Mein Schandfleck
Ich gönne mir und jedermann das Best:,
Ich bin so weit ein leidlich braves Tier.
Ein Makel aber brennt aus meiner Weke,
Die sonst so weiß wie Manuskriptpapier:
Fast schäm' ich mich, vor Euch ihn zu gestehen,
Die Ihr im Glanze reinster Würde schlaft,
Denn einfach unerhört ist mein Vergehen:
Ich bin — ach Gott — ich bin nicht vorbestraft!
Als wir die Republik der Räte halten,
Da spielte mit den Pöstchen man Hazard.
Ich aber blieb ein Nichts, im tiefsten Schauen,
Indeß Herr Lucki zum Minister ward.
Als Erzellenz saht Ihr da Gunst verschwenden,
Den Irr noch tags zuvor im Zuchthaus traft,
— Ich nur, ich war zu gar nichts zu verwenden,
Denn - pfui mir,pfui! - ich war nicht vorbestraft!
Geld hat im alten Rom schon nicht gerochen
Und ist auch heutzutag nicht parfümiert.
So mancher ward zum Krösus in drei Wochen,
Nur weil ihn das Gesetz nicht intressiert!
Ich werd' es nie zu goldnen Schätzen bringen,
Ich bin und bleib' als Arbeitstier versklavt,
Ich habe kein Talent zu solchen Dingen,
Ich Stümper bin ja nicht mal vorbestraft!
Nein, nein, so kann es nicht mehr weiter gehen,
Sonst treibt die Scham mich in ein Mauseloch.
Drum,Vater Staat,sieh' mich ausKnicen flehen:
„Verordne uns Erlasse, noch und noch,
Verbiet' drauf los, aufBlühen undVerderben!"
Und wenn das Dasein ganz verparagrapht,
Vielleicht kann dann auch ich beruhigt sterben
In dem Bewußtsein: „Ich war vorbestraft!"
K a r l ch e n
*
Das Paradies
Junge Menschen, Männer, Weiber,
Die sich nackt zusammentaten,
Um des Sommers braun zu braten
An der Sonne ihre Leiber
Auf dem M nte Veiitä —
Haben (so erfährt man) dieses
Schöne Adamitenleben
Neuerschaffnen Paradieses
Plötzlich wieder ausgegeben-
— Was geschah?
Ließen materielle Gründe
Sie nicht mehr beisammenbleiben?
Oder fanden sies als Sünde,
Sich so blank herumzutrciben
Auf dem Monte Veritä?
Trat die Eifersucht dazwischen?
Lagen sie sich in den Haaren?
Suchte sich hineinzumischen
Der Herr Pfarrer? Oder waren
Schutzlcut' da?
Nein, was denkt ihr! Nichts von allem
Konnte dies Prinzip ermorden.
Aber — Winter*ists geworden!
Es ist einfach Schnee gefallen
Auf dem Monte Veritä!
Und wer friert an seinem bloßen
Ar( — )m, verzichtet gerne schließlich
Selbst aus das, was paradiesl'ch,
Und zieht wieder seine Hosen
An.... Ja! Ja!
« ©. jt.
Zum neuen Jahr!
Dichter, preis es mit dem Schwung der Hymnen,
Sänger, schrei's hinaus in Dur und Moll,
Maler, nimm dir Purpurfarben, nimm 'neu
Riesenpemsel, schmeiß die Leinwand voll!
Leute, ob ihr jung seid, ob betagter,
Kommt herbei und grüßt das Retterpaar:
„Preisabbau benebst Entbehrungsfakier
Hurrah hoch! Heil, Heil! Prosit Neujahr!"
Denn die Wirtschaft, der man prophezeite,
Daß sie nicht so weitergehen kann,
Hat jetzt aufgehört und fängt von heute
Ganz in einer neuen Richtung an.
Jeder trachtet nun, wie er was opfert,
Der, wie er die War' umsonst beschert,
Jener, — statt daß er den Magen stopfert, —
Wie er Käs' und Wurst mit Stolz entbehrt.
„Hoch die Arbeit und die Ideale,
Nieder mit dem Wucher und Beschiß!"
So ist jetzt aus diesem Iammertale
Unser Aufstieg endlich ganz gewiß!
(Nachsicht, bitte mit dem Schreiber dieses,
Wenn er keine schön'ren Worte fand!
Zeitgedichle sind nichts ruhsam SüßeS,
Sondern dringend eilig und pressant.
