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Nr. 17

J UGEND

1905

gewesen, wenn sie bei mir geblieben wäre; wie
ruhig und stetig und gesammelt hätte ich arbeiten
und mich zum Examen vorbereiten können, wenn
ich sie in meiner. Nähe gewußt hätte! Und so,
was habe ich durchgemacht!

Es hat mir nichts gebolfen, daß ich täglich
lange Briefe ihr schrieb und von ihr empfing;
daß ich ihr Bild mit heißen fänden umklammerte
und mit Küssen bedeckte und zu ihm betete um
ein keusches Herz und reine Gedanken und den
Frieden meiner Seele wie ein frommer Kloster-
bruder zum Muttergottesbild.

Ach, lieber Vater, wie soll ich Dir meinen
Zustand beschreiben? Wenn Du Deine Fugend
nicht vergessen hast, wirst Du mich verstehen.

Am Ende der Kainmergericbtsflation waren
meine Nerven dermaßen zerrüttet, daß meine
Kollegen mir ernstlich abriethen, mich zum Examen
zu melden. Ich wollte nichts davon hören. , Im
Gegentheil, ich nahm mir vor, die schriftlichen
Arbeiten, wenn möglich, schon vor dem Ablauf
der zulässigen Fristen abzuliefern und mich dann
sofort für'die mündliche Prüfung zur Verfügung
zu stellen, um so viel Zeit als möglich zu gewinnen
und so schnell es ging, das ersehnte Ziel zu er-
reichen. In der Zeit, wo ich die theoretische und
praktische Aufgabe bearbeitete, spann ich mich ganz
in meine Klause ein. Ich fürchtete mich vor der
Straße; denn woran ich früher achtlos vorbeige-
gangen war, da blieben jetzt meine Blicke haften;
was mir ehedem nur Ekel oder Mitleid eingeflößt
hatte, das reizte und rief, und die lockenden Ge-
stalten folgten mir in meine Bude, tauchten her-
vor aus den aufgeschlagenen Lehrbüchern, flatterten
auf zwischen den Seiten meiner Arbeit, umtanzten
und umgaukelten mich von allen Seiten, schwebten
um Marthas Bild, lösten ihr das Gewand, ent-
kleideten sie vor meinen lüsternen Augen und
ließen mich nicht los, wenn ich sie auch mit
Grauen abschütteln, mit heißem Gebet verjagen
wollte. Sank ich endlich erschöpft und todmüde
auf mein Lager, so wehrten sie mir den Schlaf
oder umarmten mich in ruhelos wilden Träumen,
aus denen ich am Morgen ohne Erquickung mit
schwerem Kopfe erwachte.

Da kam die Berufung zum mündlichen Examen.
Es galt, mir noch einmal den ganzen gewaltigen
Wissensstoff in's Gedächtniß zu rusen. Dazu ge-
hörte eine Sammlung, deren ich nicht mehr fähig
war; eine Spannkraft, über die ich nicht mehr
verfügte. Ick glaubte mich in meinen Kenntnissen
nicht mehr sicher; eine fieberheiße, verzweifelte
Angst packte mich, wenn ich durchfiele und zu-
rückgestellt würde?! vielleicht noch ein ganzes
Jahr diese Sehnsucht nach Martha! Noch ein
Jahr einsam, von ihr getrennt! Nein, dahin
durste es nicht kommen, das hielte ich nicht aus!
vor allem mußte ich jetzt meinen Schlaf wieder-
finden, einen langen, traümlosen Schlaf. Davon
versprach ich mir Beruhigung meiner Nerven und
Frische für die nächste Arbeitswoche. Statt mich,
wie allabendlich, durch viele Taffen Thee künstlich
wach und rege zu halten, ging ich aus, nahm
das Abendbrot in einem Restaurant, trank mehrere
Gläser schweren Biers und machte mich dann
auf den Heimweg, um mich gleich zur Ruhe zu
legen. Aber der Alkohol, auf den ich lange Zeit
verzichtet hatte, weil ich ihn fürchtete, schien
jetzt alle Würden niederzureißen, in die meine
Vernunft die wildeil Sinne eingefangen hatte.
Ausgelassen stürmten sie mit mir fort, hinaus in's
Freie. Umsonst rief ich, um sie zu bannen, m'r
Martha's Bild zu Hilfe. Aber meine Liebe, ftc&
mir, wie so oft, zu helfen, war mit ihnen im
Bunde. Ich sah sie, wie ich sie nicht sehen wollte;
Als jetzt eine Stimme hinter mir her lispelt und
lockt, bilde ich mir ein, es ist ihre Stimme; es
ist ihr warmer Athem, der mich anweht; der
Frauenarm, der meinen streift, gehört ihr. Sie
ist's, der ich auf der dunkeln Straße folge, in deren
Pfützen das trübe Laternenlicht flackert, durch
einen finstern Thorbogen, über einen dämmer-
grauen Hof, eine schmale, schwarze Hintertreppe

