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Nr. 43

JUGEND

1897

gestellte Behauptung auf ihre Richtigkeit prüfen
wallten. Das ist leine Sache. Er ist verant-
wortlich für Alles, für jeden Stiefel, der einen
Mann, für die Militärlast, die das Volk, für
jeden ichuldigcn Militär, der sich und für jedes
Misstraue», das hier ein Volksvertreter ausdrückt.
Die Beunruhigung im Volke ist ungeheuer! Das
wissen >v i r doch am Besten, die sie gemacht haben
und noch immer daran arbeiten, sie zn verbreiten.
Meine Herren. >vir sind gute Patrioten, wir stehen
treu zur verfassungsmäßigen Regierung, so lange
sie thut was wir wollen; wir sind eine staats-
erhaltende Partei. Aber das ist klar, das; es
uns lieber wäre, das ganze deutsche Vaterland
ginge in die Binsen, als das; unsereiner nicht
wieder gewählt tvürde, zumal in den Landtag,
>vo es Diäten gibt. Und darum müssen nur das
beunruhigte Volk vertreten, d. h. wir müssen das
Volk zuerst beunruhigen und dann vertreten,
denn wenn es nicht beunruhigt ist, merkt es ja
gar nicht, das; es vertreten wird. Die Manöver
waren auch in politischer Beziehung ei» Ver-
brechen. Wenn das katholische Frankreich mit
dem, wenn auch irr- so doch strenggläubigen Ruß-
land lärmende Verbrüderung feiert, und wenn diese
beiden Staaten große Manöver abhalten, so ist
das was ganz Anderes. Die Leute haben unsere
Shmpathie. Aber Deutschland soll hübsch ruhig
sitzen und froh sein, wenn ihm nichts geschieht.
Das Ansehen der Armee ist uns glcichgütig und
jedenfalls haben wir als Abgeordnete das ver-
fassungsmäßige Recht, sie bei jeder Gelegenheit
herabznwürdigen und zn discreditircn — ebenso
gut wie die Sozialdemokraten. Ebenso haben
ivir das Recht, den deutschen Bundesseldherrn zn
verdächtigen, selbst wenn er unserem Lande und
unseren Fürsten Liebenswürdigkeiten erweist.
Dann sogar erst recht. Unsere Reservatrechte sind
so unantastbar, das; wir sie einfach immer als
gefährdet betrachten müssen. Der König von
Preußen. . .

Der Kriegsminister: Es ist unzulässig,
die allerhöchste Person in die Debatte zu ziehen.

Abg. v. der Vogelweid' (Centrum): Ich
habe von dieser allerhöchsten Person mit keinem
Wort sprechen hören. Da müßte ich denn doch
ans den Ohren sitzen.

Der Kriegsminister: Lange genug.

Abg. v. der Vogelweid': Ich muß schon
sehr bitten....

Der Kriegsmiilister: Ich wollte sagen:
Lange genug hat Wortcrcr davon gesprochen,
daß Sie es hätten hören können.

Di'. Worterer: Ruhe! Ich spreche! Ma-
növer sind überhaupt vollkommen unnütz. Neh-
men Sie sich doch das Heer des Centrums
zum Beispiel. Das hält nie Manöver ab und
ist doch so unüberwindlich, das; die Götter
selbst vergebens gegen uns kämpfen.
Außerdem ist es gar nicht gut, wenn ein Heer
gar zn sehr ausgebildet wird. Wenn das Volk
nur Vertrauen zu seinen Abgeordneten hat, das
ist die Hauptsache! Und wenn Deutschland wirk-
lich einmal in einem Kriege verhauen wiirde —
glauben Sie, das; dies Sr. Heiligkeit in Rom
iücht ein großes Vergnügen machen würde? Und
wir, wir würden dann erst recht fortfahren, den
Staat ans unsere Art zu erhalten, denn wir sind
eine staatserhaltcnde Partei. Freilich, wenn die
Regierung glaubt, wir seien verpflichtet, ihr alle
die Mittel zu beivilligen, die wir vor unserm Ge-
wissen für nöthig halten, ist sic auf dem Holz-
wege. Was der Centrumsabgeordnete bewilligt,
ist einfach Gnade, Güte, Gefälligkeit, Herab-
lassung, Barmherzigkeit, nicht genug zu würdig-
endes Entgegenkommen. Mit der einfachen Wider-
legung unserer Anklagen seitens des Kriegsmini-
sters ist es nicht gethan. Alan gebe unserer Partei
erst Alles, was sic haben will, die Aufhebung
des Placct, die Jesuiten, die Liccnz zum Ablaß-
handel, die Schulen, die Beichtzettelpslicht aller
Staatsbürger, das Recht, Juden, Protestanten
und Freimaurer zu verbrennen, daS Verbot der
liberalen Zeitungen, die Aufhebung der Civilehe
». s. w., man erfülle uns Abgeordneten der gro-
ßen, heiligen Centrnmspartei alle unsere persön-
lichen Wünsche, dann werden wir schließlich gar
keine solchen Anklagen mehr zu erheben brauchen.
Aber so lange wir noch nicht Alles haben, ver-
treten wir das beunruhigte Volk. Hiebei bemerke
ich gleich, daß ich demnächst noch einige Anträge
zn stellen habe bezüglich der Abgabe von Frei-

