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Auf der Fährte

Robert Engels (München)

Spates Srkennen

%ls ich dich sah ?um ersten Was,

Mir war's, wie ein tiefes Besinnen,

^lks hätt' ich dich Längst schon im DiLdersaak
Hängen im Herren drinnen.

Dort hängt meiner Mutter und Vaters Bikd,
Wein Bruder und noch ein Rahmen,

Ein ÄngeLsläöpfchen, Lieb und miLd,

Doch das trug keinen Vamen.

Dacht' immer: mein totes Schwesterkein;
Das ward den ÄLtern genommen.

Sie sagten oft: ste starb gan^ KLein.

Statt ihrer bist du gekommen.

Da dacht' ich, so hätte sie dreingebLickt,
Wär sie ?um Deben genesen,

And Hab' mir ihr BiLd mit Rosen geschmückt.
Run weist ich erst, wer es gewesen. . .

Hugo Katuo

Strandgut

Ich liebe die Wege ohne Ziele und die
Ziele ohne Wege.

Von der Kenntniß der Frauen gilt viel-
leicht, was Lessing vom Trinker sagt: inan
kennt sie zu wenig oder zuviel, aber nie
genug.

Das Leiden ist am bittersten, wenn es
verdient ist; das Glück am süßesten, wenn
es unverdient ist.

Das; man sein Schicksal nicht so, wie
cs ideell verzeichnet ist, wie es seinen Mög-
lichkeiten nach sein könnte und sollte, erfüllt
— auch dies ist eine Art, sein Schicksal zu
erfüllen. 6. S.

Warum verdirbst du mieb, EAamr?

(Aus einem IyriTchen Roman „Krankheit und
Geneiung")

Warum verdirbst du mich, Natur, —-
Ich lieg' auf meinen Kuieeu
Und sehe sehnsuchtsstill und rein
In deine mächtigen Augen hinein,

Schnee, Schnee, Schnee auf heller Flur .. .

Ich liebe dich, Lebe»,

Das mich verwirft,

Wie ich wird dich niemand küssen,

Niemand inbrünstig umfangen müssen,

Die eisbereiften Baume bebe» . . .

Mit klingenden Schellen
Flieg ich thalab.

Rauscht es im sinkenden Abendlicht:

„Dies waidwuude Wild entrinnt mir nicht!"
Die Füchse in den Wäldern bellen .. .

fickgga iVrockctorfs

Der Charakter

Ich entsinne mich, daß mir dieses Wort schon
in meiner Kindheit immer einen ganz ungewöhnlicher:
und fremdartigen Eindruck machte. Charakter be-
deutete für mich damals noch etwas sehr Erstrebens-
werthes, etwas, was man unbedingt einmal besitze!:
müsse, ebenso wie zum Beispiel eine schöne Stellung
oder eine Frau oder sonst etwas Schönes und Gutes.
In unserem Hause — halt!, ich vergaß vorauszu-
schicken, daß ich der Sohn ehrenwerther, sogar
sehr ehrenwerther Leute bin.

Mein Vater ist Offizier, Hauptmann, und soll
ein Mann von strenger, sehr charaktervoller Ge-
sinnung sein. Gott, streng war er, das wußte
ich zu beurtheilen. Charaktervoll muß er auch
sein, da in unserer Stadt nur eine Stimme da-
rüber ist, daß man es bei dem Hauptmann Florian
Baron Meier mit einem „Charakter" zu thun habe.
Ich kann nicht beurtheilen, ob die Leute recht haben,
da mir — und dies ist das Merkwürdige — dieser
Begriff vollständig fehlt. Ich weiß nämlich über-
haupt noch nicht, was Charakter ist, obwohl in unserem
Hause das Wort ungemein häufig gebraucht wurde.
So hieß es, daß Onkel Ferdinand keinen Charakter,
Onkel Hermann einen schlechten, Tante Louise aber
einen sehr milden Charakter habe. Meinem älteren
Bruder, von dem ich manchen derben Puff abkriegte,
sagte man einen festen, meiner Schwester Irene,

die beim leisesten Zwicken oder Zopfziehen gleich
wild wurde und vor Wuth auf einem Beine tanzen
konnte, einen zornigen Charakter nach. Bei den
Mahlzeiten wurden im Laufe der Jahre fast alle
unsere Bekannte!: daraufhin untersucht, und wenn
auch nicht immer alle gleich derselben Meinung waren,
so kam man doch bald zu einen: sicheren Urtheil.
Darin waren aber alle gleich von Anfang an voll-
ständig einig, daß ich überhaupt keinen Charakter
habe. Papa sagte immer: „Du wirst genau wie
der Onkel Ferdinand, Du hast gar keinen Charakter.
Das ist," setzte er mit einem Seitenblick auf Manu:
hinzu, „so ein Familienstück von der mütterlichen
Verwandtschaft." Er hatte nämlich immer eine Wuth
auf einen Bruder der Mama, der als Maler ein
lockeres Leben führte. Mama konnte darüber oft
böse werden. Aber auch sie gab dann zu, daß ich
charakterlos sei.

Meine Eltern ließen es jedoch an keiner Muhe
mit mir fehlen, und als sie trotz genauesten
Suchens eben keinen Charakter an mir entdecken
konnten, wandten sie sich vertrauensvoll an die
würdigen Benediktinermönche im Convicte zu Seiten-
stetten, wo ich die erste Gymnasialklasse das erste-
mal mit bescheidenen:, das zweitemal mit sehr
gutem Erfolge bestand, worauf ich, nebenbei ge-
sagt, heute noch stolz bin. Wie es aber kan:, das;
meine Gymnasial-Professoren meinem Vater ein-
stimmig bestätigten, daß sein Sohn aber schon gar
keinen Charakter habe, will ich nun erzählen.

Wie es wohl in jeder Schule üblich ist, unter-
hielte!: auch wir im Seitenstettner Convicte einen
beständigen und sehr regen Tauschhandel, der sich
vom Mist- und Maikäfer, als dem kleinsten Werth-
gegenstand, bis zu falschen und echten Briefmarken,
Schmetterlingen, Muscheln, Angeln, Münzen und
Taschenmessern ausdehnte. Diese mannigfachen Na-
tur- und Kulturprodukte gegenseitig mit möglichstem
Vortheile anzubringen, bildete einen Hauptsport vor,
nach und während der Schulstunden. Ein gutes
Geschäft, zun: Beispiel der Umtausch von drei Nas-
hornkäfern, die in unseren Spargelbeeten massenhaft
vorkamen, gegen eine!: Ligusterschwärmer, die viel
seltener waren, gab der Religionsstunde etwas unge-
mein Anregendes. ..

Mein Banknachbar, Fritz Rimmel, hatte nnch
allerdings bei einer solchen Gelegenheit mit eine:
gefälschten Venezuela arg hineingelegt. Zehn Kreuze:
hatte er dafür verlangt und ich, in der Eile uns
Besorgniß, ein guter Kauf möchte mir entgehen,
hatte sie ihm sofort abgekauft. Unglücklicherwelle
sah nämlich Pater Franz Sales, der lange Franze.^,
wie wir ihn hießen, gerade immer auf mich he:,
so daß ich die Marke nicht genau prüfen konnte.

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Register
Frigga v. Brockdorff-Noder: Warum verdirbst Du mich, Natur?
Robert Engels: Auf der Fährte
Carry Baron Meier: Der Charakter
Hugo Salus: Spätes Erkennen
G. S.: Strandgut
 
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