binauf irr eine Kammer, in die nur aus einem
Glasfenster hoch über der Thür blaß ein ge-
spenstischer Lichtschein fällt, wie sie hell machen
will, untersag ich's in barschem Ton. Ich will
nicht wissen, wo ich bin; nichts sehen und höreil...

wenn ich mich jetzt zwinge, nock einmal deil
Blick zurückzuwenden nach jenen flüchtigeil Mi-
nuten, weiß ich: ich biil Martha treu geblieben
und fühle Schuld uild Schain nur vor jenem
armen unbekannten Wesen, das kam, ich weiß
ilicht voll wo; das giilg, ich weiß nicht wohin;
das aussah, ich weiß nicht wie; dem ich Feinen
Blick uild kein Wort göililte; das ich in deil
Schinutz zog, Uin mich bann mit Ekel voll der
Besudeluilg abzuweilden.

Sie hat sich dafür gerächt!

Kurze Zeit, nachdenl ich so glückselig zu Euch
zurückkehrte, Hab ich ihre Rache erfahren. Erst
wollte ich's nicht glaubeil. Es schien mir so
lächerlich uild grotesk und uniiiöglich, daß das
gailze Glück und Leben eines Menschen an dieser
eitlen Minute hängen sollte. Aber schließlich
konnte ich mich ilicht mehr darüber täuscheil. Eine
thörichte, verhängilißvolle Scheu hielt mich ab,
in der kleinen Stadt, wo meine verlobuilg so
bekanilt war, mich einent tüchtigen Arzt anzu-
vertrauen. Ich ließ mich mit (Quacksalbern ein
uild verfuhr nach schwiildelhaften Zeitungsinse-
raten, die Vollbilds verdarben, was vielleicht noch
zu retten gewesen wäre.

Zu spät reiste ich hierher uild konsultierte
einen Arzt.

Er hat nlir reinen wein eingeschenkt. Aus
kalten Augen sah er nlich an und sagte danil
trocken: „In den nächsteil Jahren ist natürlich
ail eine peirath nicht zu denkeil, uild ich an Ihrer
Stelle würde mir's überhaupt ganz aus dem
Sinn schlagen."

Lieber Vater! Damit ist mein Schicksal be-
siegelt.

Ich bin ein Durchschnittsmensch. So weit ich
ausschaue, ich entdecke Feine neue Hoffnung in
meinem Leben, die mir die zerstörte ersetzt, wozu
einsam ein zweck- und glückloses Dasein fort-
spinnen, in dem es für mich nichts zu thun gibt,
was nicht an meiiler Stelle tausend Andere eben-
sogut und noch besser zu Stande bringen? Besser
ist's auch, ich befreie Martha durch ein rasches
Ende, als ich halte in Scham und Furcht sie lange,
ungewisse Jahre hin, um uns dann vielleicht
Siechthum in einer kinderlosen Ehe zu bescheeren.
Martha ist jung, sie wird den Verlust verschmerzen.
Ich selber bitte sie darum in meiilem Abschieds-
brief; ich schreibe ihr, daß eine unheilbare Krank-
heit, die mir die Ehe verbietet, inich aus dem
Leben treibt. Meinetwegen magst Du ihr später
einmal hier mein Schreiben an Dich zu leseil
geben, wenn sie erst Mutter ist, soll sie die Ge-
fahr kennen lerneil, die ihren Söhnen droht —
und ihren Töchtern. Der Hausarzt soll ihren
Söhnen die Augen öffnen, bevor sie das Eltern-
haus verlassen, und die Freier ins Gebet nehinen,
die die Töchter heimführen wollen. Seine welt-
liche Seelsorge wird mehr Unheil verhüten als
geistlicher Rath. Es ist mein letzter wuilsch, den
ich ihr ausspreche: sie soll das Glück ilicht zurück-
weisen, wenn es all ihre Thür klopft. Denkt nicht
schlecht von mir, liebe Eltern! Bewahrt inir
Eure Achtuilg uild Liebe! In diesem vertraueil

