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vor der F)ocb?eit

Skizze von Hermann Faber

ls Or. Gebhard nach feiner Vorlesung
ron der Universität heimkam. fand er
auf seinem Schreibtisch eine Rohrpostkarte.
Ueberrascht besah er sich die Adresse. Das
waren ja die Schriftzüge seines ehemaligen
Studienfreundes Keller, der sich erst vor Kur-
zem nach gutbestandenem Assessor-Examen
von ihm verabschiedet hatte, um sofort da-
heim in die Kanzlei eines älteren Rechts-
anwalts einzutreten und endlich seine Ju-
gendliebe heirathen zu können. Schon näch-
sten Sonntag sollte die Hochzeit sein. Geb-
hard hatte sich's notiert, damit er nicht
das Gratulationstelegramm vergesse, was
führte den Freund fünf Tage vor der
Trauung mit einem Male wieder zurück
nach Berlin? Der knappe Inhalt der Karte
gab auf seine Frage keine Antwort. Mit
steigender Verwunderung las er:

„Lieber GebhardI Ich ersuche Sie drin-
gend, gleich nach Empfang dieser Karte sich
bei mir einfinden zu wollen.

Ihr Karl Keller."

So gern er diesen kalten Dezemberabend
zuhause bei der Arbeit an seinem Werk
verbracht hätte, da gab es kein Besinnen
und Zögern. Noch bevor die Schneeflocken
auf seinem Ueberzieher geschmolzen waren,
stand er wieder auf der Straße und machte
sich auf den weg nach Keller's Wohnung.
Es war dieselbe, die der Freund auch vor
dein Examen inne gehabt hatte. Im Haus-
flur ging er an einer Gruppe eifrig redender
Männer und Frauen vorüber. Aber das
fiel ihm so wenig auf, wie die Schaar ge-
beimnißvoll miteinander aus der Treppe
flüsternder Dienstmädchen, an denen er sich
vorbeidrängen mußte und die ihm neu-
gierig nachsahen. Die Lorridorthüre der
dritten Etage stand offen, und er konnte
eintreten, ohne zu klingeln. Im langen
schmalen, durch eine Gellampe spärlich er-
leuchteten Gang kam ihm die wirthin ent-
gegen. wie sie ihn erkannte, faßte sie ihn
mit zitternden fänden bei beiden Armen,
und rief ihm mit erregter Stimme zu:

„Iott sei Dank, daß Sie kommen!"

Er sah ihr betroffen ins verstörte Gesicht:

„was gibt's denn?"

„Ja wissen Sie's denn noch nich?"

„was denn?"

„Iotte doch! Der Herr Affeffer! Er
hat sich ein Leid anjethan!"

Gebhard fuhr erbebend zurück: „Todt?"

Frau Schulz wischte sich die Augen: „Schuß
durch die Schläfe! Mitten rin! Es war
nischt mehr zu machen. Gleich dot, sagte
der Arzt."

„Aber ich habe doch noch eben eine
Rohrpostkarte von ihm erhalten, daß ich
zu ihm kommen soll?!"

Die Alte nickte:

„Ich habe sie selbst zur Post jebracht.
Und währenddem ich fort bin, da hat er's
jethan."

Er ging ihr voraus in's Zimmer des
Freundes. Erschüttert stand er vor dem
Bett, auf das sie den Todten gelegt hatten.
Aus dem feingeschnittenen, bleichen Antlitz
und dem weichen, blonden Schnurrbart
waren alle Blutspuren fortgewaschen, und
um die von der Kugel zerrissene Stirn hatte
der Arzt einen Verband gelegt.

„wann war er wieder nach Berlin ge-
kommen?" fragte Gebhard leise.

„Iestern Vormittag klingelt's, und wie
ich öffne — ich traue ja meinen Augen
nich — wer steht vor mir? der Herr Affeffer!
Ob er sein altes Zimmer wieder haben
kann, spricht er. Ja, sag ich, kennense!

Nämlich der Student, der jetzt drin wohnt,
hat schon Weihnachtsferien jemacht, und
ich denke mir: Du kannst doch die Stube
nur für ein paar Tage brauchen, weil Du
ja nu bald Hochzeit machst..."