Beispielsweis' im Fall des ob'gen Lobes
Weiß man nie, bis es zum Drucke kimmt
Und zur Hand des lieben Lesers, ob es
Überhaupt noch im geringsten stimmt!)
3. A. Sowas
*
HILFSKASSE DER „JUGEND“
Gedenkt
der notleidenden geistigen Arbeiter
Deutschlands
und ihrer Familien.
*
Spenden erbeten
an
Redaktion der „Jugend“ » G. Hirth’s Verlag
München, Lessingstrasse Nr. 1
oder
auf das Postscheckkonto München 4399
unter dem Hinweis:
„Hilfskasse“
Über die eingegangenen Beträge wird fortlaufend
in der „Jugend“ quittiert und die Verwendung der
Gelder ebenda nachgewiesen.
Es gingen ein von
H. Walk den (Sale, Chester) 10 Shilling,
Direkt.Hugo Hauptmann (Wien)30000Kr.
Architekt Hans Hoffmann (Meran) 10 Lire.
Wir haben die Beträge dem „Hilfsbund der Mün-
chener Einwohnerschaft“, Abteilung »Geistige Ar-
beiter4, überwiesen. Wir danken den freundlichen
Spendern und bitten in Anbetracht der täglich wach-
senden Not herzlichst um weitere Gaben.
*
21
Der Bettler
Ein Bettler weinte vor der Statue einer
Venus. Ein Vornehmer warf ihm ein Geldstück
zu: Geh zu den Mädchen und tröste dich. Diese
Göttin ist steinern. Der Bettler ließ das Geld
zu Boden rollen. Herr, sagte er, ich danke dir.
Aber was soll ich bei den Mädchen ? Wir mögen
sie besitzen und uns berauschen, es wird das un-
befriedigte Erwachen bleiben. Wir mögen sie
anbeten, und die Sehnsucht wird uns die Seele
zerreißen. Wenn wir uns selbst opferten, käme
in letzter Sekunde ein Erkennen, daß so nicht
der Sinn des WollenS war. Ich muß weinen,
wenn ich die Schönheit der Venus sehe. Ich
glaube, sie ist ein Fluch, der uns durch die Qua-
len aller Wünsche jagt, ohne Erfüllung zu geben;
denn ihre Erfüllung ist zugleich wieder Sehn-
sucht. Dann opfere dem Bacchus, rief der
Fremde, und warf dem Bettler ein zweites Geld-
stück zu.
Der sah zweifelnd die beiden Münzen zu
seinen Füßen an. Herr, der Bacchus macht das
Tier frei, das treibt wieder zum Geschlecht.
Um das Tier ganz zu betäuben, er wiegte den
Kopf, werden deine beiden Silberlinge nicht
reichen.
Dein Tier in dir muß gar gewaltig sein, lachte
der Vornehme und ließ einen kleinen Geldbeutel
fallen. Gehab dich wohl. Gewaltig, memte der
Bettler zu sich selbst und hob das Geld auf,
gewaltig, vielleicht. Bei euch, denen die Sehn-
sucht starb, ist es zum Haustier geworden.
Fernando Braun
*
Lauras N a s e
Sin gründlicher Forscher hat festgestellt, daß Petrarca in den
320 Sonetten und 27 Kanzonen, in denen er Laura besingi,
niemals Lauras Nase erwähnt.
Ha, in der Tat, das ist verdächtig!
Und grübelnd frage ich mich so:
War, Laura, deine Nase mächtig
Wie die des Herrn von Cyrano?
Sah man sie wie ein Leuchtturm blinken,
Von Motten stets als Licht umslbwirrt?
War sie ein Riese-Goliatb-Zinken,
Der, wenn er niest, zum Ätna wird?
War deine Nase so entwickelt,
Daß sie durchstieß die Häuserfront?
War deine Gurke so bepickelt,
Daß kein Sonett sie retten könnt'?
War sie mit Stacheln überzogen,
Em Kürbis ohne Form und Plan?
Sag', glich an Pracht dem Regenbogen
Dein unerwähntes Riechorgan?
Ich weiß es nicht. Kein VerSlein sagte
Uns dieses Kolbens Bauart noch;
Weiß nicht, ob er gen Himmel ragte,
Ob 's regnete in 's Nasenloch.
Ich ahn' eS nicht, es bleibt verborgen,
Nur eines weiß ich, klar und glatt:
Was doch für fürchterliche Sorgen
Mitunter ein Gelehrter hat!