bier und Freiwürsten für die Abgeordneten im
Hofbräuhaus, freien Eintritts in die Theater und
Tingeltangel für je Mann, Frau, Schwieger-
mutter und sieben Kinder oder sonstige Ange-
hörige, Freifahrt ans der Trambahn und in den
Droschken, freier Kleider und Stiefel, Freipltttzen
in allen Instituten und Bildungsanstalten, Be-
freiung von den Steuern und Verdoppelung der
Diäten wegen der theure» Zeiten und Freitisches
in der Landtagsrestauration. Und um noch ein-
mal ans militärische Angelegenheiten zn kommen,
so bin ich gerne bereit, zn meinen übrigen Bür-
den auch noch die eines Vortragenden Rathes im
Kricgsministerinm zn übernehmen, wenn sie gut
honorirt wird. Vielleicht kann mir der Herr Mi-
nister des Innern auch Ausschluß geben über
eine frcigewordenc Kaminfegerconeessivn, um die
ich mich zn bewerben gedenke. Im klebrigen muß
ich dringend ersuchen, daß solche Dinge, wie die
Kaisermanöver, nicht wieder Vorkommen. Ich
habe gesprochen! Der Doktor Worterer! Loeutus
suiii! Schluß!

Der Mictzl, der Teppl (auf der Galerie):
Ah, der hat's ehana amal hing'sagt, so dumm!

Der Hansl, der Girat: So dumm!

Di». S. Igel (furchtbar wild): Bitte, meine
Herren, lachen Sie doch nicht immer! Wenn ich
auftrete im Reichstag oder Landtag, dann lacht
immer ein ganzes Kaiserthum. Auch in den Kreisen
der Bauern, die ich gefangen habe, ist die Äe-
unruhignng kolossal. Da sind zum Beispiel die
F l n r s ch ä d e n. Das ganze Eigenthum der armen
Leute ist zerstört. Kein Halm wächst mehr auf
den Wiesen, trostlos blickt der Landmann, um
seine Nahrung gebracht, ans die von preußischen
Commißstieseln zertrampelten Felder, wo sonst
sein Hcn wuchs.

Der Kriegsminister: Aber die Leute sind
ja froh uni die Flurschäden, sie machen ja ein
Geschäft damit.

Dr. S. Igel: Das meine ich ja eben.

Warum beschränkt man die Flurschäden ans einige
Grenzdistrikte mit halbpreußischer Bevölkerung?
Ich verlange die Flurschäden für das ganze
Land, für die Bahern. Natürlich ist es Heuer
so gemacht worden, daß auch da die Preußen
den Rahm abschöpsten. Alles Gute nehmen sie
für sich, alles Böse kommt von ihnen! Aus
Berlin ist die Reblaus zu uns gekommen, der
Coloradokäfer, der Militarismus, die Juden,
die Handelsverträge, die Diphtherie ist durch das
preußische Serum cingeschleppt worden, von
Berlin haben wir die Pickelhauben gekriegt, die
Nonne, den Borkenkäfer, den Impfzwang, die
Gerichtsvollzieher, das Strafgesetzbuch, die In-
fluenza, die Lanzen beim Militär, Alles, Alles!
Jeder Mensch, den ich nicht leiden kann, ist ein
Preuße oder ein Jude! Sogar die Hochwasser-
schäden verdanken wir den Preußen. Durch die
Ueberhebnng Preußcns ist das Wasser, das
es in das schmutzige, hungrige Preußen herunter
geregnet hat. nach Bayern 'zu abgeflossen und
bat hier unfern Bauern die Aecker verwüstet.
Der bayerische Regen ist nicht so naß und so
gefährlich, wie der preußische. Die ganzen Kaiser-
manöver waren nichts weniger, als hie halbe
Annexion Bayerns durch Preußen. Gemerkt habe
es freilich blos ich. Sie wußten ja gar nicht,
in welcher Gefahr Sic schwebten, als der König
von Preußen die bayerische Armee commandirte.
Wenn er nun mit Front gegen die Ostsee
„vorivärts marsch!" commandirt und nicht mehr
„Halt!" gerufen hätte, bis unsere Leute in» Atcer
gefallen wären, was dann? Dann wäre unsere
ganze Armee hingemordet und Bayern wehrlos
den verschlagenen Preußen ansgeliefert gewesen.
Lachen Sie nicht, meine Herren! Ich habe schon
ganz andere Sachen behauptet. Als ich neulich
sagte, daß die Manöver nur dazu gemacht waren,
da;; gewisse hohe Damen Maulaffen feil halten
konnten, hatJcmnnd einen beleidigendenZwischen-
rus gethan. Er nannte den Namen eines zum