„Und wie fanden Sie sein Wesen, sein
Aussehen?" unterbrach er sie.

„Sehr ernst und aufjeregt kam er mir
vor, und jeredet hat er nich mehr, als was
sich jehert. Ich denke mir: Soll das viel-
leicht nich seine Richtigkeit haben mit der
Braut? Und ich fasse mir ein Herz und
frage nach dem Befinden vom Fräulein.
Danke, sagt er, jut jeht's ihr, sehr jut, und
zeigt mir ein neues Bild von ihr und be-
trachtetes dann selber, und wie ich mir
umdrehe, und er denkt, ich sehe nischt, küßt
er's und stellt's auf den Schreibtisch."

„Sie haben also keine Ahnung?"

„Schulden kann er doch nich haben! So
pinktlich soll mir jeder die Miethe am ersten
auf den Tisch lejen! Und nach den Meechens
hat der Mann ja nich jefragt. Nich in de
Hand! So solid wie der Mann war!
wenn er sich nich mal jrade mit Ihnen
verabredet hat, war er jeden Abend zu-
hause, und ich Hab ihm Thee kochen müssen
und Aufschnitt einholen — for finf Iroschen,
und er hat auf's Examen jearbeitet, aber
feste, die halbe Nacht durch, ville zu vill."

„Hat er denn gar nichts Schriftliches
hinterlassen? Keinen Brief?"

„Danach Hab' ich mir noch jar nich um-
jeseh'n," erwiderte die Alte und ging an
den Schreibtisch, um die Lampe anzuzünden.

Er war ihr gefolgt und rief nun, ein
großes versiegelles Eouvert fassend und be-
trachtend: „Da ist was — an mich! Ich
will es gleich hier lesen, vermuthlich bat
er mich deshalb, schnell hierher zu kommen."

„wollense nich lieber driben im Zim-
mer... ?"

„Nein, danke!" fiel er ihr ins Wort
„lassen Sie mich nur hier lesen!"

Frau Schulz zog sich zurück. Gebhard
erbrach das Eouvert. von den mehreren
Schriftstücken, die es enthielt, las er zuerst
den kurzen Brief, der an ihn selbst ge-
richtet war:

„Lieber Freund: Ich weiß, daß Sie nach
Empfang der Karte so schnell als möglich
kommen werden. Ich danke Ihnen herz-
lich dafür. Aber ich habe Sie gerufen, um
noch einen größeren, schwereren Dienst von
Ihnen zu erbitten. Fahren Sie, wenn ir-
gend möglich, noch heute Nacht oder späte-
stens morgen früh mit dem ersten Zug
in meine Vaterstadt. Suchen Sie meinen
Schwiegervater auf, aber nicht in seiner
Wohnung, sondern im Bureau. Bereiten
Sie ihn behutsam, schonend vor und über-
geben Sie ihm dann das für ihn bestimmte
beiliegende Schriftstück — ich schließe es
nicht, damit Sie's vorher lesen — und den
geschlossenen Abschiedsbrief an meine Braut.
Verzeihen Sie, daß ich soviel Aufregung und
Unruhe in Ihr stilles Gelehrten leben bringe
und Sie mit so widrigen Aufträgen von
Ihrer Arbeit aufstöre. Aber ich weiß, wenn
auch Schicksal und Beruf uns nach ver-
schiedenen Richtungen von einander zogen,
Ihre Freundschaft ist bereit, mir diesen
letzten Dienst zu erweisen. Haben Sie
wärmsten, herzlichsten Dank dafür! Leben
Sie wohl! wäre ich so reich an Gedanken
und Ideen, an Plänen und Aufgaben, wie
Sie, vielleicht hätte ich daraus die Kraft
geschöpft, weiterzuleben. Alles Gute auf
Ihren weg, der Sie bald zu der Stellung
führen muß, auf die Sie Ihre wiffen-



MÖt

Jungfräulich

Ad. Hoher (Pasing)

Z08
Register
Adolf Holzer: Jungfräulich
Hermann Faber: Vor der Hochzeit
 
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