Kärtchen
t
Ich gönne mir und jedermann das Best:,
Ich bin so weit ein leidlich braves Tier.
Ein Makel aber brennt aus meiner Weke,
Die sonst so weiß wie Manuskriptpapier:
Fast schäm' ich mich, vor Euch ihn zu gestehen,
Die Ihr im Glanze reinster Würde schlaft,
Denn einfach unerhört ist mein Vergehen:
Ich bin — ach Gott — ich bin nicht vorbestraft!
Als wir die Republik der Räte halten,
Da spielte mit den Pöstchen man Hazard.
Ich aber blieb ein Nichts, im tiefsten Schauen,
Indeß Herr Lucki zum Minister ward.
Als Erzellenz saht Ihr da Gunst verschwenden,
Den Irr noch tags zuvor im Zuchthaus traft,
— Ich nur, ich war zu gar nichts zu verwenden,
Denn - pfui mir,pfui! - ich war nicht vorbestraft!
Geld hat im alten Rom schon nicht gerochen
Und ist auch heutzutag nicht parfümiert.
So mancher ward zum Krösus in drei Wochen,
Nur weil ihn das Gesetz nicht intressiert!
Ich werd' es nie zu goldnen Schätzen bringen,
Ich bin und bleib' als Arbeitstier versklavt,
Ich habe kein Talent zu solchen Dingen,
Ich Stümper bin ja nicht mal vorbestraft!
Nein, nein, so kann es nicht mehr weiter gehen,
Sonst treibt die Scham mich in ein Mauseloch.
Drum,Vater Staat,sieh' mich ausKnicen flehen:
„Verordne uns Erlasse, noch und noch,
Verbiet' drauf los, aufBlühen undVerderben!"
Und wenn das Dasein ganz verparagrapht,
Vielleicht kann dann auch ich beruhigt sterben
In dem Bewußtsein: „Ich war vorbestraft!"
K a r l ch e n
*
Das Paradies
Junge Menschen, Männer, Weiber,
Die sich nackt zusammentaten,
Um des Sommers braun zu braten
An der Sonne ihre Leiber
Auf dem M nte Veiitä —
Haben (so erfährt man) dieses
Schöne Adamitenleben
Neuerschaffnen Paradieses
Plötzlich wieder ausgegeben-
— Was geschah?
Ließen materielle Gründe
Sie nicht mehr beisammenbleiben?
Oder fanden sies als Sünde,
Sich so blank herumzutrciben
Auf dem Monte Veritä?
Trat die Eifersucht dazwischen?
Lagen sie sich in den Haaren?
Suchte sich hineinzumischen
Der Herr Pfarrer? Oder waren
Schutzlcut' da?
Nein, was denkt ihr! Nichts von allem
Konnte dies Prinzip ermorden.
Aber — Winter*ists geworden!
Es ist einfach Schnee gefallen
Auf dem Monte Veritä!
Und wer friert an seinem bloßen
Ar( — )m, verzichtet gerne schließlich
Selbst aus das, was paradiesl'ch,
Und zieht wieder seine Hosen
An.... Ja! Ja!
« ©. jt.
Zum neuen Jahr!
Dichter, preis es mit dem Schwung der Hymnen,
Sänger, schrei's hinaus in Dur und Moll,
Maler, nimm dir Purpurfarben, nimm 'neu
Riesenpemsel, schmeiß die Leinwand voll!
Leute, ob ihr jung seid, ob betagter,
Kommt herbei und grüßt das Retterpaar:
„Preisabbau benebst Entbehrungsfakier
Hurrah hoch! Heil, Heil! Prosit Neujahr!"
Denn die Wirtschaft, der man prophezeite,
Daß sie nicht so weitergehen kann,
Hat jetzt aufgehört und fängt von heute
Ganz in einer neuen Richtung an.
Jeder trachtet nun, wie er was opfert,
Der, wie er die War' umsonst beschert,
Jener, — statt daß er den Magen stopfert, —
Wie er Käs' und Wurst mit Stolz entbehrt.
„Hoch die Arbeit und die Ideale,
Nieder mit dem Wucher und Beschiß!"
So ist jetzt aus diesem Iammertale
Unser Aufstieg endlich ganz gewiß!
(Nachsicht, bitte mit dem Schreiber dieses,
Wenn er keine schön'ren Worte fand!
Zeitgedichle sind nichts ruhsam SüßeS,
Sondern dringend eilig und pressant.