Dreschen benützten landwirthschastlichen Instru-
ments. Der Herr Präsident hat mich nicht ge-
schützt gegen dieseBeleidignng. Das ist empörend.
Wenn man nicht einmal mehr unter dem Schutze
seiner Abgeordnetenwürde ein Paar Prenßinnen
insnltiren dürste! Lächerbar! Vom Militär ver-
stehen unsere Generäle nichts! Manöver sind
ein Blödsinn! Die Verpflegung war so schlecht,
das; die Leute zum Kannibalismus greifen mußten,
Vordermann und Hintermann fraßen sich gegen-
seitig ans, um sich dem Lande zn erhalten. Drei
bayerische Armeecorps wurden durch einen Lieute-
nant in einen Sumpf geführt, wo sie elendiglich
nmkamen. Vom 3. schweren Reiterregiment
kamen sämmtliche Pferde mit gebrochenen Beinen
nach Hause. Ein Ärtillerieregimenl wurde von
einem preußischen Radfahrer niedergefahren,
Mannschaften und Pferde blieben tobt, die Kanonen
waren verbogen. Der Radfahrer fuhr weiter,
ohne auch nur umzusehen. Zwei Jnfanterie-
rcgimenter sind überhaupt spurlos verschwun-
den. Ein Militärzug kam durch die Ungeschick-
lichkeit eines preußischen Lokomotivführers nach
Frankreich statt ins Manöverterrain und schmach-
tet jetzt dort in den Kasematten einer Festung.
Ein anderer Militärzug, der bei Hanau über
die Oder wollte, ertrank mit Mann und Maus,
weil keine Eisenbahnbrückc da war.

Die preußischen Gepäck- und Munitionswagen
wurden ausschließlich von bayerischen Soldaten
gezogen, die schaarenivcise unter den Knute» hieben
der Borussen zusammenbrachen.

Der Kriegsminister: Bagage —

D r. S. Igel: Herr Präsident! Herr
Präsident! Herr Präsident!

Der Kriegsminister: Ich wollte nur sagen,
Bagagewagen werden nur durch Pferde, nie durch
Mannschaften gezogen.

Di'. S. Igel: Die preußischen Soldaten,
die ja nie was zu essen bekommen, fielen so über
die Fcldfrüchte in Bayern her, daß man, wie ich
bestinimt weiß, daß man eigene Feldwachen aus-
stellen mußte, um sie im Zaume zu halten. Eine
bayrische Abtheilung mußte an einem einzigen
Tage 20 Stunden marschiren. Daß preußische
Offiziere bayerische Soldaten niederknallten, um,
wie sie sagten, ihre Revolver zu probiren, kam
mehr als hundertmal vor. Die Unfähigkeit
preußischer Generale zeigte sich in erschrecklicher
Weise. Aber sobald die Bayern daran waren,
zu siegen, wurde immer schnell das Gefecht ab-
gebrochen. Ein Preußisches Armeecorps verlief
sich bis nach Tirol, eine Abtheilung bis nach
Mesopotamien. Ich könnte Stunden lang so
weiter reden, ohne zu Ende zu kommen. Natürlich
wird sich der Herr.Kriegsminister auf die Keulen
schläge meiner Anklagen hin herauswuzeln wollen.
Aber, was die Herren am Regierungstische Vor-
bringen wollen, Alles ist erstunken und erlogen.
Wir wissen, wie das geniacht wird. Glauben
thun ihnen weder „unsere Wähler, das Volk,
noch wir, die Volksvertreter!"

Der Mictzl: Der hat's ehana aber so dumm
hing'sagt!

Der Wastl: So dumm!

Der Kriegsminister (erhebt sich zur Ent-
gegnung).

(Oben auf der Galerie stupst der Hetz-Kaplan
die Bauern.)

Hetz-Kaplan: Kommt's Bub'n, jetzt geh'»
mir. Jetzt kinimt dv nix mehr, als daß si da
Kriegsminister rausschwindelt. Jetza gehn ma
im „blauen Bock." Da gibt's die besten Weiß
würscht hat der Herr Doktor Worterer g'sagt.

Das Volk bricht auf.

Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. v. OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratenteil: G. EICHMANN • sämmtlich in München

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