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Materie, hier das lebendige „Ich" des Menschen, Kart das tote
„Es" des Stoffs. Und diese unüberbrückbar scheinende Kluft,
diesen quälenden Zwiespalt und Dualismus löst Hainerlings
monistische Philosophie, die in dem toten „Es" ein ich-
verwandtes „D u" entdeckt. Die kontinuierliche Materie ist nur
ein Schein, ein Sphinxgespenst, das unsre Sinne Vortäuschen;
der Spuk verschwindet, sobald unser geistiges Ohr das tausend-
stimmige „Ich" vernimmt, den Chor des sich selbst bejahen-
den Lebens.

Jede Monade ist eine Konzentration des Universums, ein
Mikrokosmos; in jedem Ich offenbart sich das All auf eigentüm-
liche Weisem das Unendliche ist im Endlichen, nicht außer ihm.

Die Wirkung der Monade zeigt die Polarität der Ich-
heit und All-heit: sie geht von einem ausdehnungslosen Punkt
aus und erstreckt sich doch in die Fernen, ist Abstoßung und
Anziehung. Jede Wirkung ist Zustandsmitteilung: der Stoß,
den ein elastischer Körper auf einen anderen ausübt, ist Mit-
teilung des Geschwindigkeitszustands. Zustandsmitteilung ist
aber eine Art Verschmelzung; im Stoß ist sie nur flüchtig und
oberflächlich: höhere Form der Wirkung ist innigere Eins-
werdung wie z. B. im Organismus, dessen Gesamtbewußtsein
die Reiz- und Empfindungzustände der Sinnes- und Nerven-
zellen miterlebt.

Der ganze Kosmos baut sich aus der Wirkungsmannig-
faltigkeit der Lebenspunkte auf; alle Naturdiuge bestehen aus
Gruppen von Atomen: der Erdklumpen ebenso wie das Lebe-
wesen, unterschieden nur durch die Innigkeit des Wirkungs-
zusammenhangs. Der Organismus ist eine so völlige Eins-
werdung der Monaden, daß er ben Charakter einer geschlossenen
Einheit trägt: er ist eine Monade höherer Ordnung.

Der „Lebensdrang" der Monade ist nach Hamerling
das Prinzip der schöpferischen Entwicklung: er schafft utid ver-
vollkommnet die organische Form rmd ihm ift_ zugleich die
Schönheit der Natur zu danken: denn „schön ist alles rein
Entwickelte."

Wie in jedem Seinspunkt, so ist auch in der Menschen-
seele die Polarität von Abstoßung und Anziehung, von Ich-
sinn und All-sinn gegeben; ist ja doch die Liebe (nach einem
Ausspruch Kants) der Gravitation zu vergleichen. Auf dem
Ausgleich zwischen Ichsinn und Allsinn beruhen Sittlichkeit und
Glück, der Mensch soll „die strengste Abgeschlossenheit und Un-
abhängigkeit des persönlichen Ich von der Außenwelt mit der
unbedingten Selbstlosigkeit und Hingebung an das Ganze, an
die Zwecke d.es All vereinigen." So ist Hamerlings Altruisnius
nicht auf Humanität beschränkt, sondern zu einem Weltgefühl
erhoben, das alles Sein, auch Tier und Pflanze, in sich be-
greift. Aber neben diesem Unendlichkeitsstrebcn ist auch der
Ichsinn als ethisch anerkannt in der Forderung, daß das Ich
„sich in seiner Eigentümlichkeit, in seiner persönlichen Einzig-
keit mit aller Kraft bejahe, behaupte, betätige."

Die Entfaltung des Ich zur allseitig sich a u s w i r k e n-
d e n G e s a m t p e r f ö n l i ch k e i t ist das Schlußwort von Hamer-
lings Individualismus des Lebens. Und er selbst hat als Mensch,
einem harten Schicksal zum Troß, seine Philosophie gelebt.

Miramare!

Miramare, in dem Klange,

In dem Rhythmus deines Namens
Liegt dein Bild und ganzer Zauber;
Aus dem Ton und Fall der Silben
Deines Namens, Miramare,

Ruf ich spielend eine Welt
Tändelnd neuer, junger Verse,

Ruf ich helle Charmegestalten,

Ruf ich eine einzig-liebe
Helle, khngendschöne Frau! —

Und wie goldne, junge Münzen,
Justgeprägte, hin zum Meere,

— Meere, mare, Miramare —
Abwärts eine kühle, kalte
Blendend-weiße Marmortreppe
Tändeln, hüpfen, rollen, springen.
Singend mit dem eignen Golde, —
Sollen diese Verse rollen
In die See und in die Seele
Einer fernen, ungekannten
Unbegehrten, schönen Frau!

