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1898

JUGEND

Nr. 22

Gertrud Kleinhempel (München)

Beobachter und Visionäre. Hallström ist ei»
Großstadtkind, Hansson ans dem Land geboren.
Hansson geht, glaube ich, von der Beobachtung
aus; doch während er seinen Gegenstand fixirt,
weicht die Erscheinung immer, mehr zurück, bis
sie in der Landschaft verschwimntt und ver-
schwindet und eins wird mit Boden, Luft und
Licht. Bei Hallström aber werden Gefühle und
Gedanken, Milieus und Zeiten zu Gestalten, ztt
Symbole», die leben und erleben. Er schildert
immer nur einen Moment, ein Schicksal, das
sich vollendet; aber es gibt keinen Anfang, kein
Ende bei ihm. Hinter dem sichtbaren, gelebten
Leben steht ein linsichtbares, Unfaßbares, das
die eigentliche Realität ist, das die Welt Be-
wegende, doch selbst Unwandelbare, das von
Urbcginn ist und von Ewigkeit zu Ewigkeit sein
wird. Das Furchtbare, Große, Verschwiegene, in
Worten nicht Auszudrückende ist die Poesie von
Hallströms Skizzen und strömt als Stiunnung
aus Klang und Rhythmus. Ola Hansson je-
doch sicht die Natur nie so abstract als Gott,
als Schicksal, Nothwendigkeit, er sicht sie indivi-
dualisirt, als Landschaft, Heimat vor sich. Sie
ist lebendig, beseelt, zugleich wandelbar und ewig,
doch mütterlich ihm nah, — ein Stück von ihm,
wie er ein Stück von ihr. Sie spricht zu ihm
iit ihren Stimmungen, die er versteht wie seine
eigenen Gefühle; sie spricht aus ihm; denn er
ist ihr Produkt, ist sie selbst, — nur eine Er-
scheinungsform der Landschaft... Mit Hansson
und Hallström ist die Skizze in der Form eigent-
lich schon über sich hinausgeschritten. Sie bleibt
Skizze, weil sic Momenterlebnisse aus einer Ge-
sammtexistcnz hcraushebt, aber diese Momente

sind mit den subtilsten Lebensextracten beladen;
sie müssen aufs zarteste und genaueste ausgesührt
sein. Sie sind darin der Gegenpol des skizzen-
haften Stils, der nur andeutct, die springenden
Punkte der Entwicklung einer Handlung, eines
Charakters angibt — jenes Stils, in dem große
Erzähler wie Giovanni Berga, JonaS Lic, Theo-
dor Storm, Fontane ihre unvergleichlichen
Triumphe feiern.

a f f i o tt

Mein Lieb, ich träumte seltsam heut:
wir zogen hin wie Bcttelleut'

An öden Straßenraincn,

Und wo wir kamen an ein Thor,

Dort schob man uns den Riegel vor,

Und warf nach uns mir Steinen.

Und wo wir uns zur Rast gesetzt.

Da ward der Hund auf uns gehetzt.

Es schallten durch die Gaste»

Uns Flüche nach und Hohngeschrei:

„Auf Erden seid ihr vogclfrei,

Und Gott hat euch verlassenI"

wir schritten traurig Hand in Hand
Dahin durch nächtlich stilles Land
Und schneebedeckte Haiden.

Auf unser» Häuptern war ein Rran;
Von lichtem, gold'ncm Himmelsglanz, —
So strahlten unsere Leiden.

Paul Althos (Alice Gurschner).

„Modistin“

Von Elsbeth M ey er - Fö rs ter-,

Die Modistin hat einen Papagei. Es ist ein
schönes, eigenwilliges Thier, mit einem
grünen Gefieder, runden, raschen Augen und
dem Schnabel und der Klaue eines bösen Geiers.

Er sitzt auf der Holzstange des Messing-
bauers , und schaut von seinem erhöhten
Posten aus bald in die Stube hinab, bald in
die belebte Potsdamerstrasse hinunter.

Und wenn vis-ä-vis am offenen Fenstei
einer prächtigen Miethskaserne' ein Kanarien-
vogel piept, wird er ärgerlich; er kann nichts
Halbes leiden, nichts Unvollkommenes, er
verachtet dieses Piepsen und FrühlingSzwit-
schern, das gleichsam aus einem künstlichen
Röhrchen zu dringen scheint; frei von der
Leber weg soll der Ton kommen, laut und
den Ohren vernehmlich; — er selbst zeigt
an, wie man es zu machen hat; er bläst die
Federn auf, neigt ein wenig den Kopf, so
dass es aussieht als schiele er zur Decke
empor, und nun stösst er einen Schrei aus,
kräftig und gesund, einen Ton so klar und
grell, dass man unwillkürlich zusammenzuckt.

Aber die Modistin liebt dieses Geschrei
das ihre kleine Wohnung mit Leben erfüllt;
wie träg fallen die Sommersonnenstrahlen
in’s Zimmer, wie müde und welk sieht der
Rhododendron auf dem kleinen Balkon aus,
trotzdem sie ihn so fleissig begiesst. Sie tritt
auf diesen winzigen Balkon und blickt die
Strasse entlang. Das wogt und wirrt, und ist

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Register
Paul Althof: Passion
Marie Frf. v. Ebner-Eschenbach geb. Gräfin Dubsky: Aphorismen
Gertrud Kleinhempel: Zierrahmen
Elsbeth Meyer-Förster geb. Blaschke: Modistin
 
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