Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hrauhungfern auf J'anö

daß zwischen Mann und Weib eine geistige Freund-
schaft möglich ist; geistige Freundschaft soll uns
fürs Leben verbinden, wie andere die sogenannte
Ehe. Du bist geschaffen, mich zu verstehen, die
Natur hat dich für mich geboren! Außerdem ist
ein solches Verhältnis distinguiert und erregt
Sensation!"

Mylli war mit allem einverstanden, und meh-
rere Wochen brillierte Cyllus Sternbald - Finster-
walde im Kreis seiner gleichgesinnten Freunde —
die Freundschaft war fest auf glühenden Haß und
gegenseitige Nichtachtung gegiündet — mit seiner
geistigen Freundin. Freilich war der Geist bei
ihr anscheinend zu Gunsten der Freundschaft et-
was stark zu kurz gekommen, aber die Differenz
glich sich bei ihm aus, denn bei ihm ließ sich ein
nicht unbeträchtliches Mauco hinsichtlich der Freund-
schaft konstatieren, während er sich aus soviel Geist
einschätzte, daß er damit Accumulatoren hätte füllen
und sie zur Versorgung der gesamten Menschheit
abgeben können, llcbrigens verstand er unter
Freundschaft im Grunde nur unbedingte Hingebung
an seine Person und bedingungs- und konkurrenz-
lose Verhimmelung seines Genies, während ihm
selbst dadurch das Recht gegeben wurde, die geistige
Freundin als willenlose Sklavin nach dem Wink
seiner Augen zu dirigieren. Doch gleichviel, Furore
machte die Sache in der Gesellschaft, und wenn
er, die Stirn in Denkerfalten gezogen, die Brauen
grübelnd hochgehobeu, mit einem unbeschreiblichen
Ausdrucke, den er aus dem „Theater der zwölf
Musen" mitgcbracht, von seiner geistigen Freundin
sprach, so lauschte alles in andächtiger Stille.

Doch eine herbe Erkenntnis ward ihm beschieden.
Kaum drei Monate waren vergangen, seit er sein
Lebensglück und seine Zukunft ans der Basis der
geistigen Freundschaft errichtet — nicht ganz mit
dem gewünschten Erfolge, wie er sich gestehen
mußte, denn Mylli wollte absolut nicht begreifen,
daß seine geistige Freundin eine gewöhnliche Ehe-
frau in Allem und jedem Stück zu vertreten habe
— da empfing er eines Morgens einen Brief von
ihrer etwas ungefügen Hand: „Werter Herr! Ta
sie noch immer nicht keine Anstalten zur Verlobung
machen, trotzdem wir schon ein ganzes Vierteljahr
in geistiger Freundschaft leben, so breche ich unser
Verhältnis hiermit ab. Achtungsvoll Emilie
Piticher."

Als der junge Künstler diese niederschmetternde
Botschaft gelesen, hob er sich langsam, feierlich
von seinem Stuhle, wandte den Kopf mit ent-
rüsteter Miene nach rechts oben, preßte die rechte
Hand aufs Herz, und ließ die Linke schräg nach
außen herabfallen, indem cr_bie Faust dabei ballte.
So stand er lange vor dem Spiegel und bewunderte
den Ausdruck seines edlen Schmerzes. Dann ließ
er sich ebenso langsam-feierlich auf den Stuhl
zurückgleiten, flüsterte mit cmporgchobcnen Brauen
und düsterem Lächeln: „Es gibt nichts Edles auf
Erden," und versank dann einige Augenblicke in
schwermütige Träumerei, indem er sich angelegent-
lich bemühte, sich einzuredcn, daß die erhaltene
Nachricht ins tiefste Mark seiner Seele treffe,
während er in Wahrheit ein Gefühl der Befriedi-
gung nicht zu unterdrücken vermochte. Die geistige
Freundin mar ihnr ein bische» langweilig geworden,
umsomehr, als —

„Sie war noch nicht reif für diese Höhe des
Fühlens und Handelns," murmelte er resigniert.
„Sie begriff nicht einmal, haß mir einander gegen-
seitig alles darzubringen hatten, alles — es gibt
nichts Edles auf Erden!"

Und er begann darüber nachzudenken, ob er
nicht einen zweiten Versuch mit Helenen machen
solle. Helene war Büffetmam'ell im Cafö London,
vier Jahre älter als er und nicht ganz ohne be-
wegte Vergangenheit — was indessen einen so
vorurteilsfreien Geist wie Sternbald nicht beirren
konnte. Zwar als geistige Freundin empfahl sie
sich nicht, dazu besaß sie zu viel Körper, aber er
dachte auch gar nicht mehr an dieses Experiment.
Es war mißlungen und er um eine „herbe Er-
fahrung" reicher geworden. Freundschaft zwischen
Mann und Weib ist eine Chimäre, sagte er zu
seinen Freunden. Er wollte also eine Ehe mit
ihr schließen, aber eine Ehe mit Vermeidung

aller Kosten und längst überwundenen Formali-
täten, welche jedem der Kontrahenten volle Freiheit
und Selbständigkeit garantiert und sie keiner
anderen Verantwortung und Beschränkung unter-
wirft, als der Macht ihres eigenen, ethisch ent-
wickelten Willens.

