch
in meiner Erinnerung aufsteigt, ohne daß ich plötzlich
verbunden und verwoben bin mit tausendmal erlebten
Wundern und Geheimnissen der Waldwelt, . . wenn ich
heute im Wald gehen kann, beglückt und erfüllt vor den
ungeheueren Zusammenhängen, so sehr, daß ich mich dem
Wachstum der Bäume verbrüdert weiß, das Dasein der
Tiere im Blut spüre wie mein eignes, daß mir Blumen
Offenbarungen sind, daß mich die Schönheit eines Gold-
käfers erschüttert, daß mich das Moos gleichsam einlädt
unterm Wipfelrauschen zu träumen, daß ich den Schatten
und die Ruhe als Labsal und Erquickung namenlos
empfinde, daß mir jede Säule Sonngold, die im Laubdicht
steht, einen ganzen Himmel voll Glückseligkeit trägt, . .
so sehr, daß mir jedes Ding, auch das kleinste und ge-