Z iO

will ich ruhig sterben, habt für all Eure Güte
innigsten, herzlichsten Dailk! verzeiht mir, lebt
wohl!"

Gebhard stützie die hohe Stirn in die Itaub
und sah aus tiefeil Gingen in die Ferne.

Erst nach einer weile raffte er sich auf nnb
trat an das Bett des Todlen. Kopfschüttelnd sprach
er für sich:

„Das war nun Eiiler, der fein Leben mit
sittlichem Ernst zu führeil bemüht war!"

Er athmete tief auf und nahm deil put, um
zu gehen und dein Freuilde deil letzten, schweren
Dieilst zu leisteil.

NNorneil

Schwankende Lrlen,

Luch hangen bebend an der Blätter Spitzen
Die letzten Regentropfen — ein ßefebmeid

von Perlen.

Sonnige Lichter,

Sie huschen durchs ßezweig Luch und erzählen
Lin Llfenmärchen heimlich leis dem Dichter.

Eignes tjorfeb

-Liebe Jugend I

Ein Unteroffizier als „Nichtschwimmer" drängt
sich unbefugter weise in das Bassin für ..Frei-
schwinlmer." Als er hier untergeht, fpriilgt ein
muthiger Kanonier zur Rettuilg nach und bringt
ihn uilter eigener Lebeilsgefahr sicher an Laild.
Der für seine Leute stets forgettbe Lompagnie-
chef reicht den braven Soldaten auf dem Dienst-
weg zur Rettuilgsmedaille beim Bataillon ein.
Der scholl etwas verwitterte Bataillonskomman-
deur schickt nach längerem, ungewohntein Nach-
denken die Eingabe mit folgender klassischen Be-
merkung zurück:

„Da der Unteroffizier unbefugter weise in dem
Bassin für Freischwimmer gebadet hat, so kaiin
der Kanonier für die Rettung eines derartig leicht-
sinnigeil und indisziplinierten Vorgesetzteil höheren
Grts für die Medaille nicht in Vorschlag gebracht
werden."

*

vergangenen Soniltag wartete ich in Löln
auf die Straßenbahn. Neben mir standen zwei
Herren, die nach Kleidung und Gesicht den besseren
Ständeil ailzugehören schienen. Plötzlich hörte ich,
wie der eine zum anderen sagte: „weißt Du, ich
stehe keineswegs auf einem einseitigeil Standpunkt
und ich habe gar nichts dagegen, weiin einer
einmal mit einem Evangelischen verkehrt, aber
entgegeilkommen darf mail diesen Leuten doch me!"

(0ern er-OK erkander-Aranzö ft sch

Die Fährleute am Brienzersee, gegeilüber deil
Gießbach-Wasserfällen, bieten den Fremden, die
kein Deutsch verstehen, die Ueberfahrt folgender-
inaßeil an:

„Voulez-vous farine1) zu den belleneil Schm
teildos?^) Pour deux francs stoßa mer äch obärp)"

,,fahren" auf Französisch. 2) belles chutes d’eaux.
3) Euch über.

Die höhere Tochter

Mama (im Landaufenthalt): „war das ilicht
eine Kuh, was ich soeben schreieil hörte?"

Tochter: „Ich glaube, betn Dialekt nach
wars eher ein Mchse!"
Register
[nicht signierter Beitrag]: Die höhere Tochter
[nicht signierter Beitrag]: Berner-Oberländer-Französisch
Agnes Horkh: Ritornell
Reinhold Hoberg: Katze
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
 
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