Gedacht, getan! Helene, die schleunigst in
Hela umgetauft wurde, hatte es ihm schon längst
angetan, sodaß er schließlich selber in Kürze das
Band der geistigen Freundschaft zerrissen hätte,
wenn ihm Mylli nicht zuvorgekommen wäre. Noch
am selben Tage eilte er zu ihr und unterbreitete
ihr seine» Antrag, Sie lachte erst aus vollem
Halse, weil sie glaubte, er wolle sich einen Jux
mit ihr nrachen, als er jedoch versicherte, es sei
ihm heiliger Ernst, und die Gewissensehe sei die
einzig legitime und berechtigte der Zeit, Vernunft
und wahren Moral, wurde sie ernst und bat sich
einige Tage zur llcberlegung aus. Das Resultat
derselben fiel zu seine» Gunsten ans — die Ge-
wissensehe wurde feierlich im Caft, bei angemessenen
Quantitäten Wein, Punsch und Bier, und in
Gegenwart der als Zeugen fungierenden übrigen
Kellnerinnen und dreier Freunde Sternbalds ge-
schlossen, mit dem Beding, daß jedes der „Neu-
vermählten," damit nicht durch ein beständiges
und zu nahes Zusammenleben das Ideale des
ehelichen Verkehrs eine Einbuße erfahre, seine
eigene Wohnung bebalte» solle.

„Das ist neu, originell und zugleich eine hoch-
bedeutsame Lösung des Eheproblems im Sinne
der neuesten Philosophie und Soziologie," erklärte
der Künstler stolz feiner Gewissensfrau.

Helene schien ganz einverstanden und lauschte
mit offenbarem Verständnis den Ausführungen
ihres Gewissensmanns, der ihr alle Vorzüge des
von ihm gewählten Systems vor den: alten über-
lebten der Zwangrehe auseiuaudersetzte. „Wir
werden zeigen," ries er in der Festrede, die er sich
selber hielt, emphatisch, „daß Mann und Weib
derKette» des Gesetzes und des Herkommens nicht be-
dürfen! Daß der eigene, freie, reine, veredelte Wille
zur beiderseitigen Danerverbindnng genügt! Du
bist doch ganz von alledem durchdrungen, Hela?"

Sie bejahte voll Ueberzeugung. Anscheinend
nahm sie anfangs auch den Kontrakt sehr ernst;
nach einigen Wochen aber kam eine seltsame Un-
ruhe über sie, sie zeigte sich gegen ihren Eheherrn
verdrießlich und einsilbig, kargte mit Liebesbeweisen
und titulierte ihn wiederholt einen „Töskopp".
Sternbald erkannte wohl, wie die Sache zusammen-
hing. Der Oberkellner des Cafes machte ihr ernst-
lich den Hof, und sie hörte mehr auf seine gleißen-
den Beteuerungen, als sich für eine verhciratefe Frau
geziemte. Das forderte die wütendste Eifersucht
ihres Gewissensmannes heraus, er stürzte zu ihr
und überschüttete sie mit den heftigsten Vorwürfen.

„Was foll daraus werden?" schnaubte er sie an.

„Ja, wat solls werden?" erwiderte sie patzig.
„Er nimmt mir."

„Weißt Du nicht, daß Du gebunden bist?
Daß Du Ehebruch begehst?"

„Ach Fez."

„Weshalb ziehst Du ihn mir denn vor?

„Er läßt sich mit mich trauen," entgegnete sie
in entschiedenen« Tone und ließ ihn stehen.

„Das Tranen, das verdammte Trauen," mur-
melte Sternbald ingrimmig. „Daß die Frauen-
zimmer darin so was Wunderbares finden! Freilich,
ganz ohne ist es nicht — es hätte mir Hela ge-
sichert, und mau kann sich ja auch wieder scheiden
Taffen, sogar ein paar mal — aber es ist nicht
inehr zeitgemäß, ist obsolet! Ich müßte mich ja
vor allen fortgeschrittenen Kollegen schämen, wenn
ich, der bereits eine geistige Freundin besaß und
eine Gewissensehe abgeschlossen hat, meinen Nacken
unter das kandiuische Joch beugen wollte!"

Diesmal ging der „Ehebruch" ihm näher:
erstens, weil seine Eitelkeit verletzt war, und
zweitens, iveil Helene ihn noch reizte. So ver-
flossen mehrere Monate, bis zunehmendes Alter
— er zählte nun fast einundzwanzig — und die
Sehnsucht nach der trauten Nähe des Ewig-Weib-
lichen ihn bewogen, zum dritten Male einen Bund
fürs Leben einzugehen. Doch zeigte er sich dies-
mal vorsichtiger in der Wahl seiner Lebens-
Register
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen