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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0013
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1. Einleitung

1.1. Problemstellung und methodische Überlegungen

»Tableaux nennt man die plastischen Darstellungen von Gemählden durch lebende Perso-
nen, welche jetzt theils als künstlerische Uebungen, theils als sinnreiche und reizende Fest-
spiele beliebt sind«, liest man im Conversations-Lexicon von 1818.1 Es handelt sich um
szenische Arrangements von Personen, die für kurze Zeit stumm und bewegungslos gehalten
werden und sich so für den Betrachter zu einem Bild formieren.2 • Thema dieser Arbeit ist
damit ein Phänomen, das zwischen bildender und darstellender Kunst anzusiedeln ist. Im
Zentrum des Interesses stehen die Tableaux, die Stiche oder Gemälde nachahmen und somit
einen sehr speziellen Umgang mit der bildenden Kunst in ihrer Aneignung durch den mensch-
lichen Körper ausdrücken. Das Erste dieser Art ist für das Jahr 1761 belegt.3 Frei komponier-
te lebende Bilder, die kein bereits vorhandenes Kunstwerk zum Vorbild haben, lassen sich
schon für das Spätmittelalter und die Renaissance nachweisen, Vorformen sind seit der Antike
bekannt. Sie sind jedoch nur am Rande Gegenstand dieser Untersuchung, die ein spezielles
rezeptionsästhetisches Phänomen umreißen möchte, das als bildlicher Ausdruck eines neuen
spielerischen Umgangs mit der Kunst zu sehen ist.

Methodik und Relevanz dieses Themas für das Fach Kunstgeschichte liegt zunächst nicht
auf der Hand, existieren doch keine Bilder und kaum Bildzeugnisse, die es zu analysieren gilt.
Bei den lebenden Bildern handelt es sich aber nicht um ein in sich abgeschlossenes Phänomen
der Vergangenheit. Sie existieren als spezielle Kunstform auch heute noch und beleben -
sicherlich in Abwandlungen - die zeitgenössische Kunstszene und damit auch die Kunstkri-
tik.4 Fragen nach dem Umgang mit geschaffenen Kulturgütern, der Aneignung von Tradi-
tionen in der bildenen Kunst durch den eigenen Körper, nach Bildmanipulationen, nach Wahr-
nehmungsweisen, nach Imitation und Mimesis, nach Medium und Faktum, nach dem Verhält-
nis von Urbild und Abbild beschäftigen auch gegenwärtig Künstler wie Kunsttheoretiker.
Eine historische Untersuchung, die einerseits neue Fragen an ein Medium des 18.Jahrhunderts
stellt, andererseits vielleicht zur Erhellung einiger Aspekte der Fragen am Ende des 20.Jahr-
hunderts beitragen kann, erscheint daher sinnvoll.

Ein lebendes Bild ist eine spezielle Kunst- und Unterhaltungsform, die - wie Gemälde,
Plastiken oder Graphiken - in erster Linie visuell erlebt wird und als eine autonom zu begrei-

1 Siehe Conversations-Lexicon, 9.Bd., 1818, S.611. Vollständige bibliographische Angaben befin-
den sich im Quellen- und Sekundärliteraturverzeichnis.

2 Zur genaueren Definition des Begriffs, vgl. Kap. 1.2.

3 Es ist nur ein einziges früheres Beispiel aus dem 15. Jahrhundert bekannt, die Nachstellung des
Genter Altars der Gebrüder van Eyck. Vgl. dazu Kap.2.3. Die Existenz anderer früherer Tableaux
vivants ist natürlich nicht auszuschließen.

4 Davon abgesehen sind sie als Effekt in der Theater- und Filmregie stets präsent. Es sei noch dahin-
gestellt, ob dies als bewußte oder unbewußte Übernahme eines historischen Phänomens geschieht.
Vgl. Kap.5.2.1.

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