A. Berendts

Den Prager Studenten!

Wir Alle tappen tastend durch die Welt,

Euch hat der Herr auf feste» Platz gestellt.

Vor uns ein ungetaner Pflichtenberg,

Ihr steht nur fest — und schafft ein großes Werk.

Wenn Euer Hicbcr blitzt im Quartenschein,

Ihr schlagt nicht nur auf den Paukanten ein.

Nein, in urewiger p- p. Suite hangt

Ihr mit dem fremden Volk, das uns bedrängt.

Wen» Ihr in Farben grabenabwarts zieht,

Jst's Euch egal, ob Euch ein Madel sieht,

Demi nicht als Zier ist Euer Baud gemeint,

Ein rotes Reiztuch ist cs Eurem Feind.

Wer einsam je auf deutschem Posten stand
Jahrhuudertweit, ist Euer Sekundant.

Wer je aus dunklem Druck zum Himmel sah
Nach deutschem Glanz, ist Euch vertraut und nah.

Was hundertmal geboren und verging,

Ihr schafft cs neu, Ihr seid der letzte Ring

Der Kette, die das weite deutsche Land
Jahrtauseudlaug mit Glut und Stahl umspannt.

Denn Eure Narben grub die deutsche Pflicht,

Aus Euren Farben strahlt das deutsche Licht!

Robert Hohlbaum (Wien)

Oie Jugendliebe

Von Alfred Frank

Frau Lotte ging Einkäufe machen. Ihr Mann war
natürlich noch nicht aus dem Büro zurück und noch nicht
zuhause. Ihr Mann war überhaupt nie zuhause, wenigstens
tagsüber. Nun waren sie drei Monate verheiratet und schon
ließ ihr Mann sie immer so lange allein. Gewiß, er konnte
ja nichts dafür, und sie mußte ja eigentlich froh sein, daß sie
so einen guten, arbeitsamen Mann hatte, aber das Alleinsein
ist doch eine zu langweilige Sache.

Deshalb ging sie immer, wenn sie sich so allein fühlte, Be-
sorgungen machen, da traf man doch wenigstens ein paar nette
Leutnants, die einem „Augen machten", wenn sie auch nicht
so keck waren wie früher, als sie noch unverheiratet war.

Oh ja, sie hatte Verehrer gehabt, und nicht nur Ver-
ehrer, sondern auch so uinnche Jugendliebe. Da war zuu,
Beispiel der Fred Anders, der citizige Sohn von dem
reichen Kommerzienrat Anders. In, der war „eigentlich"
ihre allererste Liebe gewesen, aber eine Heirat war natürlich
zwischen ihnen unmöglich, er, der reiche Erbe, der einmal eine
große gesellschaftliche Stellung einnehmen sollte, und sie, die
Tochter des armen Oberpostsekretars! Aber, wer hatte denn
auch damals überhaupt daran gedacht, sie liebten sich eben grade
so, wie es kam imb wie man sich mit sechzehn Jahren liebt.

Frau Lotte trat in ein Geschäft für Bilderrahmen, um
das „Abendniahl" von Leonardo abzuholen, das sie dorthin zum
Einrahmen gebracht hatte. Die Verkäuferin ging, um nach-
zusehen. Frau Lotte stand allein im Laden. Da öffnete sich
die Tür und es trat ein elegant gekleideter Herr herein.

Frau Lotte dachte, das Herz sollte ihr stille stehen:
„Fred" —

Er hatte sic offenbar nicht erkannt. Die Verkäuferin
kam zurück.

„Sind die beiden Bilder fertig, Fräulein?" fragte er.

„Jawohl, ich habe sie hier eingepackt bereit gelegt."

Lotte kämpfte einen schweren Kampf. Sollte sie ihn au-
sprechen? Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Sollte
sie — ? Doch ja, was war denn dabei, sie wollte ihn doch
wenigstens fragen, wie es ihm ginge.

Fritz Frier (München)
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