Beispielsweis' im Fall des ob'gen Lobes
Weiß man nie, bis es zum Drucke kimmt
Und zur Hand des lieben Lesers, ob es
Überhaupt noch im geringsten stimmt!)
3. A. Sowas
*
HILFSKASSE DER „JUGEND“
Gedenkt
der notleidenden geistigen Arbeiter
Deutschlands
und ihrer Familien.
*
Spenden erbeten
an
Redaktion der „Jugend“ » G. Hirth’s Verlag
München, Lessingstrasse Nr. 1
oder
auf das Postscheckkonto München 4399
unter dem Hinweis:
„Hilfskasse“
Über die eingegangenen Beträge wird fortlaufend
in der „Jugend“ quittiert und die Verwendung der
Gelder ebenda nachgewiesen.
Es gingen ein von
H. Walk den (Sale, Chester) 10 Shilling,
Direkt.Hugo Hauptmann (Wien)30000Kr.
Architekt Hans Hoffmann (Meran) 10 Lire.
Wir haben die Beträge dem „Hilfsbund der Mün-
chener Einwohnerschaft“, Abteilung »Geistige Ar-
beiter4, überwiesen. Wir danken den freundlichen
Spendern und bitten in Anbetracht der täglich wach-
senden Not herzlichst um weitere Gaben.
*
21
Der Bettler
Ein Bettler weinte vor der Statue einer
Venus. Ein Vornehmer warf ihm ein Geldstück
zu: Geh zu den Mädchen und tröste dich. Diese
Göttin ist steinern. Der Bettler ließ das Geld
zu Boden rollen. Herr, sagte er, ich danke dir.
Aber was soll ich bei den Mädchen ? Wir mögen
sie besitzen und uns berauschen, es wird das un-
befriedigte Erwachen bleiben. Wir mögen sie
anbeten, und die Sehnsucht wird uns die Seele
zerreißen. Wenn wir uns selbst opferten, käme
in letzter Sekunde ein Erkennen, daß so nicht
der Sinn des WollenS war. Ich muß weinen,
wenn ich die Schönheit der Venus sehe. Ich
glaube, sie ist ein Fluch, der uns durch die Qua-
len aller Wünsche jagt, ohne Erfüllung zu geben;
denn ihre Erfüllung ist zugleich wieder Sehn-
sucht. Dann opfere dem Bacchus, rief der
Fremde, und warf dem Bettler ein zweites Geld-
stück zu.
Der sah zweifelnd die beiden Münzen zu
seinen Füßen an. Herr, der Bacchus macht das
Tier frei, das treibt wieder zum Geschlecht.
Um das Tier ganz zu betäuben, er wiegte den
Kopf, werden deine beiden Silberlinge nicht
reichen.
Dein Tier in dir muß gar gewaltig sein, lachte
der Vornehme und ließ einen kleinen Geldbeutel
fallen. Gehab dich wohl. Gewaltig, memte der
Bettler zu sich selbst und hob das Geld auf,
gewaltig, vielleicht. Bei euch, denen die Sehn-
sucht starb, ist es zum Haustier geworden.
Fernando Braun
*
Lauras N a s e
Sin gründlicher Forscher hat festgestellt, daß Petrarca in den
320 Sonetten und 27 Kanzonen, in denen er Laura besingi,
niemals Lauras Nase erwähnt.
Ha, in der Tat, das ist verdächtig!
Und grübelnd frage ich mich so:
War, Laura, deine Nase mächtig
Wie die des Herrn von Cyrano?
Sah man sie wie ein Leuchtturm blinken,
Von Motten stets als Licht umslbwirrt?
War sie ein Riese-Goliatb-Zinken,
Der, wenn er niest, zum Ätna wird?
War deine Nase so entwickelt,
Daß sie durchstieß die Häuserfront?
War deine Gurke so bepickelt,
Daß kein Sonett sie retten könnt'?
War sie mit Stacheln überzogen,
Em Kürbis ohne Form und Plan?
Sag', glich an Pracht dem Regenbogen
Dein unerwähntes Riechorgan?
Ich weiß es nicht. Kein VerSlein sagte
Uns dieses Kolbens Bauart noch;
Weiß nicht, ob er gen Himmel ragte,
Ob 's regnete in 's Nasenloch.
Ich ahn' eS nicht, es bleibt verborgen,
Nur eines weiß ich, klar und glatt:
Was doch für fürchterliche Sorgen
Mitunter ein Gelehrter hat!
Kärtchen
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